Die Faszination verlassener Orte
Der Augsburger Robert Harpaintner fotografiert in seiner Freizeit Orte, an denen niemand mehr lebt oder arbeitet. Manchmal stößt er dabei nicht nur auf außergewöhnliche Überbleibsel längst vergangener Zeiten
Wenn Robert Harpaintner und seine Frau am Wochenende wegfahren, dann hat das wenig mit Entspannung zu tun. Denn statt wie die meisten Leute einen Ausflug ins Museum oder ins Grüne zu machen, begeben sich die beiden auf die Suche nach verlassenen Gebäuden. Das Ehepaar teilt eine Faszination für Plätze, die eigentlich längst Geschichte sind. Die Rede ist von sogenannten „Lost Places“, grob übersetzt also vergessenen Orten.
Mit Lost Places sind alte Gebäude gemeint, die leer stehen und größtenteils in Vergessenheit geraten sind. Seit zehn Jahren ist Harpaintner fast jedes Wochenende unterwegs, um genau diese Orte zu finden und zu fotografieren. Orte, an denen man neben alten Habseligkeiten und maroden Möbelstücken sogar noch Überreste eines Frühstücks finden kann: „In einem ehemaligen Hotel entdeckte ich Brot, das fast 60 Jahre alt sein musste. Das war schon faszinierend“, schwärmt Harpaintner, der hauptberuflich als Autokranfahrer arbeitet.
Für seine zahlreichen Reisen hat der Augsburger sich im November extra einen Bus gekauft und ihn zum Camper ausgebaut – Fernseher, Kaffeemaschine und Kochstelle inklusive. Darin wird auch übernachtet, wenn eine Reise mal wieder länger dauert, wie zum Beispiel nach Sachsen oder Thüringen. Dorthin fährt er fast einmal im Monat – meist in Begleitung seiner Frau.
Die neuen Bundesländer haben es Harpaintner überhaupt angetan: „Dort stehen so viele alte Kinderheime, Pionierlager und Krankenhäuser leer“, berichtet Harpaintner. Wo genau die Gebäude stehen, möchte er nicht verraten: „Das bleibt ein Geheimnis.“Sonst wäre der Lost Place allzu schnell von an- deren Fotografen und Besuchern überlaufen. Während Harpaintner für das Fotografieren der Orte zuständig ist, übernimmt seine Frau die Recherche. Die Harpaintners sind ein eingespieltes Team, das aufgrund seines ungewöhnlichen Hobbys oft das Interesse der Einheimischen weckt. „Wir lernen so viele nette Menschen kennen, von denen wir schon einiges über die entsprechenden Plätze lernen konnten“, freut sich Harpaintner.
Doch nicht immer sind seine Erfahrungen positiv. „Manchmal treffe ich an den verlassenen Orten Obdachlose. Zuletzt eine junge Frau aus Augsburg, die allein in einer ehemaligen Wirtschaft lebt. So etwas stimmt mich dann schon traurig“, gibt Harpaintner zu. Auch die Angst vor dem Ungewissen sei ein ständiger Begleiter: „Viele Lost Places sind sehr entlegen und teilweise auch gefährlich. Für den Fall, dass mir etwas zustößt, schicke ich meiner Familie immer meinen aktuellen Standort.“Bisher sei jedoch stets alles gut gegangen und auch größerer Ärger sei ihm bisweilen erspart geblieben.
Das liegt vielleicht auch daran, dass der 50-Jährige die alten Gebäude und ihre Schätze mit viel Respekt behandelt: „Ich würde mir niemals gewaltvoll Zugang zu einem Gebäude verschaffen“, beteuert er. Ein Ort, der verschlossen ist, ist damit tabu. Für Harpaintner ist es zudem eine Selbstverständlichkeit, dass er die Plätze nach getaner Arbeit genauso verlässt, wie er sie vorgefunden hat. Das gilt für Lost Places in Thüringen und Sachsen genauso wie für solche in Italien. Doch nicht nur in der Ferne, auch in Augsburg gibt es Lost Places – wenn auch nicht mehr so viele wie noch vor zehn Jahren: „Als ich mit der Fotografie angefangen habe, standen in Augsburg noch viele Gebäude leer. Mittlerweile ist die Stadt sehr ordentlich, was die Suche nach Lost Places erschwert“, erzählt Harpaintner.
Letzten Endes wird er jedoch immer fündig: „Da ich in Augsburg aufgewachsen bin, kenne ich mich ziemlich gut in der Stadt aus. Durch meine Arbeit komme ich außerdem viel herum und finde immer wieder neue Lost Places“, sagt er. Info Wer sich für die Fotografien dieser verlassenen Örtlichkeiten und Kontakt zu Fotografen interessiert, kann Harpaintners Facebook-gruppe „Augsburg und Umland lost place“beitreten.