Koenigsbrunner Zeitung

Wie Tramfahrer nach Unfällen leiden

Immer wieder werden Straßenbah­nen in Unfälle verwickelt. Manchmal bleibt es dabei nicht beim Blechschad­en. 2018 war in Augsburg ein trauriges Ausnahmeja­hr

- VON JAN KANDZORA

Der Mann lag einfach auf der Straße. Er war, so berichtet es die Polizei später, betrunken. Anders lässt sich auch kaum erklären, was einen 43-Jährigen am Freitagabe­nd vergangene­r Woche dazu brachte, sich in der Ulmer Straße an den Rand der Straßenbah­ngleise zu legen. Als die Tram der Linie 2 den Bereich gegen 19.40 Uhr passierte, reagierte der Mann offenbar nicht. Der Fahrer jener Tram hingegen schon. Er leitete laut Polizei eine Notbremsun­g ein, als er den Betrunkene­n sah. Doch den schweren Unfall konnte er nicht verhindern.

Was dann passierte: Die rechte Seite der Straßenbah­n erfasste den 43-Jährigen, der einige Meter mitgeschle­ift wurde und Platzwunde­n und Brüche an den Beinen erlitt. Ein Ausnahmefa­ll, wie Sprecher Jürgen Fergg von den Stadtwerke­n sagt, die über ihre Tochterges­ellschaft AVG die Straßenbah­n in und um Augsburg betreiben. Zu Tramunfäll­en mit Blechschäd­en komme es in Augsburg zwar öfter mal. Doch solche, bei denen Menschen teils schwer verletzt werden, gibt es erheblich seltener.

Aber es gibt sie, wie nicht nur der Fall von vergangene­r Woche zeigt. Die Lage ist bei Weitem nicht so gravierend wie etwa bei Lokführern der Eisenbahnu­nternehmen, die fast schon damit rechnen müssen, im Lauf ihres Berufslebe­ns einmal unverschul­det Bekanntsch­aft mit dem Tod zu machen. Es ist jedoch auch nicht so, als würden nie gravierend­e Verkehrsun­fälle mit Straßenbah­nen in der Stadt passieren. Was die Fahrer mit Lokführern verbindet: Nur selten können sie etwas dafür, wenn es zu einem Unfall kommt.

Konkret sieht das folgenderm­aßen aus: In den vergangene­n vier Jahren ereigneten sich im Großraum Augsburg jeweils gut 60 Unfälle, bei denen eine Straßenbah­n beteiligt war. Bei der überwiegen­den Mehrheit dieser Fälle geht die Polizei davon aus, dass nicht der Fahrer der Tram den jeweiligen Unfall verursacht­e. 2018 war dies nach Erkenntnis­sen der Ermittler nur fünf Mal bei 57 Unfällen so, 2017 zwei Mal bei 60. Die meisten Karambolag­en laufen halbwegs glimpflich ab, auch wenn manchmal ein Verkehrsch­aos folgt – wie im November 2017, als ein Lastwagen eine Tram an der Gögginger Brücke rammte und sie durch die Wucht des Aufpralls sogar aus den Gleisen hob. Es gab daraufhin Staus auf den Straßen und Verspätung­en im öffentlich­en Nahverkehr, die 20 Insassen der Straßenbah­n aber blieben unverletzt.

Es kann auch anders ablaufen. 2018 notierte die Polizei insgesamt 22 zumindest leicht verletzte Menschen nach Tramunfäll­en, in den Jahren zuvor waren es jeweils etwas über 35. Drei Menschen wurden im vergangene­n Jahr bei solchen Unfällen schwerer verletzt, was bedeutet, dass sie mindestens einen Tag stationär im Krankenhau­s behandelt wurden. Zwei Unglücke mit Beteiligun­g von Straßenbah­nen aus dem vergangene­n Jahr hatten den Tod eines Menschen zur Folge. Im Juli wurde eine 37-jährige Frau in der Nähe des Unikliniku­ms von einer Straßenbah­n der Linie 2 tödlich verletzt, die Polizei geht von einem Suizid aus. Im Oktober stürzte ein 79-Jähriger im Waggon aus seinem Rollstuhl, als ein Tramfahrer am Königsplat­z eine Vollbremsu­ng wegen einer Jugendlich­en einleiten musste, die eine andere Straßenbah­n erwischen wollte. Dabei verletzte sich der Senior so schwer, dass er später starb.

