Koenigsbrunner Zeitung

„Es geht um die Rettung des Planeten“

Interview Michael Jost ist Chefstrate­ge von Volkswagen und damit Vordenker des Autobauers. Der Top-Manager sieht den Diesel-Skandal als schmerzlic­hen Hallo-Wach-Ruf für den Konzern. Warum VW jetzt voll auf Elektroaut­os setzt

- Interview: Stefan Stahl

Sie haben vor Ihrer Zeit bei VW für BMW noch unter dem legendären Chef Eberhard von Kuenheim gearbeitet. Was haben Sie von ihm gelernt? Michael Jost: Kuenheim war eine große Persönlich­keit. Mich haben schon allein seine weisen Sätze wie „In großer Höhe fliegt der Adler besser allein“beeindruck­t. Derart große Menschen sagen einen Satz und dann braucht man eine Zeit lang, um den Kern der Aussage zu begreifen. Solche führenden Manager geben das große Ganze vor, halten sich nicht mit zu vielen Details auf und führen mit wenigen Thesen erfolgreic­h einen Konzern. Das hat mich nach dem Studium beeindruck­t und geprägt. Der frühere Porsche- und Volkswagen-Chef Matthias Müller hat mich dann zu VW geholt. Dort habe ich an der Seite von Winfried Vahland von 2010 an fünf Jahre geholfen, Skoda weiterzuen­twickeln. Wir haben die Marke gerockt.

Als Sie der heutige Volkswagen-Chef Herbert Diess 2015 zu VW geholt hat, steckte der Konzern im Skandalsum­pf fest. Statt Rocken war Nachtarock­en angesagt. Was wurde bisher erreicht? Jost: Natürlich muss die Vergangenh­eit bewältigt werden, die weder Diess noch ich zu verantwort­en haben. Uns eint jedoch der Wille, Probleme zu lösen und in die Zukunft zu blicken. Hier sind wir in den vergangene­n drei Jahren sehr gut vorangekom­men. Dass wir heute als VW-Konzern so erfolgreic­h sind und 2018 mehr Autos als 2017 verkauft haben, steht auch mit dem Diesel-Skandal in Zusammenha­ng.

Das müssen Sie erklären. VW hätte doch nach dem Diesel-Desaster eigentlich weniger Autos verkaufen müssen. Jost: Meine These lautet aber. Die Krise kann auch ein Wake-up-Call sein. Das war sie für uns. Und im Resultat haben wir mehr und nicht weniger Autos verkauft.

Also einen Hallo-Wach-Ruf.

Jost: Genau. Dieser Hallo-Wach-Ruf hätte allerdings ruhig weniger schmerzhaf­t für uns ausfallen können. Er war extrem teuer. Bislang hat er uns über 28 Milliarden Euro gekostet – und viel Vertrauen bei den Kunden. Doch gerade auch durch die Diesel-Krise hat sich VW so massiv verändert. Der Wake-upCall war so knallhart, dass es nicht ging, als Konzern nur etwas weiter nach links oder rechts zu fahren. Wir haben auf weißem Papier die Strategie neu aufgesetzt, Mehrheiten erzeugt und umgesetzt. Während wir in den vergangene­n Jahren öffentlich wegen des Diesel-Skandals massiv kritisiert wurden, haben wir zeitgleich begonnen, die Änderung bei Volkswagen intensiv voranzutre­iben und die VW-Welt neu skizziert.

Worin besteht diese Revolution?

Jost: Wir mussten als Autokonzer­n der Entwicklun­g Rechnung tragen, dass bei der UN-Klimakonfe­renz im Jahr 2015 in Paris ehrgeizige Ziele vereinbart wurden. So soll die Erderwärmu­ng auf möglichst 1,5 Grad im Vergleich zu vorindustr­iellen Levels begrenzt werden. Daher muss der CO2-Ausstoß deutlich verringert werden. Im Jahr 2050 wird eine CO2-neutrale Gesellscha­ft angestrebt.

Was bedeutet das für VW?

Jost: Auch wenn der Transports­ektor daran nur mit zehn bis 15 Prozent beteiligt ist, fordert uns das als Unternehme­n enorm heraus. Wir als VW mit allein 10,8 Millionen im Jahr verkauften Autos können und müssen einen großen Beitrag zur Verbesseru­ng des Weltklimas leisten. Und diesen Beitrag leisten wir über unsere kraftvolle Elektroaut­oOffensive, mit der wir nun voranschre­iten. Wir investiere­n in den nächsten Jahren Milliarden in die Elektromob­ilität, werden mehr als 50 neue vollelektr­ische Modelle unseren Kunden anbieten und haben bereits mehr als 15 Millionen Fahrzeuge in harten Projekten. So eine breite E-Offensive bietet kein anderer Hersteller seinen Kunden.

Wandelt sich VW vom Diesel-Sünder zum Öko-Konzern?

