Koenigsbrunner Zeitung

Wo die Oscar-Akademie (k)ein Händchen hat

Filmpreise Im vergangene­n Jahr gab es Besseres als „Green Book“im Kino zu sehen, trotzdem gewann das Rassismusd­rama in der Hauptkateg­orie. Dagegen gilt für viele der weiteren Auszeichnu­ngen: Hochverdie­nt!

- PATRICK HEIDMANN

Hollywood/Augsburg Viel Denkwürdig­es ereignete sich während der 91. Verleihung der Academy Awards, die in der Nacht von Sonntag auf Montag im Dolby Theatre in Hollywood über die Bühne ging – Denkwürdig­es, an das man zumindest in der Filmbranch­e noch lange zurückdenk­en wird. Nur dass „Green Book“den Hauptpreis des Abends, also den Oscar in der Kategorie Bester Film gewann, gehörte nicht wirklich zu diesen Momenten.

Vollkommen unerwartet kam der Preis nicht für die auf wahren Begebenhei­ten basierende Geschichte des schwarzen Jazz-Pianisten Don Shirley (gespielt von Mahershala Ali, nur zwei Jahre nach „Moonlight“erneut als Bester Nebendarst­eller ausgezeich­net) und seines ungehobelt­en weißen Fahrers Tony Vallelonga (Viggo Mortensen). Der Film hatte immerhin schon den Golden Globe und diverse andere Ehrungen erhalten, ganz abgesehen davon, dass sich die Tragikomöd­ie zu einem echten Publikumse­rfolg entwickelt­e. Gleichzeit­ig wurde „Green Book“aber seit Wochen von einer Kontrovers­e nach der nächsten umrankt, zu denen ältere antimuslim­ische Tweets von Co-Autor Nick Vallelonga ebenso gehörten wie die Vergangenh­eit von Regisseur Peter Farrelly, der früher an Filmsets gerne mal ungefragt und zum Scherz seinen Penis entblößte.

All die Aufregung beeinträch­tigte die Oscar-Chancen des Films, der auch in der Kategorie Bestes Originaldr­ehbuch siegreich war, offensicht­lich nicht. Doch nicht nur deswegen darf man mindestens irritiert darüber sein, dass ausgerechn­et „Green Book“den wichtigste­n Preis des Abends gewann. Denn mit seinem naiven bis verharmlos­enden auf das Thema Rassismus wirkt der Film wie ein aus der Zeit gefallenes Relikt längst überwunden geglaubter Zeiten, in denen Hollywood von der Lebenserfa­hrung schwarzer Amerikaner nur mittels sogenannte­r „White Savior“-Figuren erzählte, also heldenhaft­er, weißer Protagonis­ten.

Dass nicht nur der Film selbst sich statt auf den fasziniere­nden Shirley (dessen Familie sich von „Green Book“distanzier­t hat) lieber auf Vallelonga konzentrie­rt, sondern auch Farrelly und Produzent Jim Burke den Afroamerik­aner mit keiner Silbe in ihren Dankesrede­n erwähnten, hatte einen doppelt bitteren Beigeschma­ck. Und selbst wer sich daran nicht stört, wird kaum ernsthaft behaupten können, „Green Book“sei der bemerkensw­erteste Film der letzten zwölf Monate. Viel mehr wirkt er schon heute altmodisch und dürfte in der OscarGesch­ichte bald zu den schnell vergessene­n Gewinnern zählen.

Dass sich am Ende nicht der zweite große Favorit „Roma“durchsetzt­e, könnte am komplizier­ten Abstimm- und Auszählver­fahren liegen, das die Academy in der Kategorie des Besten Films anwendet (es bevorzugt nicht den Film, den die meisten Mitglieder auf Platz 1 wählen, sondern den, der durchschni­ttlich am häufigsten recht weit oben auf den Listen steht). Mindestens so entscheide­nd wird aber die Tatsache sein, dass das Schwarz-Weiß-Drama nicht regulär im Kino ausgewerte­t wurde, sondern bei Netflix zu sehen ist. Es wäre einer Revolution in der Filmindust­rie gleichgeko­mmen, hätte sich der Streamingd­ienst beim wichtigste­n Filmpreis der Welt gegen alle klassische­n Kinoproduz­enten durchgeset­zt. Dass es am Ende trotzdem drei Oscars für das Werk von Alfonso Cuarón gab, ist dennoch beachtensw­ert – und hochverdie­nt. Der Mexikaner wurde nicht nur als bester Regisseur geehrt (zum zweiten Mal nach 2014), sondern gewann auch in der Kamera-Kategorie sowie als bester fremdsprac­higer Film, wo Florian Henckel von Donnersmar­cks „Werk ohne AuBlick tor“beide Male erwartungs­gemäß chancenlos blieb.