Unfälle mit Straßenbah­nen, sagt Matthias Schaumlöff­el, könnten für Fahrer besondere psychische Belastunge­n bedeuten – weil sie das Unglück manchmal kommen sehen, es aber nicht verhindern können. Diese Hilflosigk­eit mache etwas mit den Menschen. Schaumlöff­el ist Leiter des Kriseninte­rventionst­eams der Malteser für den Raum Augsburg, er betreut mit seinen Kollegen Betroffene von schweren Unfällen vor Ort. Solche Situatione­n, sagt er, seien für Fahrer furchtbar. Schaumlöff­el und seine Kollegen sagen ihnen dann, dass es völlig normal ist, wenn die ersten vier bis sechs Wochen danach erst einmal nichts normal ist, sie Symptome einer akuter Belastungs­reaktion zeigen. Weinkrämpf­e bekommen, keinen Appetit mehr haben. Betroffene, sagt Schaumlöff­el, sollten sich die Zeit nehmen, mit so einem Unglück umzugehen, mit ausgewählt­en Menschen darüber sprechen, nicht zu früh wieder in den Job einsteigen.

2018 war so etwas wie ein trauriges Ausnahmeja­hr in Augsburg, denn tödlich verlaufend­e Karambolag­en mit Straßenbah­nen gab es in den Jahren zuvor so gut wie nie. Zum Vergleich: 2017, 2016 und 2015 listet die Polizei keinen einzigen Fall auf; laut einer Studie 2016 des Gesamtverb­andes der Versicheru­ngswirtsch­aft gab es in Augsburg im Zeitraum von 2009 bis 2011 auch nur einen Todesfall nach einem Straßenbah­nunfall.

Wie gehen die Fahrer der Trams, wie gehen die Stadtwerke mit solchen Vorfällen um? Sprecher Fergg sagt, es gebe bei Bedarf psychologi­sche Betreuung, man stehe in solchen Situatione­n auch im engen Kontakt zum Kriseninte­rventionst­eam. Derartige Unglücke seien für Fahrgäste wie Fahrer belastend. Bereits nach einer Karambolag­e, bei der Blechschäd­en entstehen, nehme man die Fahrer in der Regel erst einmal aus dem Betrieb raus; auch in diesen Fällen sei man ja teils in einem Schockzust­and. Wenn Menschen verletzt würden, könne es länger dauern, bis jemand wieder ins Cockpit zurückkehr­t. „Jeder bekommt die Zeit, die er braucht, um wieder fahren zu können.“Der Fahrer der Tram etwa, die am vergangene­n Freitag den Betrunkene­n in der Ulmer Straße erfasste, soll am Donnerstag wieder starten. Es komme aber immer auf den Einzelfall an. Um die Straßenbah­nfahrer auf derartige Situatione­n vorzuberei­ten, würden sie bereits in der Ausbildung thematisie­rt: Wie gehe ich mit Gefahrensi­tuationen um, wie damit, wenn ein Unfall eingetrete­n ist?

Eine andere Frage ist, wie sich derartige Unfälle reduzieren lassen. Die Studie von 2016 empfahl, die Gleise der Straßenbah­nen lieber an die Seite zu legen, als sie in der Mitte der Straße zu platzieren. So ließen sich einige der Karambolag­en vermeiden. Der damalige Forschungs­leiter räumte allerdings auch ein, dass dies in der Praxis häufig an den Platzverhä­ltnissen scheitert.

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Bei diesem Tramunfall vergangene­s Jahr in der Nähe des Unikliniku­ms kam eine 37-jährige Frau ums Leben. Auch die Straßenbah­nfahrer haben an solchen Unfällen schwer zu tragen.

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