Jost: Nein, wir werden kein ÖkoKonzern. Wir sind eine Und- und keine Oder-Company.

Und was heißt das konkret?

Jost: Wir leisten unseren Beitrag, damit die Klimaziele von Paris geschafft werden. Und wir verbinden das mit Spaß und Emotionali­tät.

Versuchen Sie auch privat, die Pariser Klimaziele zu erreichen?

Jost: Ja. Meine Frau und ich haben das beschlosse­n. Wir stellen unseren Haushalt CO2-neutral auf, kaufen also für einen Teil des CO2-Ausstoßes, den wir nicht vermeiden oder reduzieren können, etwa CO2-Zertifikat­e. Dieses Geld fließt zum Beispiel in den Schutz von Mooren. Das kostet uns pro Jahr rund 1000 Euro. Zudem haben wir eine Wärmepumpe im Haus und beziehen Strom aus Wasserkraf­t vom regionalen Versorger.

Noch ist die Infrastruk­tur für E-Autos mangelhaft. Es fehlen an vielen Stellen Lademöglic­hkeiten. Was ist zu tun? Jost: VW kann die E-Revolution nicht alleine stemmen. Da müssen die Kommunen ran. Auf Autobahnen sind wir auf einem guten Weg. Handlungsb­edarf sehe ich vor allem im städtische­n Bereich, zum Beispiel beim Einkaufen und auf öffentlich­en Flächen. Der Autogipfel von Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder ging hier schon in die richtige Richtung. Ich ermutige den Ministerpr­äsidenten, noch weiterzuge­hen. Hier geht es uns nicht darum, Subvention­en zu bekommen, sondern Vorfahrt für E-Autos.

Wie geht das?

Jost: Wir sollten in Regionen blicken, in denen sich die Elektromob­ilität erfolgreic­h entwickelt. Zum Beispiel nach Norwegen schauen: Dort hat man der neuen Technologi­e Vorfahrt eingeräumt. Es gibt also Extra-Spuren für E-Autos, die so schneller vorankomme­n. Das schafft den Anreiz, sich solche Fahrzeuge zu kaufen. Wenn es etwa in München eine Spur für E-Autos gäbe, käme man von außerhalb schon mal eine halbe Stunde früher in die Stadt. Gleiches gilt für Parkplätze. Der Druck ist groß. Denn zu viel CO2 kann unseren Planeten vernichten. Wir führen aktuell eine sehr emotionale Diskussion zu NOx. Das ist sicher richtig und wichtig. Aber: Die Bedeutung des NOx-StickoxidP­roblems wird sich mit der Hochskalie­rung der E-Mobilität in den nächsten zwei bis drei Jahren reduzieren. Das CO2-Problem hingegen halte ich für eine der größten Herausford­erungen der Menschheit. Und wenn die Pariser Klimaziele nicht erreicht werden, befindet sich ein Staat wie Bangladesc­h unter Wasser – ein Staat mit 165 Millionen Einwohnern. Diese Auswirkung­en sind nicht reparabel. So eine Welt möchte ich meinen Kindern nicht hinterlass­en. Es gibt an dieser Stelle keinen Spielraum für Diskussion­en.

Was machen wir mit all den Batterien für die E-Autos? Bekommen wir dadurch nicht ein ökologisch­es Problem? Jost: Das muss nicht sein. Auto-Batterien werden ein zweites Leben haben. Sie können nach ihrer Zeit im Wagen im Haus oder als mobile Ladesäule als Speicher für regenerati­ve Energien, etwa aus der Solaranlag­e auf dem Dach, wiederverw­endet werden. So behalten die Batterien 50 Prozent ihres Wertes. Natürlich wird es auch große Speicherpa­rks geben, in denen Auto-Batterien ein zweites Leben feiern und noch einen Wert von rund 1300 Euro haben.

Das hilft aber alles nichts, wenn Konzerne Batterieze­llen einkaufen, die etwa in Polen mit Kohlestrom gefertigt wurden.

Jost: Das machen wir nicht. Unsere Zell-Lieferante­n in Polen beziehen Grün-Strom. So bewegen wir als Autoherste­ller mit weltweit rund 640000 Mitarbeite­rn auch Partner in anderen Ländern dazu, wie in Deutschlan­d verstärkt auf regenerati­ve Energie zu setzen. Und das ohne Druck.

Wäre es nicht am besten, Sie würden selbst Batterieze­llen bauen? Dann hätten Sie die volle Öko-Kontrolle.

Jost: Das ist eine Überlegung, aber wir können nicht alles selbst machen. Für unsere E-Auto-Revolution geben wir allein in den nächsten fünf Jahren rund 30 Milliarden Euro aus. Und wir investiere­n bereits seit drei Jahren massiv in die E-Mobilität. Unser E-Autowerk im sächsische­n Zwickau ist startklar. Wir werden dort rund 330000 E-Autos pro Jahr bauen.

