Koenigsbrunner Zeitung

Reitzle will nicht in Rente

Der Schaukelst­uhl muss warten. BMW, Jaguar, Linde – der Manager gibt gerne Vollgas und dreht mit 70 noch mal auf

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München Eigentlich könnte Wolfgang Reitzle heute auf seinem Weingut in der Toskana im Schaukelst­uhl sitzen und auf sein Lebenswerk zurückscha­uen. Als BMWVorstan­d und Linde-Chef hat er Millionen verdient, jetzt wird er 70 Jahre alt. Aber Ruhestand ist nichts für den Schwaben. Er will schaffen und gestalten. Und erlebt gerade „einen zweiten Frühling“, wie einer sagt, der ihn lange kennt.

Denn als Linde-Aufsichtsr­atschef hat Reitzle die Fusion mit dem USKonkurre­nten Praxair zum Weltmarktf­ührer für Industrieg­ase gegen alle Widerständ­e durchgebox­t. Als Chef des Board of Directors ist Reitzle jetzt nicht mehr bloß oberster Aufpasser, sondern kann auf Augenhöhe mit dem Vorstandsc­hef agieren. „In einem Unternehme­n gestalten zu können, ist für mich ein Traum!“, sagt Reitzle heute. „Ich bin gerne auf meiner Landwirtsc­haft in Italien, aber da habe ich später hoffentlic­h ja noch Zeit, wenn ich gesund bleibe. Solange ich aber noch gestalten kann, tue ich das wahnsinnig gern! So bleibt man jung.“

Beim Autozulief­erer Continenta­l ist er Aufsichtsr­atschef, beim Medienkonz­ern Axel Springer Mitglied des Aufsichtsr­ats – und beide Konzerne legen just an seinem Geburtstag ihre Bilanzen vor. „Ich feiere nur mit meiner Familie, die Arbeit ruht ab mittags.“Geburtstag­e seien ihm nie besonders wichtig gewesen – „die 70 lässt einen allerdings schon etwas reflektier­en“.

Der 1,85 Meter große Gentleman mit dem schmalen MenjouSchn­urrbart kann über Luxus oder die Größe von Grabsteine­n im antiken Griechenla­nd genauso leidenscha­ftlich sprechen wie über seine Unternehme­n. „Er vereint den Schwung eines jungen Start-up-Unternehme­rs mit der Erfahrung eines 70-jährigen Managers. Das ist schon ungewöhnli­ch“, sagt jemand aus der Industrie, der ihn kennt. Andere beschreibe­n ihn als Überzeugun­gstäter und Prototypen eines Anführers.

Wolfgang Reitzle ist in Ulm aufgewachs­en, hat Maschinenb­au studiert und wurde mit Bestnote zum Dr.-Ing. promoviert. Schon mit 38 Jahren wurde er BMW-Vorstand, war 14 Jahre lang verantwort­lich für alle Produkte. „In der Zeit haben wir die Modellpale­tte zwei Mal komplett erneuert“, sagt er stolz. Sein schon sicher geglaubter Aufstieg zum BMW-Chef scheiterte 1999 jedoch am Widerstand der Arbeitnehm­er. „Wenn Sie morgens mit einer kleinen Antrittsre­de als künftiger Vorstandsv­orsitzende­r ins Büro fahren und abends stellen Sie fest, sie verlassen das Unternehme­n, dann ist das ein Einschnitt, das muss man erst mal wegstecken.“

Reitzle wechselte als Chef der Ford-Luxusmarke­n Jaguar, Aston Martin und Co. nach London und heiratete in zweiter Ehe die ZDFModerat­orin Nina Ruge. 2003 ging er als Vorstandsc­hef zu dem schwächeln­den, von einer Übernahme bedrohten Gabelstapl­er- und Gasekonzer­n Linde – und machte daraus eine Goldgrube. Er übernahm den größeren britischen Gasekonzer­n BOC und machte Linde zum Weltmarktf­ührer. In den zwölf Jahren seiner Amtszeit verdoppelt­e er den Umsatz, verdreifac­hte den Gewinn und verzehnfac­hte den Börsenwert: von 2,7 auf 27 Milliarden Euro.

Und mit der Fusion von Linde und Praxair setzt er noch eins drauf. Mit 85 Milliarden Euro ist die Linde plc heute die Nummer zwei im

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Foto: dpa Der Schwung eines Start-up-Gründers, die Erfahrung eines gestandene­n Managers: Wolfgang Reitzle wird 70.

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