Abspecken in Ingolstadt
Audi muss sparen. Wie hart das wird, steht noch nicht fest. Aber trotz guter wirtschaftlicher Substanz schmeckt der Diätplan nicht jedem in der Region. Die Zulieferer des Autobauers hungern schon länger. Nur ein Fliesenleger blickt gelassen in die Zukunft
Ingolstadt
Michael Schmiedl jedenfalls kann ganz entspannt weiterkacheln. Deutschlands zwischenzeitlich berühmtester Fliesenleger aus dem Altmühltal hat „Ingenieure, Doktoranden und Professoren“von Audi und Siemens bekanntlich schon länger als „Problemkunden“identifiziert. Er arbeitet nicht mehr für jeden. Und seit er das so hält, „ist die Anzahl von Zahlungsausfällen drastisch gesunken“, wie er auf seiner Firmenhomepage schreibt. Schmiedl ist unabhängig vom Reich der vier Ringe. An einem Aschermittwoch, der anderen karge Zeiten verheißt, kann er gelassen in die Zukunft blicken.
Diese Position hat er in der Region Ingolstadt allerdings eher exklusiv. Das Stichwort ist Zahlungsausfall. Dergleichen befürchtet hier nämlich so mancher, seit der neue Audi-Chef Bram Schot seinen Mitarbeitern einen Tag vor Weihnachten via Zeitungsinterview mitteilte, dass das über die Jahre so erfolgreiche, zuletzt aber mit vielen Problemen konfrontierte Unternehmen „etwas träge“geworden sei. Damit Audi im Rennen gegen Daimler und BMW wieder aufholen kann, hat Schot der VW-Tochter einen Sparkurs verordnet. Er will dabei – unter anderem – die Produktionsprozesse im Stammwerk umstrukturieren und auch an die Nachtschicht ran.
Zugleich soll das Management gestrafft werden, zehn Prozent der Leitungsebene. Bei 2000 in Deutschland beschäftigten Managern heißt das 200. Sollte die Nachtschicht gestrichen werden, heißt das mitnichten, dass Leute gehen müssen. Die Audi AG hat ihre Mitarbeiter in Deutschland mit einer Beschäftigungsgarantie bis 2025 ausgestattet. Aber (finanzielle) Opfer werden wohl gebracht werden müssen. Audi, so sagte es der Volkswagen-Großaktionär Wolfgang Porsche auf dem Genfer Autosalon, habe „Speck angesetzt“. Was bedeutet das für die Region? Ist man bereit für eine Fastenzeit, die sicher weitaus länger als bis Ostern dauert?
Was Abspecken für die Nachtschicht heißen könnte, beschreibt ein früherer Audi-Mitarbeiter, der nun im Ruhestand ist und anonym bleiben möchte. Jahrzehntelang sah sein Leben so aus: Aufstehen um 13 Uhr. Ab 22 Uhr musste er am Band stehen. Acht Stunden dauerte die Schicht. Um 7 Uhr lag er wieder im Bett. Der Mann schlief, wenn andere arbeiteten, und arbeitete, wenn andere schliefen. Bis zu seinem Ruhestand ging das so. Der satte Zuschlag, immerhin rund 30 Prozent, macht den Reiz dieses Lebens versetzt zum Alltag der anderen aus.
Die meisten Audi-Arbeiter, die nachts Autos zusammenbauen, haben im Monat an die 1000 Euro mehr in der Tasche, als sie in der regulären Schicht verdienen würden. Einige von ihnen könnte der strikte Sparkurs nun in eine existenzielle Krise stürzen, glaubt der Nachtschichtler. Bislang gingen viele seiner Ex-Kollegen davon aus, dass die Erfolgskurve von Audi immer steil nach oben zeigen würde, sodass sie ihr Leben lang Nachtschicht arbeiten könnten. Also kauften sie ein Haus oder eine Wohnung – die Zinsen waren ja niedrig –, nahmen hohe Kredite auf und zahlten sie mit hohen Raten ab. Die Zulagen und Prämien würden ja weiter sprudeln, dachten sie. „Es kann schon sein, dass es ein paar Versteigerungen geben wird“, mutmaßt der Ruheständler.