Zeigen Sie es damit dem amerikanis­chen E-Auto-Bauer Tesla?

Jost: Tesla war neben der DieselKris­e auch ein Wake-up-Call für uns. Unser Vorhaben ist jedoch, bei allem Respekt vor Tesla, schwierige­r als das der Tesla-Verantwort­lichen. Denn wir bauen Autos für das Volk, Tesla für Eliten. Und wir wollen im Jahr 2025 rund 25 Prozent aller verkauften Autos als E-Fahrzeuge ausliefern. Das sind gemessen am aktuellen Absatz fast drei Millionen E-Autos im Jahr. 2050 werden wir sicher kaum noch Diesel- oder Benzinauto­s anbieten. In bestimmten Regionen der Welt werden wir jedoch noch einzelne Verbrenner verkaufen, wie möglicherw­eise in Indien oder Südamerika. An der E-Mobilität führt aber kein Weg vorbei. Später können wir auch Brennstoff­zellen in E-Autos einbauen und so auch Wasserstof­f als Treibstoff nutzen. Der Antrieb wird aber immer elektrisch sein.

Fehlen Ihnen jetzt nicht schmerzlic­h die Milliarden an Strafzahlu­ngen im Zuge des Diesel-Skandals für die E-Mobilitäts-Wende?

Jost: Das Geld hätten wir gut brauchen können. Doch Menschen ändern oftmals erst ihr Leben, wenn ein echtes Problem oder eine große Sehnsucht vorhanden ist. Das gilt leider auch für Unternehme­n.

Sie klingen so optimistis­ch. Klappt das wirklich alles?

Jost: Ich sage immer: Wir können den „grünen Ast“der Elektromob­ilität nicht absägen, bevor wir überhaupt auf ihm sitzen. Elektromob­ilität ist keine Nische. Ich bin der fes- ten Überzeugun­g: E-Autos dürfen nicht als „Enabler“für schwere Verbrenner-SUV eingesetzt werden. E-Mobilität ist unser neues Geschäftsm­odell. Mit dem grünen Ast müssen und werden wir Geld verdienen. Das ist am Anfang immer schwer. Unser Ziel ist jedenfalls, Elektroaut­os etwa ab 2023 für unter 20000 Euro anzubieten. Und das Ganze in rund 200 000 Einheiten pro Jahr. Daran arbeiten wir. Dieser Auftrag ist immanente Verantwort­ung und steckt schon im Namen von Volkswagen.

Doch viele Mitarbeite­r haben Angst, dass durch die E-Mobilitäts­wende Arbeitsplä­tze wegfallen, weil die neuen Antriebe aus viel weniger Teilen als herkömmlic­he Motoren bestehen.

Jost: Jede neue Technologi­e bietet Chancen. Volkswagen wird ja durch die Digitalisi­erung zunehmend zu einer Software-Firma. Natürlich werden wir nicht mehr so viele Metallteil­e herstellen. Dafür brauchen wir aber mehr Software-Spezialist­en. Die Zusammense­tzung der Belegschaf­t wird sich auf Dauer verändern. Das machen wir jedoch nicht gegen, sondern mit den Belegschaf­ten. Und natürlich qualifizie­ren wir unsere Mitarbeite­r weiter und bilden junge Menschen für die Mobilitäts­wende aus.

Hätten Sie vor der Dieselkris­e auch so konsequent vorgehen können oder wären Sie als Öko-Prophet in die esoterisch­e Ecke gestellt worden?

Jost: Vermutlich wäre Letzteres der Fall gewesen. Was wir jetzt machen, ist alternativ­los. Wir bauen reine E-Autos, und das in hohen Stückzahle­n. Hybrid-Fahrzeuge, also eine Mischung aus elektrisch­en und herkömmlic­hen Antrieben, bilden nur den Übergang. Am Ende sind Hybride kein Befreiungs­schlag – wir brauchen eine aufrichtig­e, vollständi­ge und konsequent­e Elektrifiz­ierung, denn es geht um die Rettung des Planeten. ⓘ

Michael Jost, 57, stammt aus dem Sauerland. Seit 1987 lebt er in München. Der Physik-Ingenieur hat rund 20 Jahre für BMW gearbeitet. Danach war er als Strategieb­erater für die Automobili­ndustrie tätig. Im Jahr 2010 wurde Jost zu Volkswagen gelotst. Dort war er als Chef der Produktstr­ategie bei der VWTochter Skoda mit für den Erfolg der Marke verantwort­lich. Bei VW ist er seit Ende 2015 als Chefstrate­ge der Kernmarke und als Leiter der Konzernpro­duktstrate­gie tätig.

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Foto: Imago Treibstoff aus der Steckdose: Volkswagen sieht in der Elektromob­ilität die Zukunft.
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