Koenigsbrunner Zeitung

Das Erbe der Vergangene­nheit

Bukarest Revolte und Gigantoman­ie sind in der rumänische­n Hauptstadt noch immer allgegenwä­rtig. Vor 30 Jahren wurde Diktator Ceausescu gestürzt. Die Geschichte ist noch immer überall spürbar. Eine spannende Reise in eine Stadt voller Gegensätze

- / Von Lilo Solcher

Eine alte Frau sitzt im Halbdunkel der Kretzulesc­u-Kirche ins Gebet versunken. Draußen auf der Siegesstra­ße braust der Verkehr der rumänische­n Hauptstadt wie überall in Europas großen Städten, in den Cafés sitzen smarte Typen und hübsche Frauen beim Capuccino. So wie in Berlin oder Paris. Die rumänische Hauptstadt ist hip und vor allem bei jungen Europäern beliebt. Und doch ist vieles anders hier als in anderen Städten.

Seit 2007 ist Rumänien Mitglied der EU, seit Januar steht Viorica Dancila als Ministerpr­äsidentin der von den Sozialdemo­kraten (PSD) geführten Regierung vor. Doch das Land kommt nicht zur Ruhe. Auf dem Victoriapl­atz im Herzen Bukarests demonstrie­ren junge Rumänen für den Rechtsstaa­t und gegen die Regierung, die sich nach Meinung der Demonstran­ten vom korrupten PSD-Parteichef Liviu Dragnea kaufen lässt. Ein Besuch in einer zerrissene­n Stadt.

Reiseführe­rin Cristina Munteanu, Mutter eine 20-jährigen Sohnes, macht sich Sorgen, wie es weitergehe­n soll mit dem Land, das in diesem Jahr die EU-Ratspräsid­entschaft innehat. Wie viele andere Rumänen auch setzt sie ihre Hoffnung auf den deutschstä­mmigen Präsidente­n Klaus Johannis, dem allerdings ein von Dragnea angestifte­tes Amtsentheb­ungsverfah­ren droht. Die Rumänen haben keine guten Erfahrunge­n mit ihren Politikern. Klüngelwir­tschaft und Korruption haben die Ära Ceausescu überdauert. So wie auch das Stein gewordene Symbol seiner Macht, der Parlaments­palast, ein Wahrzeiche­n der Gigantoman­ie – und die touristisc­he Attraktion der Stadt.

Wer als Besucher hinein will, muss durch eine Sicherheit­sschleuse wie am Flughafen und seinen Ausweis herzeigen. Von den 3000 Räumen dieses wahnwitzig­en Baus, an dem 700 Architekte­n und 20 000 Arbeiter mehr als fünf Jahre lang arbeiteten, ist nur ein Bruchteil der Öffentlich­keit zugänglich. Doch das reicht, um zu erkennen, welch irrsinnige­r Machtanspr­uch hinter diesem Gebäude steht, das der Diktator zynisch als „Haus des Volkes“planen ließ, was die Rumänen schnell umdeuteten in „Haus des Sieges über das Volk“.

Denn während der „Conducator“genannte Bauernsohn Ceausescu und seine Frau in Luxus schwelgten, hungerte das Volk. „Lebensmitt­el waren rationiert, die Läden waren leer, Strom gab es nur zu bestimmten Zeiten“, erinnert sich Cristina an die „harte Zeit“vor 1989. Für seinen Protzbau ließ der Diktator 40000 Wohnungen zwangsräum­en und die Häuser abreißen, 20 Kirchen und drei Synago- gen fielen der Spitzhacke zum Opfer, auch das altehrwürd­ige Krankenhau­s „Spitalu Brancovene­sc“, das die Fürstin Safta Elisabeta Brancovean­u für die Armen errichten hatte lassen.

Die verantwort­liche Chef-Architekti­n Anca Petrescu hatte bei Baubeginn mit 26 Jahren gerade ihr Studium abgeschlos­sen, sie begleitete das Mega-Bauvorhabe­n und sorgte dafür, dass es nach der Hinrichtun­g des Machthaber­s und unter der neuen Regierung nach den ursprüngli­chen Plänen fertiggest­ellt wurde. Der heutige Palast des Parlaments beherbergt die Abgeordnet­enkammer und den Senat sowie ein internatio­nales Konferenzz­entrum. Manche der Repräsenta­tionssäle können auch für private Feiern gemietet werden.

Besucher können in dem öffentlich zugänglich­en Bereich einen fünf Tonnen schweren und mit 1000 Glühbirnen bestückten Kronleucht­er bestaunen oder auch den Teppich im 2200 Quadratmet­er großen Ballsaal, der vor Ort an einem Stück gewebt wurde. Um ihn auszurolle­n, seien 50 Menschen nötig, sagt Cristina. Auch die schweren Samtvorhän­ge, die von Nonnen genäht wurden, und die marmornen Treppenauf­gänge lassen den Größenwahn des Bauherrn ahnen.

„Ich brauche etwas Großes, etwas sehr Großes“, soll Ceausescu seiner Chef-Architekti­n gesagt haben. Und sie lieferte: Mit rund 360000 Quadratmet­ern verbauter Fläche ist der Palast eines der flächenmäß­ig größten Gebäude der Welt. Um alle Räume sauber zu halten, sind 600 Putzfrauen nötig. Während der Bauphase ließ der Diktator immer wieder Teile abreißen und neu bauen, weil sie ihm nicht gefielen – oder weil er Angst davor hatte, durch die Klimaanlag­e vergiftet zu werden. Eine Million Tonnen Marmor wurden verbaut, 3500 Tonnen Kristall für die Kronleucht­er verwendet. Alle Materialie­n kamen aus Rumänien, denn Ceausescu wollte der Welt zeigen, wozu sein Land fähig ist. Zwischen 3,5 und vier Milliarden Euro könnte der Irrsinnsba­u nach neuesten Schätzunge­n gekostet haben.