Wissen muss man: In Sachen Nachtschicht ist noch nichts entschieden. Wie – und ob überhaupt – sich Unternehmensleitung und Betriebsrat einigen, bleibt Verhandlungssache. Die Fahrweise der Produktion wird jeden Monat neu abgestimmt. Mitte März, sprich kom- mende Woche, wäre der nächste Termin für die Führung, um einen belastbaren, schriftlichen Antrag vorzulegen. Der Ruheständler ist jedenfalls sehr froh, dass er sich mit dem Streich-Szenario nicht mehr auseinandersetzen muss: „Mir würde heute himmelangst werden. Da werden sich noch viele umschauen.“
Ob es so kommt, weiß man nicht. Richtig ist allerdings, dass ein Indikator für das Ende des Booms der Immobilienmarkt ist und man einen Satz in diesen Tagen immer wieder hört: Da werden demnächst ein paar Häuser leer stehen. Ist das so?
Der Ingolstädter Immobilienmakler Dennis Richarz sieht die Sache differenziert. Zu seinen Kunden gehören natürlich auch Audianer. Darunter Nachtschichtler und Manager. Alle würden vorsichtiger, sagt Richarz. Denn: „Bisher mussten die Audi-Mitarbeiter keine Kompromisse machen. Tantiemen und Gewinnbeteiligungen waren selbstverständlich fest mit eingeplant. Das ist jetzt nicht mehr so. Jetzt müssen sie wieder richtig wirtschaften.“Er beobachtet auf hohem Niveau einen Preisrückgang. Den Zenit habe der überhitzte Immobilienmarkt schon 2017 überschritten. Angebot und Nachfrage glichen sich allmählich an. „Es gibt keine Immobilienblase, die platzen könnte.“Schwierig würde es nur dann werden, wenn aus Ingolstadt die Leute weggehen würden. Das aber ist nicht der Fall. Die Stadt wächst.
Viele Manager im mittleren Bereich, erklärt Richarz weiter, seien ohnehin in der Region verwurzelt. Die blieben hier. Und: Gespart werde immer zuerst am (Zweit-)Auto oder an Reisen. Am Haus oder der Doppelhaushälfte stets zuletzt. Es könne schon sein, dass es in der Region „Einzelschicksale“gebe, die nun verkaufen müssten. Das habe dann aber nichts mit der Audi-Krise zu tun, sondern mit der „Blauäugigkeit“der Käufer. Manche hätten Höchstpreise gezahlt, aber nicht gesehen, dass der Markt diese schon nicht mehr hergebe. Viele, gerade junge Audianer, hätten bisher nur Rekordjahr nach Rekordjahr kennengelernt. Die Alten kennen auch noch die mageren Zeiten.
Die sind für manchen Zulieferer – auch wegen der massiven Probleme, die Audi mit dem Messzyklus WLTP hat – schon längst angebrochen. In Neckarsulm, am zweiten großen Audi-Standort in Deutschland, stehen nicht nur, aber auch deswegen diese Woche verschiedene Bänder komplett still. Und auch in Ingolstadt ist die Umstellung auf das neue Abgas-Messverfahren noch nicht erledigt. Was – neben dem Absatzeinbruch von Audi – auch zulasten der Zulieferer geht.
Zum Beispiel bei Faurecia im benachbarten Neuburg. Dort arbeiten rund 870 Mitarbeiter. Sie produzieren Sitzgarnituren. Audi ist der einzige Auftraggeber. Seit dieser Woche ist bei Faurecia klar, dass Mitarbeiter gehen müssen. Das Unternehmen teilte auf Anfrage mit, dass am Standort die Personalstärke im ersten Halbjahr 2019 „angepasst“werden müsse, „um den aktuellen Volumenrückgang zu kompensieren“. Die Auftragsentwicklung verlange eine Restrukturierung, von der insgesamt voraussichtlich 145 Arbeitsplätze betroffen sein werden, davon 50 Zeitarbeitnehmer und 27 befristete Jobs. Die Entwicklung könne „leider nicht mehr ausschließlich durch Maßnahmen wie Kurzarbeit, Abbau der Arbeitszeitkonten oder Arbeitszeitabsenkung aufgefangen werden“.
Faurecia ist nur ein akutes Beispiel. Probleme haben aber auch andere. Bernhard Stiedl, Erster Bevollmächtigter der IG Metall in Ingolstadt, schätzt die Situation so ein: „Bereits im letzten Jahr mussten einige Zuliefererfirmen wegen der WLTP-Problematik Kurzarbeit anmelden. Wie sich die Situation in diesem Jahr konkret darstellt, ist noch nicht absehbar.“Allerdings sei zu erwarten, dass einige wieder kürzertreten müssten.
