Auf dem Tisch wird es bunter
Lange Zeit kam nur weißes Geschirr auf den Tisch, alles passend aus einem Service. Doch nun bringen immer mehr Köche und Designer Abwechslung bei Farben und Formen. Der Trend zur Natürlichkeit setzt sogar auf absichtliche Makel
Weißes Geschirr ist der Klassiker, doch nicht nur in Spitzenrestaurants fällt ein neuer Trend auf: Von Gang zu Gang herrscht mitunter bunte Abwechslung an Formen und Farben der Teller – längst muss nicht mehr alles aus einem Service eines Herstellers stammen. Und nun greifen auch immer mehr Hersteller den Geschirrtrend in aller Breite auf. Schaut man sich die diesjährigen Neuheiten der Manufakturen an, fällt sofort die Farbigkeit auf. Meist finden sich sogar mehrere Farben oder Töne in einem Geschirrset.
Der Weiß-Anteil geht zurück und wird aber gern als Kontrast eingesetzt. Passend dazu gewinnt Schwarz an Bedeutung. Die Porzellan-Manufaktur Kahla aus Thüringen packt zum Beispiel in ihre neue Themenwelt alles, was beim Geschirr grundsätzlich gut ankommt: Weiß, die Trendfarbe Schwarz mit einem Hauch von Blau und noch ein paar Blumen. Das nennt der Hersteller Mondwiese – Moon Meadow. Es soll das spannungsvolle Spiel zwischen Tageslicht und Mondschein einfangen. Die Inspiration für das blumige Dekor haben heimische Wiesen geliefert – Butterblumen, wilde Himbeeren und Löwenzahnblätter.
Auch der Hersteller Serax setzt bei seiner Neuheit auf Dunkles: Passepartout von Vincent Van Duysen ist eine Serie, die mit dem Kontrast aus schwarzen und weißen Stücken spielt. Nicht Schwarz, sondern Dunkelgrün ist die neue Farbe des Sunny-Day-Sets von Thomas. Der Ton soll die Lebendigkeit der Pflanzenwelt widerspiegeln. Villeroy & Boch bringt mit der neuen Dekorlinie Manufacture Rock ein vornehmlich dunkles Service heraus. Für die rauen Strukturen haben sich die Designer vom Schiefer inspirieren lassen. In der Variante Rock Desert tragen die Stücke darüber hinaus noch ein feines Punktemuster in Rot und Weiß, das angelehnt ist an die Kunst der australischen Eingeborenen, der Aborigines.
Das Unternehmen will damit nach eigenen Angaben einen Trend der Spitzengastronomie in heimische Küchen bringen: schwarzes Geschirr. Allerdings gehen Feinschmecker-Köche damit sparsam um, denn das sprichwörtliche Auge isst tatsächlich anders mit, wie nicht nur Sterneköche, sondern auch Forscher zu berichten wissen: Auf schwarzen Tellern schmecken Spei- sen oft weniger intensiv als auf weißen, wie Wissenschaftler in Studien herausgefunden haben wollen. Spitzenköche süßen bei Bedarf deshalb ihr Dessert beim Servieren auf Schwarz etwas mehr oder würzen Pikantes einen Tick mehr.
Zudem hat der berühmte EssensPsychologe Charles Spence von der Oxford Universität herausgefunden, dass Menschen rote Teller unbewusst als weniger appetitlich empfinden: Das Essen erscheint darauf weniger kontrastreich und rot wird unterbewusst als Gefahrensignal wahrgenommen. Einen Vorteil hat das für Abnehmwillige – Menschen essen weniger, wenn das Gericht auf rotem Porzellan serviert wird. Viele Hersteller setzen aber ohnehin auf trendige Türkis- und Oliv-Töne. Kaum noch ein Geschirr-Set ist unifarben. Die Farben vermischen sich. Gerade viele der neuen Sets, die handwerkliche und kunsthandwerkliche Merkmale tragen, haben erdige Braun- und Rottöne, dazu Blau als Kombinationsfarbe.
Kahla verweist auf die Elemente der Natur: Die Farbtöne Atlantic Blue, Desert Sand und Siena Red für Feuer und Erde sowie Wasser und Luft finden im Service, teils sogar in einem Stück zueinander. Auch beim Steinzeug-Geschirr Nature von Thomas heißen die Farben entsprechend: Sand, Wasser und Blatt.
Wer keine komplett neue Kollektion hervorbringt, ergänzt gerne jedes Jahr bestehende Sets um einzelne Farben – die sich dann alle kombinieren lassen. Zum Beispiel trifft bei Rosenthals Geschirrform ein neuer Türkis-Ton auf die Bestände Perlgrau, Weiß und dunkleres Ozeanblau. Dieser Ton ist insgesamt im Trend: Auch bei Arzbergs Kollektion Joyn trifft ein neuer Türkis-Ton namens Mint Green auf Porzellan in Grau, Weiß sowie auf Holzelemente. Auch die angesagten schwarzen Stücke werden fast immer mit anderen Farben auf den Tisch gebracht – vor allem mit Weiß. Und bei Villeroy & Bochs Service Manufacture zum Beispiel treffen kupferfarbene Elemente auf Schwarz.
Die Designer setzen nicht nur auf Farben, sondern wie in der Mode und bei Möbeln auf Retro. Schon in der vergangenen Saison haben Firmen Geschirr herausgebracht, das an Handgefertigtes aus früheren Zeiten erinnert. Dieser Trend hat sich noch einmal verstärkt. Macken sind es nicht, die die Stücke haben – alles wurde bewusst so gestaltet oder beim Herstellungsprozess so in Kauf genommen. In Japan gibt es für dieses ästhetische Konzept die Bezeichnung Wabi-Sabi. Der Stil setzt auf Naturmaterialien und dezente, meist dunkle Farben. Weil das Kunsthandwerk in Japan absichtlich kleine Fehler einarbeitet, gehört hier der vermeintliche Makel zum perfekten Endprodukt.
Das kennt man schon: Im sogenannten Shabby-Chic, der lange im Trend war, durften neue Sachen ein wenig alt aussehen. Das hat natürlich Vorteile: Selbst wenn die Tasse mal etwas abgegriffen ist oder ein kleiner Splitter vom Teller abgeht, wirkt das Stück immer noch neuwertig. Die Porzellanhersteller greifen das Prinzip auf und setzen es auf verschiedene Weisen um. Die Stücke aus der neuen Serie Nature der Marke Thomas haben jeweils leicht variierende Farbverläufe.
Jedes Stück wurde von Hand einzeln in Farbe getaucht, so Alissa Ritter, Managerin der Marke im Hause Rosenthal. Der Rand ist zudem aufgeraut und bewusst mit einer leichten Patina versehen. Die Marke hatte damit laut Ritter ganz konkret den Stil des Wabi-Sabi im Blick. Die Marke Rosenthal selbst setzt bei der Porzellanform Junto auf eine speziell entwickelte Farbglasur, die bei Handarbeit einen besonderen Farbverlauf erzielt. Außerdem werden die Randzonen mit einer dünneren Lage Glasur bearbeitet.
Serax-Designer Frédérick Gautier lässt sich von den Strukturen und der Brutalität von Beton inspirieren. Die Ränder seiner Kollektion sind rau und kantig, wirken teils wie Bruchkanten – seine die Kollektion trägt auch den ironischen Namen „FCK - OP“.
Die Trends heißen Retro, Shabby-Chic und Wabi-Sabi