Bahn-Ausbau: Die Fronten bleiben hart
Verkehr Der große Krach zwischen Politikern aus Stadt und Land fällt bei der Projektvorstellung für die Strecke Augsburg–Ulm aus, doch Meinungsunterschiede gibt es weiterhin. Pro Bahn fordert Geschlossenheit
Die Bahn hat gestern offiziell den Startschuss für die Planungen zum Aus- oder Neubau der Bahnstrecke Augsburg–Ulm gegeben. Ziel des etwa zwei Milliarden Euro teuren Projekts ist es, Augsburg besser an den Fernverkehr anzuschließen und das Umland besser mit dem S-Bahnähnlichen Verkehr zu erschließen. Momentan, so Klaus-Dieter Josel, Konzernbevollmächtigter der Deutschen Bahn in Bayern, sei aber noch offen, wo die Strecke verlaufen soll. „Sowohl ein Ausbau der Bestandsstrecke als auch der Bau einer neuen Strecke in bestimmten Abschnitten wäre denkbar.“
Die Bahn werde nun in einem ersten Schritt untersuchen, welche Trasse die vom Bund vorgegebenen Ziele erreichen könne. Neben einer Verkürzung der Fahrzeit zwischen Augsburg und Ulm von 40 auf 30 Minuten ist eine Vorgabe des Bundes, dass mit der neuen Strecke auch die Kapazitäten erhöht werden sollen. Absehbar ist, dass es mehr Fernverkehrszüge geben soll. Wann man mit ersten Planungsergebnissen aufwarten könne, sei heute nicht vorhersagbar, so Josel.
Wie berichtet gab es in den Wochen vor dem Auftakt, der gestern vor etwa 60 Abgeordneten, Landräten und Bürgermeistern aus Schwaben stattfand, Streit über die beste Trassenvariante. Innerhalb der CSU wurden Meinungsunterschiede zwischen Politikern aus Augsburg und dem Umland deutlich. Zu einem offenen Schlagabtausch ließen sich die Politiker bei der Auftaktveranstaltung im Rokoko-Saal der Regierung von Schwaben zwar nicht hinreißen, doch auch so wurde deutlich, wer wo steht – Politiker aus Augsburg und dem Umland saßen in unterschiedlichen Hälften des Saals.
Im Kern geht es um die Frage, ob für die Ertüchtigung der heute schon stark ausgelasteten Strecke Gleise entlang der 85 Kilometer langen kurvenreichen Bestandsstrecke gebaut werden sollen oder ob ein Neubau nur für den Fernverkehr – etwa entlang der A8 – infrage kommt. Letzteres lehnen Politiker aus dem Umland ab. Eine Neubaustrecke würde zwar den Fernverkehr von der Bestandsstrecke bringen und somit dafür sorgen, dass der Fugger-Express ungestört im Takt fahren kann – doch die Befürchtung ist, dass die Realisierung der Neubaustrecke viel zu lange dauert, wenn sie überhaupt kommt.
Zu Wort meldeten sich Landrat Martin Sailer (CSU) und mehrere Bürgermeister aus dem westlichen Umland. Der Ausbau für den Fernverkehr sei ja schön und gut, aber ihm gehe es um Pendler und Schüler aus seinem Ort, sagte etwa der Dinkelscherber Bürgermeister Edgar Kalb. Dafür sei der Ausbau der Bestandsstrecke mit einem dritten Gleis nötig. Dieses Gleis schafft Platz für den Nahverkehr, der wegen überholender ICE aktuell häufig mit Verspätungen zu kämpfen hat. Wie berichtet hat sich auch die schwäbische CSU für einen Ausbau der Bestandsstrecke positioniert und lehnt einen Neubau ab.
Das sei voreilig, sagte der Augsburger Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich (CSU). Es müsse allen klar sein, dass die Vorgabe des Bun- die Fahrtzeit auf 30 Minuten zu reduzieren, zwingend erfüllt werden müsse, weil es sonst kein Geld für den Streckenbau gebe. Dies sei der entscheidende Punkt bei der Variantenwahl. Andernfalls drohe, dass die Bahn Fernverkehrszüge abzieht. „Augsburg darf sich nicht abhängen lassen nach der bitteren Erfahrung mit der Ingolstadt-Trasse“, so Ullrich. Augsburg sei als Wirtschaftsstandort auf gute Fernverbindungen angewiesen, so auch die Augsburger Bürgermeisterin Eva Weber (CSU). Gleichwohl betonten beide, dass der Nahverkehr nicht unter den Tisch fallen dürfe.
Der bayerische Verkehrsminister Hans Reichhart (CSU; JettingenScheppach), der am Vortag in einer Presseerklärung der schwäbischen CSU noch „Wunschträumen“eine Absage erteilt und deutlich gemacht hatte, dass „wir keine Neubautrasse entlang der Autobahn brauchen“, schlug gestern sanftere Töne an. Dass man die Zielvorgabe von 30 Minuten Fahrtzeit einhalten müsse, sei Konsens bei allen, ebenso dass es Verbesserungen für den Nahverkehr geben müsse. „Das Projekt ist eminent wichtig für Schwaben“, so Reichhart. Man dürfe keinesfalls zulassen, dass Streitereien dafür sorgen, dass das Projekt in die zweite Reihe fällt.
Der Fahrgastverband Pro Bahn forderte gestern die Politik dazu auf, sich spätestens zum Jahresende auf eine Variante zu einigen. „Falls dies nicht gelingen sollte, befürchten wir, dass keine der Varianten realisiert wird“, heißt es in einer Stellungnahme. Um alle geplanten Schienenprojekte in Deutschland umsetzen zu können, sei zu wenig Geld da. Umstrittene Projekte gerieten schnell ins Hintertreffen. Pro Bahn würde eher einen Neubau an der A 8 bevorzugen, unter anderem, weil der Ausbau der Bestandsstrecke mit drittem Gleis dem Nahverdes, kehr nicht genug Freiräume verschaffe. Der Fahrgastverband sagt aber auch, dass ein entscheidender Faktor, nämlich die Realisierungszeit der Varianten, heute nicht einschätzbar sei.
Klar ist, dass ein kompletter Neubau viel Planung erfordert. Dafür kann oft schneller gebaut werden als an einer Bestandsstrecke – was am Ende schneller geht, ist noch ungewiss. Bis Züge rollen werden, wird es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern. Der 2011 abgeschlossene viergleisige Ausbau der Strecke Augsburg–München nahm 13 Jahre in Anspruch, die Vorplanungen begannen Anfang der 1990er-Jahre.
Die Bahn will im ersten Schritt das Projekt analysieren, bevor sie in die Vorplanung geht und erste Varianten erarbeitet. Vorgesehen sind ab dem Frühjahr Gespräche mit Kommunen an der Strecke, später soll die Öffentlichkeit beteiligt werden. und Seite 11