Korruption: Prozess gegen Ingolstadts Ex-OB
Justiz Ab kommender Woche muss sich der frühere Oberbürgermeister Alfred Lehmann vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Bestechlichkeit und Untreue vor. Er beteuert seine Unschuld. Für den Ex-Politiker geht es um viel
Ingolstadt Wer durch das neue Viertel auf dem Gelände der alten Pionierkaserne geht, sieht, wie sehr Ingolstadt sich in den vergangenen Jahren verändert hat. Wo früher die Soldaten hausten, ist ein ganz neues Wohnquartier entstanden. Ein schniekes Appartementhaus reiht sich hier an das nächste. So wie hier sieht der Bauboom der vergangenen Jahre aus.
In Ingolstadt ist dieser wirtschaftliche Boom nicht nur mit Audi, sondern auch mit dem Namen Alfred Lehmann verknüpft. Der Alt-Oberbürgermeister war von 2002 bis 2014 überaus erfolgreich Chef im Rathaus. Der Beginn von Ingolstadts jüngstem, jahrelang währenden Aufschwung fällt in die Amtszeit des promovierten Betriebswirtes. Der bezeichnete seine Stadt gerne als „Bürgerkonzern“. Und dieser wuchs und gedieh. Das Wohnquartier auf dem alten Kasernenareal ist da nur eines von vielen Beispielen.
Hat der Boom bei Lehmann selbst Begehrlichkeiten geweckt? Der vormalige Bürgerkonzern-Chef besitzt dort – in einem sanierten Mannschaftsgebäude am Rande des Geländes – ein Dutzend Studentenwohnungen. Und um diese Immobilien und ein weiteres Appartement auf dem Gelände des Alten Krankenhauses geht es ab kommenden Donnerstag vor dem Landgericht Ingolstadt: Die Staatsanwaltschaft wirft Lehmann Bestechlichkeit und Untreue vor. Zwischen 2010 und 2013 soll er beim Verkauf von Flächen des Altstadtkrankenhauses und beim Verkauf eines Objekts auf dem Areal besagter Pionierkaserne gegen seine Dienstpflichten verstoßen haben. Im Gegenzug soll Lehmann laut Anklagebehörde „wirtschaftliche Vorteile“– in Form von vergünstigten Konditionen beim privaten Kauf mehrerer Wohnungen – erhalten haben. Die Summe ist laut Anklage insgesamt sechsstellig. Die Objekte, um die es geht, waren jeweils im Besitz der öffentlichen
Hand. Die Immobilien auf dem Gelände der früheren Pionierkaserne wurden seinerzeit von der städtischen Industriefördergesellschaft (IFG) weiterverkauft, deren Verwaltungsratsvorsitzender Lehmann damals war. Das abgerissene Altstadtkrankenhaus – hier stehen inzwischen moderne Innenstadtappartements – gehörte dem Klinikum. Mit dem Verkauf befasst war der Krankenhauszweckverband, dem Lehmann damals auch vorstand. Den weiteren Angaben der Staatsanwaltschaft zufolge besteht ferner der Verdacht, dass dem Zweckverband ein Schaden in „niederem siebenstelligen Bereich“entstanden sein könnte. Mit Lehmann sind zwei jeweils verantwortliche Vertreter der beiden KäuferFirmen wegen Bestechung (und Beihilfe zur Untreue) angeklagt. Während man in Regensburg in den letzten Monaten schon einige Erfahrungen mit einem Ex-OB auf der Anklagebank sammeln konnte, betritt die Ingolstädter Justiz ab kommende Woche Neuland. In der Stadtgeschichte hat es ziemlich lange nichts Vergleichbares gegeben. Laut Stadtarchiv gab es das letzte Mal gegen Mitte des 19. Jahrhunderts einen Prozess gegen ein Stadtoberhaupt. Der Mann hieß Johann Baptist Lonich. Es ging dabei um Veruntreuung von Geldern.
Lehmann hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stets zurückgewiesen. Es gilt die Unschuldsvermutung, bis sich im Laufe der von der 1. Strafkammer angesetzten 16 Verhandlungstage möglicherweise das Gegenteil herausstellen sollte. Den Vorsitz hat Landgerichtsvizepräsident Jochen Bösl. Er sitzt einer Kammer vor, die unter ihm und seinem Vorgänger Paul Weingartner seit über 25 Jahren kein einziges Urteil vom Bundesgerichtshof „zurückbekommen“hat. Sprich: Alle Revisionsanträge seither wurden als unbegründet zurückgewiesen. Das spricht für sehr gründliche Arbeit.
Knapp 50 Zeugen sind geladen. Unter ihnen ist auch der amtierende Oberbürgermeister Christian Lösel. Er wird allerdings lediglich zu einem Randthema befragt werden, wie das Gericht mitteilt. Ferner hat die Kammer ein Gutachten für Immobilienund Grundstücksbewertung bei einem Sachverständigen in Auftrag gegeben.
Wenn der Prozess gegen Lehmann beginnt, wird auch zum ersten Mal in einem öffentlichen Prozess die Ingolstädter Klinikumsaffäre um Mauscheleien und undurchsichtige Auftragsvergaben aufgearbeitet. Seit Herbst 2016 treibt der Skandal die Stadt um, und in dessen Strudel war auch Lehmann in den Fokus der Ermittler geraten. Die Vorwürfe gegen den Ex-OB betreffen in der vielschichtig gelagerten Gemengelage einen Teilkomplex und waren unter eigenem Aktenzeichen geführt worden. Während es zum Prozess gegen den auch wegen Untreue angeklagten früheren Geschäftsführer des Klinikums nach dessen Suizid in der U-Haft nicht mehr kam und die Schuldfrage folglich nicht mehr geklärt werden konnte, haben alle 16 weiteren Beschuldigten inzwischen entweder einen Strafbefehl akzeptiert oder die Verfahren wurden – zumeist gegen Geldzahlungen – eingestellt.
Auch Lehmann hat, wie berichtet, indes ein juristisches Problem weniger. Ein weiteres Verfahren wegen einer umstrittenen Beratertätigkeit hat die Staatsanwaltschaft nicht eingeleitet. Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten hatten sich nicht ergeben.
In dem nun beginnenden Prozess könnte ein Urteil am 10. Mai verkündet werden. Lehmann drohen – im Fall einer Verurteilung – bis zu zehn Jahre Haft, weil es sich jeweils um besonders schwere Fälle handelt. Hinzu kämen gegebenenfalls zivilrechtliche Ansprüche. Ferner drohen auch disziplinarrechtliche Konsequenzen wie etwa die Aberkennung seines Ruhegehaltes oder die Kürzung seiner Pensionsansprüche. Ein bereits eingeleitetes Verfahren ruht nach Angaben der dafür zuständigen Landesanwaltschaft so lange, bis das Strafverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist.
Weckte der Boom der Stadt Begehrlichkeiten beim OB?
Ingolstadts Ex-OB Alfred Lehmann.