Nun sind das schlechte Nachrichten, die man allerdings ins größere Ganze einsortieren muss. Wer mit altgedienten Audianern spricht, die spindeldürre Zeiten wie Anfang der 90er erlebt haben, hört durchaus auch gelassene Worte. Man habe schon größere Krisen überstanden. Und die nackten Zahlen des Arbeitsmarktes geben auch noch keine Krise her. Im Gegenteil: Die Arbeitslosenquote für Ingolstadt und die Landkreise Neuburg-Schrobenhausen, Eichstätt und Pfaffenhofen beträgt derzeit 2,3 Prozent. Also: quasi Vollbeschäftigung.
Zudem wurden im Februar bei der örtlichen Arbeitsagentur insgesamt 1013 neue Stellen zur Besetzung gemeldet. Sprecher Peter Kundinger sagt: „Unser regionaler Arbeitsmarkt ist außerordentlich robust. Es ist nicht festzustellen, dass die Arbeitslosigkeit steigt.“Zugleich ist es so, dass Airbus, das zweite hiesige Großunternehmen, am Standort prosperiert und nach Angaben eines Sprechers derzeit einstellt. Die Bundesregierung hat zum Beispiel 33 neue Eurofighter geordert, die in Manching endmontiert werden.
Ingolstadt tut ohnehin einiges, um sich breiter aufzustellen. Stichwort Flugtaxis. Man ist inzwischen international dafür bekannt, dass hier die städtische Mobilität der Zukunft erprobt werden soll. Die Stadt hat mit ihrer von der EU geförderten Urban-Air-Mobility-Initiative (UAM) ordentlich Schub gegeben. Kommenden Montag ist ein großer Tag: Auf dem Rathausplatz gibt es dann eine „Weltpremiere“. Der CityAirbus, ein viersitziges elektrisches Lufttaxi aus Nordschwaben, wird enthüllt und der Öffentlichkeit präsentiert.
Gebaut hat den Flieger Airbus Helicopters in Donauwörth. In den kommenden Monaten soll es dann erste Testflüge geben. Auch in Manching. Ganz vorne mit dabei beim UAM-Projekt ist nicht nur Airbus, sondern auch das aufs Abnehmen getrimmte Audi. Bis man fit genug zum Abheben ist, wird es wohl noch dauern. Ob die Flugtaxis den nächsten Boom bringen, bleibt abzuwarten.
Um sich zu vergegenwärtigen, wie es – trotz sich bereits abzeichnender Krise – in den fetten Jahren war, hilft es, sich an die Ingolstädter Schlosserei Uhlmann zu erinnern. Bei Uhlmanns war vor drei Jahren Schluss. 21 Mitarbeiter hatte das Familienunternehmen damals, doch innerhalb kürzester Zeit waren dem Chef sechs Kündigungen ins Büro geflattert. Alle wechselten zu Audi. Darunter waren zwei Mitarbeiter, die Uhlmann als Nachfolger für seinen Betrieb aufgebaut hatte. Und so kam es, dass der Schlossermeister und seine Frau Monika die seit mehr als 70 Jahren bestehende Schlosserei zusperren mussten.
Das Verhältnis zwischen Audi und den Handwerkern in der Region war schon immer ambivalent. Zum einen sorgte das Unternehmen für große Aufträge, „man hat mit Audi gut leben können“, sagt auch Uhlmann, zumindest viele Jahre lang. Andererseits ließen sich viele Gesellen von Audis Strahlkraft locken: mehr Geld, mehr Karrierechancen und das Gefühl, Teil eines Weltkonzerns zu sein. Womit sollten die kleinen Handwerksbetriebe da noch punkten? Eine Situation, wie sie ihn vor drei Jahren in die Knie gezwungen hat, hält Uhlmann heute für ziemlich unwahrscheinlich: „Das würde jetzt nicht mehr passieren.“
Fliesenleger Schmiedl hat für sein berüchtigtes Ingenieurs-Interview Kritik, aber auch viel Zustimmung bekommen, sagt er. Auch von AudiMitarbeitern. Er habe viele Freunde im Unternehmen. Und er arbeite auch für diese „normalen“Audianer. Allerdings machten deren Aufträge nur einen geringen Teil am Gesamtumsatz aus. Seine Auftragsbücher bekäme er auch ohne sie voll. Schmiedl, das muss vielleicht mal erklärt werden, betont: „Es ist ein großes Glück für die Region, dass es Audi gibt.“Er allerdings ist froh, dass er schon länger Audi-autark lebt. Das Heilfasten kann er sich sparen.
Die Nachtschichtler machen sich große Sorgen
Als eine Schlosserei wegen Audi schließen musste