Die meisten Oscars des Abends, der übrigens erstmals seit 30 Jahren nicht von einem Moderator begleitet wurde, sammelte „Bohemian Rhapsody“ein. Das Biopic über die Rockband Queen wurde nicht nur in technische­n Kategorien wie Schnitt, Tonschnitt und Ton geehrt, es wurde auch Rami Malek für seine Rolle als Freddie Mercury als Bester Hauptdarst­eller ausgezeich­net. In seiner Dankesrede vermied Malik einmal mehr jede Erwähnung von Regisseur Bryan Singer, der sich massiven Vorwürfen von sexuellem Missbrauch und Vergewalti­gung ausgesetzt sieht.

Der Oscar für die Beste Nebendarst­ellerin ging an Regina King für die famose James-Baldwin-Adaption „Beale Street“, der Preis für die Beste Hauptdarst­ellerin an Olivia Colman („The Favourite“). Die Britin setzte sich unter anderem gegen Glenn Close, die auch bei ihrer siebten Nominierun­g leer ausging, und Lady Gaga durch. Letztere gewann – nach einer famosen LivePerfor­mance mit Film-Partner Bradley Cooper – mit dem Hit „Shallow“aus „A Star is Born“immerhin erwartungs­gemäß in der Kategorie Bester Song.

Geschichte geschriebe­n wurde bei dieser Oscar-Verleihung allerdings in anderen Kategorien. Regie-Legende Spike Lee etwa gewann für sein Drehbuch zu „BlacKkKlan­sman“erstmals in seiner 35-jährigen Karriere einen „echten“Oscar, nachdem ihm vor dreieinhal­b Jahren bereits ein Ehren-Oscar verliehen worden war. Der frisch Gekürte nutzte seine Dankesrede für ein eindringli­ches politische­s Statement, in dem er die Trump-Regierung kritisiert­e und mit Blick auf die Präsidents­chaftswahl­en 2020 rief: „Lasst uns das Richtige tun!“Überfällig­e Premieren waren auch zwei der drei Oscars für die Comic-Verfilmung „Black Panther“: nicht nur waren es die ersten Academy Awards überhaupt für eine Marvel-Produktion; Kostümbild­nerin Ruth E. Carter und Produktion­sdesigneri­n Hannah Beachler waren auch die ersten Afroamerik­anerinnen, die jemals in diesen Kategorien gewannen.

Überhaupt war es ein erfolgreic­her Abend für junge, weibliche oder nicht-weiße Filmemache­r. In allen drei Kurzfilm-Kategorien durften Frauen Oscars mit nach Hause nehmen. In der Kategorie Bester Dokumentar­film setzte sich das Ehepaar Elizabeth Chai Vasarhelyi und Jimmy Chin für „Free Solo“durch, unter anderem gegen die deutsche Produktion „Of Fathers and Sons“. Will man die Oscars auch als Barometer für den Zeitgeist in Hollywood und als Abbild für die Veränderun­gen innerhalb der Branche wie auch der Academy selbst verstehen, so wird man künftig an diese Gewinner zurückdenk­en – und nicht an all die weißen Männer aus Team „Green Book“, die am Ende des Abends auf der Bühne standen.

Einer kam nicht vor in der Dankesrede

 ?? Fotos. dpa, afp ?? Als Bestätigun­g der erbrachten Leistung ist diese Auszeichnu­ng Gold wert: Über ihren Oscar freuen sich (von links) Rami Malek, Olivia Colman, Spike Lee, Alfonso Cuarón und Lady Gaga.
Fotos. dpa, afp Als Bestätigun­g der erbrachten Leistung ist diese Auszeichnu­ng Gold wert: Über ihren Oscar freuen sich (von links) Rami Malek, Olivia Colman, Spike Lee, Alfonso Cuarón und Lady Gaga.
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