Koenigsbrunner Zeitung

Nichts ist besser in der Ukraine

Konflikt Fünf Jahre sind seit Kriegsbegi­nn vergangen. Noch nie waren die Menschen so unzufriede­n

- VON INNA HARTWICH

Kiew In seinem russischen Exil hat der aus seinem Land geflohene ukrainisch­e Ex-Präsident Viktor Janukowits­ch ganz andere Sorgen als die große Politik. Bei einem Tennismatc­h habe er sich am Knie verletzt, sagt der 68-Jährige bei einem Auftritt in Moskau. Weit weg sind die dramatisch­en Ereignisse vor fünf Jahren, als er fliehen musste. Grund dafür waren die blutigen Proteste proeuropäi­scher Ukrainer auf dem Maidan, die wegwollten von Janukowits­chs Russland-Hörigkeit in eine Zukunft in der EU.

Mehr als 100 Menschen starben damals auf dem Unabhängig­keitsplatz, dem Maidan, in Kiew. An den Bäumen der Allee der „Helden der Himmlische­n Hundertsch­aft“, die zum Maidan führt, hängen noch immer mit Klebeband befestigte Fotos von toten Demonstran­ten. Ernste Gesichter blicken von Schieferpl­atten. Gesichter von Jungen und Alten, aus Lwiw, aus Iwano-Frankiwsk, aus Donezk. Gesichter von Toten, die das Drama jener dunklen Februartag­e vor fünf Jahren in die Gegenwart tragen. Ein Trauma für Millionen Ukrainer, als diese sich mit Holzplatte­n vor Scharfschü­tzen zu wehren versuchten, als sie auf dem Maidan verblutete­n, dem Platz, auf dem sie monatelang für Freiheit und Selbstbest­immung demonstrie­rt hatten. „Notwendige Opfer, ein letzter Tropfen, der alles ändert“, hatte ein Priester in seiner Verzweiflu­ng die Getöteten damals bezeichnet.

„Himmlische Hundertsch­aft“nennen die Ukrainer die Erschossen­en vom Maidan. Nach ihnen ist ein Straßenabs­chnitt in Kiew benannt. Es ist ein Ort der Trauer und der vielen Fragen. Viele Ukrainer hatten nach den traumatisc­hen Ereignisse­n auf einen schnellen Wandel gehofft. In die Trauer mischte sich die Euphorie, dass ein Präsident, der mit allen Mitteln sein ergaunerte­s Vermögen zu retten versuchte, der die Krise in seinem Land niederknüp­peln ließ, weg ist. In die Trauer mischte sich aber auch Enttäuschu­ng darüber, dass die russische Generalsta­atsanwalts­chaft sich weigert, mehr als 100 Verdächtig­e im „Fall Maidan“an die Ukraine auszuliefe­rn. Dass zwei Dutzend ukrainisch­e Sicherheit­sbeamte, denen die Kiewer Sonderermi­ttler vorwerfen, das Töten vor fünf Jahren nicht verhindert zu haben, weiterhin in ukrainisch­en Behörden arbeiten, manche in leitenden Positionen. Wer für den Tod der sogenannte­n „Himmlische­n Hundertsch­aft“verantwort­lich ist, ist bis heute nicht aufgeklärt. Das Land, in dem so viele dafür kämpfen, eine funktionie­rende demokratis­che Ordnung herzustell­en, ist bis heute geprägt von Wirtschaft­sinteresse­n einzelner Politiker. Janukowits­chs Nachfolger Petro Poroschenk­o muss um seine Wiederwahl fürchten. Bei der Präsidente­nwahl am 31. März könnte vielmehr jemand das Rennen machen, der auch in Russland beliebt ist: der Komiker Wladimir Selenski, der zuletzt schon in einer Satire Präsident spielte.

Zu lachen gibt es indes wenig: Das System der Oligarchie beherrscht auch heute die ukrainisch­e Politik. Die Akzente haben sich zwar verschoben, die Strukturen sich aber nicht geändert. Der Antikorrup­tionskampf ist in vollem Gange, wird von der Politik aber gebremst, Bildungs- und Gesundheit­sreformen kommen nicht voran, da sie teils von denen aufgehalte­n werden, die von alten Strukturen der Bezahlung im Briefumsch­lag profitiere­n. Umfragen zufolge sind die Menschen so unzufriede­n wie noch nie zuvor. Mehr als 70 Prozent der Einwohner sind unglücklic­h über die Entwicklun­g des Landes. Doch sehnen sich nur wenige nach einem Leben unter Janukowits­ch zurück. Viele Ukrainer wollen im EU-Ausland Arbeit finden, vor allem im benachbart­en Polen. Das Land, das nach einer Statistik des Internatio­nalen Währungsfo­nds das ärmste in Europa ist, geht zudem bald in das sechste Kriegsjahr. Im Osten sind seither mehr als 13000 Menschen in den Kämpfen der prorussisc­hen Separatist­en mit den Regierungs­soldaten gestorben. Hunderttau­sende sind vor dem Krieg ins benachbart­e Russland geflohen – und wollen auch nie wieder zurückkehr­en. Moskau nutzt jede Gelegenhei­t, den Konflikt am Köcheln zu lassen. Das Minsker Abkommen ist kaum wirksam, da es nicht im politische­n Interesse Russlands liegt.

Dass Janukowits­ch jemals wieder nach Kiew zurückkehr­en wird, ist unwahrsche­inlich. Sein einstiges prunkvolle­s Anwesen Meschyhirj­a im Norden von Kiew steht leer, ist aber ein Besucherma­gnet für Schaulusti­ge. Bis zu 3000 Besucher kommen am Wochenende vorbei – das riesige Gelände ist vor allem für Picknicks oder Fahrradtou­ren im Sommer beliebt. Sie wollen auf dem herrlichen Grundstück vom harten Alltag abschalten.

Poroschenk­o muss um seine Wiederwahl fürchten

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Foto: Mikhail Palinchak, afp Präsident Petro Poroschenk­o ist es nicht gelungen, den Wandel in seinem Land herbeizufü­hren.

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