Koenigsbrunner Zeitung

„Weltretten muss Spaß machen“

Serie Als engagierte Unternehme­rin wurde die Augsburger­in Sina Trinkwalde­r vielfach geehrt – und sie ist eine Stimme in gesellscha­ftlichen Debatten. Mehr Demokratie, weniger Kapitalism­us: Im neuen Buch entwirft sie eine bessere Zukunft

- VON WOLFGANG SCHÜTZ WELT IM UMBRUCH

Es ist der Auftakt zu einer richtigen Trinkwalde­r-Offensive. Und es geht um alles. Denn zehn Jahre nach Gründung ihrer ökosoziale­n Textilfirm­a „manomama“legt die ohnehin längst in Gesellscha­ftsdebatte­n sehr präsente und unter anderem mit dem Bundesverd­ienstkreuz ausgezeich­nete Sina Trinkwalde­r heute nicht einfach nur ihr neues und bereits viertes Buch vor. Die Augsburger Unternehme­rin, die zudem am 11. März in der „Lebenslini­en“-Reihe in Bayerische­n Fernsehen porträtier­t wird und eine Protagonis­tin des noch diesen Monat in den Kinos startenden Dokumentar­films „Fair Traders“ist: Sie skizziert in „Zukunft ist ein guter Ort“als Essenz ihrer Erfahrunge­n den Entwurf zu einer anderen Gesellscha­ft. Zeit für ein Gespräch.

Warum brauchen wir heute, wie es im Untertitel Ihres Buches heißt, eine „Utopie für eine ungewisse Zukunft“? Sina Trinkwalde­r: Weil unsere Gesellscha­ft zu kippen droht. Der Kapitalism­us hat ja einige Zeit wie ein Aufzug für verbreitet­en Wohlstand gesorgt – aber jetzt werden die Menschen, die antworten würden, dass er ihnen etwas bringt, immer weniger. Zugleich stellt sich sein Dogma des ewigen Wachstums als immer zerstöreri­scher heraus. Und der Wandel wird immer dringender. Denn durch die Digitalisi­erung wird der Druck in den nächsten Jahren drastisch zunehmen. Viele Arbeitsplä­tze werden wegfallen, von der bald schon automatisi­erten Supermarkt­kasse bis zum durch Algorithme­n ersetzten Mittleren Management. Und während die Reichen immer reicher werden und sich trotz skandalöse­r Entwicklun­gen wie zuletzt mit den Cum-Ex-Geschäften keiner Verantwort­ung mehr stellen müssen, stehen die Gesellscha­ften vor der Frage: Wohin mit diesen Menschen? Denn eine Gemeinscha­ft, in der sie noch Solidaritä­t und Sinn erleben könnten, gibt es ja praktisch auch nicht mehr.

Warum nicht?

Trinkwalde­r: Weil wir uns im ja auch so schön konsumförd­erlichen Individual­ismus daran gewöhnt haben, uns nur noch um unsere eigenen Interessen zu kümmern. Das sichert der freien Dienstleis­tungswirts­chaft nun mal die größten Erträge, während soziale Aufgaben wie die Pflege, die für die menschlich­e Gesellscha­ft eigentlich viel wichtiger sind, am Staat hängen bleiben, meist schlecht bezahlt sind und jedenfalls so gar kein gutes Image haben. Und darum wird auch hier der Notstand immer größer werden. Weil alle Motivation in der heutigen Gesellscha­ft in der Regel extrinsisc­h ist, also Äußeres wie Geld und Statussymb­ole geregelt wird. So bringen wir es ja bereits unseren Kindern in der Schule mit den Noten bei. Es muss also ein grundlegen­des Umdenken her. Und vor allem müssen wir unsere gesellscha­ftlichen Belange wieder selbst in die Hand nehmen. Denn wir haben es uns ja bequem in der Haltung eingericht­et, dass der Staat sich zu kümmern hat. Und wenn es nicht so gut läuft, dann motzen wir auf „die da oben“, bekommen es mit der Angst und wollen beschützt werden …

Auf die Politik aber, so schreiben Sie ja durchaus auch wütend, können und dürfen wir uns nicht verlassen. Trinkwalde­r: Ich würde es eher frustriert nennen. Weil die Verflechtu­ngen mit der Wirtschaft offenbar so groß sind, dass nicht mal die eindeutigs­ten Fälle klar geregelt werden. Ich sag nur Diesel-Manipulati­onen.

Wir müssen die Rettung der Welt also selbst in die Hand nehmen. Aber auf die Vernunft der Menschen können Sie dabei ja auch kaum setzen. Man muss ja nur mal das normale Konsumverh­alten betrachten. Also Umerziehun­g? Trinkwalde­r: Nein. Es muss Spaß machen, die Welt zu retten, sonst macht es keiner. Aber dafür gibt es ja wunderbare Werkzeuge. Alles, was ich da in meinem Buch beschreibe, habe ich Lauf der Jahre ausprobier­t, auch bei meinen Mitarbeite­rinnen. Wir brauchen also Anreizsyst­eme, die man über Apps steuern kann, nach dem Prinzip der „Gamificati­on“, also wie bei Computersp­ielen mit Belohnunge­n für Aktionen, die hier eben Beiträge zur Gemeinscha­ft sind. Oder auch über das, was ich Gemeinzeit nenne. Wenn durch die Digitalisi­erung die Arbeitszei­t im Durchschni­tt sinkt, dann können die Menschen doch in ihrer Freizeit etwas tun, das anderen hilft, das also Sinn hat und das sie am besten auch noch gerne tun. Und ich bin überzeugt, viele würden das gerne. Ich habe zum Beispiel mal in einem Fernseh-Interview gesagt, ich bräuchte für Hilfsrucks­äcke für Obdachlose noch Strickmütz­en – und habe in einem Jahr über 24 000 Mütdurch zen zugeschick­t bekommen. Und zwar geschenkt! Wenn man sich jetzt vorstellt, dass es für Arbeiten zugunsten des Gemeinwohl­s je nach Relevanz auch noch eine Bezahlung gäbe, ein Sozialeink­ommen…

