Macht und Ohnmacht einer Kanzlerin
Theater In Bremen wird ein Stück über Angela Merkel aufgeführt – das Vorbild sind Shakespeares Königsdramen
Bremen Deutschland in naher Zukunft. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist nicht mehr an der Macht. Als ihr Fahrer, gespielt von Markus Seuß, eines Tages der Ex-Kanzlerin begegnet, macht er Selfies. Sie rauchen. Silke Buchholz in der Rolle der Kanzlerin erinnert sich – offenbar in Anspielung auf die MerkelRaute –, wie vorsichtig sie habe taktieren müssen, um ein rohes Ei ohne Schale nicht zu zerdrücken. Der Fahrer wiederum gibt ihr mit Blick auf die Reichstagskuppel den Tipp, ihren Kuppelkopf zu lüften.
Eine wortwitzige Szene, die immer wieder geprobt wird. Regisseur Stefan Otteni spricht jetzt, kurz vor der Premiere, von Killertagen. Am kommenden Donnerstag zeigt die Bremer Shakespeare Company im Theater am Leibnizplatz das Stück „Angela I.“als Uraufführung. Der Text des Schauspiels sei keine Abrechnung mit Merkel, sagt Autorin Katja Hensel, die zuvor schon Stücke über die Europäische Union verfasst hat. „Wir sind keine Merkel-Verteufler. Mich interessiert die Ohnmacht in der Macht.“Auf den Angela-Stoff habe sie sich mit Shakespeare-Dramen wie „König Lear“vorbereitet – schließlich soll „Angela I.“so etwas wie ein Königinnendrama sein.
Peter Lüchinger in der Rolle des Politikers A zitiert auf der Bühne Hassmails, während Frau Merkel, mal im Anzug, dann wieder im Trenchcoat, Zuschauer auffordert, mit auf die Bühne zu kommen, sich alles anzusehen, Transparenz zu erleben. Dort sind Styropor-Objekte mit Holzmaserung durcheinandergewürfelt – möglicherweise ein Hinweis auf das Chaos der Nach-Merkel-Zeit.
Das Schauspiel „Angela I.“bewege sich auf drei Ebenen, die sich im Laufe dieses Dramas – ähnlich wie bei Shakespeare – vermischen, kündigt Regisseur Otteni an. Es gehe um Merkel, um Politiker als Umfrage-Sklaven und um die Kita des Bundestages mit Bauklötzen und Bobbycars. „Wir haben aus dem Shakespeare-Humus geschürft“, erklärt Otteni. „Ich habe Sympathien für Merkel. Doch schon Shakespeare hat Könige mit einem weiten Horizont und großen Gedankengebäude gezeigt, die trotzdem gescheitert sind.“Anders als etwa bei dem Kabarettisten Mathias Richling gehe es hier in Bremen nicht um schnelle Lacher, sondern um Komik mit Tiefe, sagt der Regisseur.
„Die Leute wollen Raute, Raute und die runtergezogenen Mundwinkel. Wir wollen Fiktion und Theater“, sagt Merkel-Darstellerin Buchholz. Vor zwei Monaten habe sie erfahren, dass sie Kanzlerin wird, und sich sofort in Merkels Biografie, Interviews und Videos vertieft: „Ich bin kein Merkel-Fan und trotzdem beeindruckt von ihrem Pragmatismus, ihrer Kraft, ihrer Ausdauer.“
Dass in „Angela I.“auch gelacht wird, ist für den Kulturwissenschaftler Rainer Stollmann selbstverständlich: „Lachen war schon immer gegen Autoritäten gerichtet: Früher hat man über Papst und König gelacht, heute über Politiker. Lachen geht immer von unten nach oben.“
Schauspieler Peter Lüchinger sitzt nach der Probe auf der leeren Bühne und philosophiert über Politik: „Wir können heute kritisch in die Zukunft sehen, in eine Zeit, in der die Demokratie möglicherweise gefährdet ist.“Das sei ein Privileg. Shakespeare habe in seinen Historiendramen nur rückblickend Missstände aufzeigen können; andernfalls hätte er Kopf und Kragen riskiert. Sabine Komm, dpa