Als Brecht nicht auf die Straße ging
Brechtfestival 2019 unter dem Motto „Für Städtebewohner*Innen“Ausstellung Eine Woche lang unterstützte Augsburg die Räterepublik. Brecht blieb wohlwollend distanziert dazu, auch in seinen Werken. Allerdings bereitete ihm dieser Umgang mit der Revolution s
Nur sieben Tage dauerte in Augsburg die Revolution: Am 7. April 1919 rief der revolutionäre Zentralrat aufgrund der Augsburger Forderung die Räterepublik aus, am 14. April schwenkte Augsburg um und unterstützte wieder die SPD-geführte Hoffmann-Regierung, die in Bamberg saß. In dem umfangreichen Zeitungsbestand der Staatsund Stadtbibliothek Augsburg ist das nachzulesen. Interessant ist dort auch, was zwischen den Zeilen steht. Die München-Augsburger-Abendzeitung veröffentlichte am 7. April die Proklamation mit dem Hinweis: Auf Anordnung des Zentralrats. Dort, wo der Zentralrat das Blatt zensierte, ließ die Redaktion den Freiraum stehen – ein Zeichen des Protests.
Zu sehen ist das in der Ausstellung „…vollends ganz zum Bolschewisten geworden…? – Die Räterepublik 1919 in der Wahrnehmung Bertolt Brechts“. Die Bibliothek und Augsburgs Brechtforscher Jürgen Hillesheim haben darin zweierlei zusammengetragen: einen Abriss der Revolutionsgeschichte in Bayern, wie er sich in Augsburger Zeitungen niedergeschlagen hat. Und dann Brechts Verhältnis zu dieser Revolution, die ja gerade in die Anfänge seines Lebens als Schrift- steller fällt: 1918/19 schrieb Brecht mit „Baal“und „Trommeln in der Nacht“seine ersten Stücke.
Brecht verfolgte die Revolution aufmerksam, aber distanziert und durchaus pointiert-ironisch – wie zum Beispiel zwei Briefen Paula Banholzer zu entnehmen ist, die ebenfalls in der Schau präsentiert werden, datiert auf den 15. und 16. April, als die Revolution in Augsburg schon wieder abgesagt war. Darin präsentiert er sich seiner „Bi“als besonnener Revolutionär, der alle zur Mäßigung angehalten hat, um fortzufahren, dass Tage zuvor sein Vater ihm verboten habe, auf die Straße zu gehen, weil die Situation dort zu brenzlig sei. Für Hillesheim ein Zeichen, dass Brecht diese Revolution dazu benutzt habe, sich selbst zu stilisieren.
Zu sehen sind auch die Erstausgabe von „Trommeln in der Nacht“und das Typoskript einer Bearbeitung des Stücks aus dem Jahr 1967/68. Brechtforscher Jürgen Hillesheim arbeitet in dem gut 50 Seiten langen einführenden Text des Ausstellungskatalogs heraus, dass gerade „Trommeln in der Nacht“einen Schlüssel zum Verständnis von Brechts Blick auf die Revolution darstellt – vor allem im Verlauf der Karriere. Die Hauptfigur Kragler entscheidet sich in den Revolutionsunruhen nach dem Ersten Weltkrieg nicht für den Kampf mit den Genossen, sondern das Bett seiner Frau. Immer wieder musste Brecht sich später – vor allem in seiner Zeit in der DDR – für dieses antirevolutionäre Ende rechtfertigen. Brecht distanzierte sich öffentlich vom Werk, änderte den Schluss aber nie. Das übernahmen Jahre nach seinem Tod Theaterleute aus dem Umfeld des Berliner Ensembles, die eine Fassung erstellten, die endlich das Frühwerk auf SED-Linie brachte, nun als ein eindrucksvolles Stück marxistisch-leninistischer Literaturgeschichtsklitterung. ⓘ
Ausstellung In der Staats- und Stadtbibliothek ist die Schau bis zum 26. April zu sehen. Führungen gibt es montags um 11 Uhr, mittwochs um 13 Uhr und freitags um 15 Uhr. Geöffnet ist die Schau Montag bis Freitag von 11 bis 16 Uhr. Im Wißner-Verlag ist dazu ein umfangreicher und äußerst informativer Katalog erschienen (152 Seiten, 19,80 Euro)