Koenigsbrunner Zeitung

Hatte der Attentäter einen Helfer?

Terror Bilel Ben Ammar gilt als Schlüsself­igur bei der Aufklärung des Anschlags auf den Berliner Weihnachts­markt. Als Mittäter sieht ihn Innenminis­ter Horst Seehofer aber nicht

- VON STEFAN LANGE

Berlin Auf dem Breitschei­dplatz ist längst wieder Normalität eingekehrt. Mehr als zwei Jahre nach dem Anschlag auf den dortigen Weihnachts­markt flanieren Touristen über den Platz, Straßenmus­iker und Porträtmal­er hoffen auf einen Euro, die angrenzend­en Geschäfte sind voll. Die Frühlingss­onne bescheint einen Ort, an dem am Abend des 19. Dezember 2016 durch den Terroriste­n Anis Amri elf Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden. Seitdem sind einige Fragen beantworte­t worden und viele neu hinzugekom­men. Medienberi­chte legten zuletzt nahe, Amri sei bei der Tat von seinem engen Freund, dem Tunesier Bilel Ben Ammar, unterstütz­t worden. Bundesinne­nminister Horst Seehofer allerdings wies die Theorie von den „Terror-Zwillingen“zurück.

Der CSU-Politiker hatte am Donnerstag bei einer Pressekonf­erenz in seinem Ministeriu­m eine schwierige Mission zu erfüllen. Denn es stand nicht nur der Verdacht im Raum, Amri sei von Ben Ammar unterstütz­t worden. Seehofer und die ihm unterstell­ten Behörden müssen sich auch fragen lassen, warum Ben Ammar abgeschobe­n wurde und nicht etwa als Zeuge in deutscher Haft Soll etwas vertuscht werden? Seehofer wusste sichtlich um das Minenfeld, auf dem er sich bewegte. Steif stand er vor den Journalist­en, hielt sich offensicht­lich strikt an das vorbereite­te Manuskript und wirkte mit seiner monotonen Stimme fast wie ein Roboter.

Zunächst bestätigte Seehofer, was schon bekannt war: Ben Ammar ist ein gefährlich­er Mensch. Den deutschen Behörden galt er als „Person mit hoher kriminelle­r Energie“. Er war als Gefährder eingestuft und hatte sich auf deutschem Boden sage und schreibe zwölf verschiede­ne Identitäte­n zugelegt, mit denen er seinen Aufenthalt gegenüber den Behörden verschleie­rn konnte.

Seit dem 14. Januar 2017 galt Ben Ammar als „vollziehba­r ausreisepf­lichtig“, so Seehofer. Am 1. Februar 2017 wurde er tatsächlic­h nach Tunesien abgeschobe­n. Die deutschen Behörden hatten offenbar kein Interesse, den jungen Terrorverd­ächtigen im Land zu halten und als Zeugen zu hören. Es habe da eine „Güterabwäg­ung“gegeben, sagte Seehofer. Und die sei zugunsten der Abschiebun­g ausgefalle­n.

Die Sicherheit­sbehörden meinen, aus gutem Grund gehandelt zu haben: Ihren Erkenntnis­sen zufolge gibt es keinen einzigen Nachweis, dass Ben Ammar an dem Breitschei­dplatz-Attentat beteiligt war. Es gab demnach auch keine Anzeichen, dass er „zur Aufhellung des Anschlags hätte beitragen können oder wollen“. Einen angebliche­n Videobewei­s für eine solche Beteiligun­g wischte Seehofer vom Tisch.

Das Video sei von einem privaten Unternehme­n vom Europa-Center aus aufgenomme­n worden, sagte der CSU-Politiker. Das Center liegt gegenüber vom Breitschei­dplatz, die Entfernung war für eine scharfe Aufnahme angeblich zu groß, die Personen auf dem Video demnach nicht identifizi­erbar. „Nicht erkenntlic­h“ist nach Seehofers Worten auch, dass Ben Ammar jemandem mit einem Kantholz an den Kopf schlug, um Amri den Weg freizumach­en. Es gibt demnach auch keine anderen Aufnahmen, die Ben Ammar am Tatort zeigen.

Fotos vom Anschlag hatte Ben Ammar zwar auf seinem Handy. Doch die wurden nach Seehofers Aussage nicht von dem Tunesier selbst aufgenomme­n, sie wurden ihm vielmehr via Facebook zugeverbli­eb. sandt. Schließlic­h entkräftet­e der Bundesinne­nminister noch die Mär von einem angebliche­n Mittäter mit blauen Latexhands­chuhen. Den Mann gab es zwar, es handelte sich aber um einen Ersthelfer.

In einem wichtigen Punkt musste Seehofer allerdings das Unwissen der Sicherheit­sbehörden eingestehe­n. Nein, sagte der Innenminis­ter, er wisse nicht, wo sich Ben Ammar aufhalte. Man werde aber versuchen, es herauszukr­iegen. Man kann den Ermittlern dabei nur Glück wünschen. Denn der vom Bundestag eingericht­ete Untersuchu­ngsausschu­ss will Ben Ammar als Zeugen hören. Sollte seine Vernehmung nur deshalb nicht zustande kommen, weil sein Aufenthalt unbekannt ist, würde das den Verschwöru­ngstheorie­n von einer bewussten Verschleie­rung durch deutsche Behörden neuen Auftrieb geben.

FDP-Innenpolit­iker Benjamin Strasser jedenfalls findet, Seehofer müsse sich mehr anstrengen, um herauszufi­nden, wo Ben Ammar steckt. Er sagt: „Wer Ben Ammar mithilfe von Tunesien in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abschieben kann, muss auch mithilfe der tunesische­n Regierung herausfind­en können, wo sich Ben Ammar heute aufhält.“

Ein Video zeigt angeblich nur unscharfe Bilder

 ?? Archivfoto: Michael Kappeler, dpa ?? Mit diesem Lastwagen raste Anis Amri im Dezember 2016 über den Weihnachts­markt in Berlin.
Archivfoto: Michael Kappeler, dpa Mit diesem Lastwagen raste Anis Amri im Dezember 2016 über den Weihnachts­markt in Berlin.

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