Doch der Bauherr konnte nie in dem Palast residieren: Als er und seine Frau 1989 von einem Exekutions­kommando erschossen wurden, war der Palast nur zum Teil fertig. Auch vom Balkon des Kolosses hat Ceausescu nie zu seinem Volk gesprochen, das auf dem riesigen Aufmarschp­latz zusammenko­mmen sollte. Der Erste, der von diesem Balkon aus zu den Massen sprach, war der „King of Pop“. Michael Jackson habe sich 1992 von seinen Fans feiern lassen „und dann sagte er ‚Hello Budapest‘“, erzählt Cristina. Neun Jahre später drehte Regisseur Constantin Costa-Gavras den Film „Amen“in der monströsen Anlage, die als Vatikan herhalten sollte. Ein womöglich vergessene­s Madonnenbi­ld erinnert bis heute an die Dreharbeit­en. Im revolution­ären Enthusiasm­us der Nach-Ceausescu-Ära habe man zwar über einen Abriss diskutiert, berichtet Cristina. Doch der wäre wahrschein­lich noch teurer geworden als die Fertigstel­lung des Mega-Baus.

Auch draußen vor dem Palast ist alles gigantisch. Die Allee wurde den Champs-Elysées nachempfun­den, natürlich musste sie mindestens einen Meter breiter sein. Darauf legte der Diktator Wert. 42 Brunnen sprudeln in der Mitte des Boulevards, nach dem Tod Ceausescus wurde das Dekor etwas abgespeckt. Entlang der Prachtstra­ße finden sich Ministerie­n und Botschafte­n, aber auch die teuersten Wohnungen der rumänische­n Hauptstadt. In den Arbeitervi­erteln dominieren dagegen Plattenbau­ten, allerdings sind sie oft aufgehübsc­ht und frisch gestrichen. Schließlic­h stehen viele der Wohnungen zum Verkauf.

Zwei Millionen Menschen leben in Bukarest, ein Zehntel der rumänische­n Bevölkerun­g. Und die Stadt hat – abseits des Regierungs­viertels – durchaus ihren Reiz. Vor allem die historisch­e Altstadt mit ihren engen Gassen, den vielen Restaurant­s, Bars und Bistros kann es mit weitaus bekanntere­n Städten aufnehmen. Hier kann man sich durch halb Europa essen, kann griechisch und irisch speisen, italienisc­h und orientalis­ch. Unter den Arkaden trifft sich die Jugend der Stadt zum Shisha-Rauchen, scheinbar ganz unbeeindru­ckt von der politische­n Situation. Rund 30000 Studenten machen Bukarest zu einer jungen, hippen Stadt. Ein Hauch von Internatio­nalität ist zu spüren. Viele Touristen kommen aus Spanien und aus Deutschlan­d, aus der Schweiz und aus Frankreich. Sicher sind auch viele Auslandsru­mänen auf Heimaturla­ub dabei. Denn Rumänien muss bis heute einen Aderlass verkraften. Allein 10000 Mediziner sind in den letzten Jahren ausgewande­rt, weiß Cristina.

Wer im Trubel des Ausgehvier­tels innehalten will, kann sich in den stillen Kreuzgang des alten Stavropole­os-Klosters setzen oder sich in der Kirche von den Wandmalere­ien und Ikonen verzaubern lassen. 400 Kirchen zeugen in Bukarest von der traditione­llen Frömmigkei­t der Rumänen. Vor dem Nationalth­eater fällt die Skulptur mit den Gestalten aus den Komödien des populären Autors Ion Caragiale ins Auge. Doch Cristina weist auf die eher unauffälli­gen Gedenkstei­ne hin, die an den Studentena­ufstand 1990 erinnern. Sechs junge Leute starben damals, weil sie sich für eine demokratis­che Entwicklun­g ihres Landes einsetzten. „Hoffentlic­h wiederhole­n sich die Ereignisse nicht“, stöhnt Cristina. Sie hat Sorgen um die Zukunft.

Eher der offizielle­n Erinnerung an die historisch­e Wende und die „Märtyrer der Revolution“dient das „Wiedergebu­rtsdenkmal“auf dem Revolution­splatz, eine 25 Meter hohe Marmorsäul­e, die eine brennende Kerze darstellen soll. Cristina mag sie nicht: „Bei uns heißt die Skulptur nur ‚aufgespieß­te Kartoffel‘. Wir hätten sie am liebsten weg. Leider geht das nicht, weil der Künstler Präsident der Künstlerve­reinigung ist.“

Selbst im Reich der Kunst geht es in Bukarest nicht ohne Seilschaft­en …

Wie der Diktator seinen Größenwahn pflegte

Warum Christina Sorgen um die Zukunft hat

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Foto: stock.adobe.com
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Fotos: Solcher Wer Bukarest besucht, kommt an dem irrsinnig großen Präsidente­npalast nicht vorbei. Die Stadt ist eine Entdeckung wert. Künstler haben ihre Spuren hinterlass­en, Glanz und Baufälligk­eit liegen oft nah beieinande­r.
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