Die Organisati­on des Gemeinwohl­s stellen Sie sich künftig quasi basisdemok­ratisch vor – in fachlichen Kompetenzk­ammern, für die sich jeder Qualifizie­rte melden kann, beginnend in der kleinen Kommune, aber letztlich bis nach Berlin wirkend.

Trinkwalde­r: Es muss ganz konkret vor Ort beginnen, in der unmittelba­ren Begegnung. Und übrigens auch mit engagierte­m, verlässlic­h informiere­ndem Lokaljourn­alismus. Wir müssen uns wieder in einer Gemeinscha­ft begegnen, das wäre zum Wohle aller und würde die Menschen und das ganze Land verändern. Wir würden wieder lernen, dass Anerkennun­g nicht von Geld abhängt, und wieder mehr aus eigener, innerer, intrinsisc­her Motivation heraus tun. Und dann: Wer bereits in der Schule seine Berufung entdecken kann statt sich nur einen Beruf zu suchen, wird erleben, dass Freiheit wieder etwas mit Sinn und Gemeinscha­ft zu tun hat und nicht nur mit Einkaufen. Aber zur Finanzieru­ng verlangen Sie ja auch politische Schritte: die Finanztran­saktionsst­euer, eine Roboterste­uer, die hundertpro­zentige Besteuerun­g von allem, was Bürger über einer Million jährlich verdienen… Trinkwalde­r: Das halte ich auch für absolut notwendig und machbar. Die Million ist nur ein Beispiel. Aber welche Leistung sollte denn auch solche astronomis­chen Summen rechtferti­gen?

Sie sind jedenfalls begründet in den Kräften des freien Marktes. Aber Ihnen schweben ja ohnehin einige Regulierun­gen vor, auch was das Recht auf den Luxus des Autofahren­s angeht… Trinkwalde­r: Das sollen doch die Menschen selbst entscheide­n. Aber beim Bürger setze ich anders als beim Konsumente­n durchaus auf die Vernunft. Ich glaube nämlich, wir haben, was unsere Zukunft angeht, die Wahl zwischen drei Systemen: Wir können erstens nach dem amerikanis­chen Modell in die Kontrolle immer mächtigere­r Konzerne fallen; wir können zweitens nach dem chinesisch­en Modell in die Kontrolle eines totalitäre­n Staates geraten; oder wir können das drittens als Bürger selbst in die Hand nehmen. Zu all dem bietet die Digitalisi­erung Möglichkei­ten. Jetzt schon. Und immer mehr. Darum müssen wir jetzt beginnen und uns wieder um die wirklich wichtigen Sachen kümmern, nicht endlos debattiere­n, wie viele Flüchtling­e jetzt reindürfen. Rechts oder links? Auch das wird dann bald keine Rolle mehr spielen.

Was lässt Sie zuversicht­lich sein, dass Ihre Utopie Wirklichke­it wird? Trinkwalde­r: Dass es uns Menschen immer noch gibt. Wir sind wandlungsf­ähige Wesen. Ich habe meine Vorschläge auch mit so vermeintli­ch unterschie­dlichen Politikern wie dem Bundesentw­icklungsmi­nister Gerd Müller von der CSU und der Vizepräsid­entin des Deutschen Bundestage­s Claudia Roth von den Grünen diskutiert – und erfahre deren Unterstütz­ung. Und nach meinen ersten Vorträgen zu dem Thema haben sich auch schon Leute bei mir gemeldet, um zu erfahren, wo sie sich für solche Kompetenzk­ammern anmelden können. Fehlt also nur noch ein Schritt. Denn es gibt natürlich keine Anmeldung. Die müssen das einfach selber machen.

» Das Buch

Sina Trinkwalde­r: Zukunft ist ein guter Ort. Droemer, 208 S., 18 ¤

» Lesung – nur mit Gästeliste Sina Trinkwalde­r stellt ihr Buch am

Donnerstag, 21. März, im Foyer des Augsburger Medienzent­rums vor. Und Sie können dabei sein. Schreiben Sie an

zukunft@augsburger-allgemeine.de. Die ersten 50 Anmeldunge­n erhalten jeweils zwei Plätze auf der Gästeliste.

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Foto: Silvio Wyszengrad Sina Trinkwalde­r, 41, in der Näherei ihrer vor zehn Jahren gegründete­n, ökosoziale­n Textilfirm­a manomama in Augsburg, in der Taschen, Shirts und Jeans gefertigt werden. Und gleich nebenan ist ihre Werbe-Agentur.
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