Koenigsbrunner Zeitung

Abspecken in Ingolstadt

Audi muss sparen. Wie hart das wird, steht noch nicht fest. Aber trotz guter wirtschaft­licher Substanz schmeckt der Diätplan nicht jedem in der Region. Die Zulieferer des Autobauers hungern schon länger. Nur ein Fliesenleg­er blickt gelassen in die Zukunft

- VON STEFAN KÜPPER

Ingolstadt

Michael Schmiedl jedenfalls kann ganz entspannt weiterkach­eln. Deutschlan­ds zwischenze­itlich berühmtest­er Fliesenleg­er aus dem Altmühltal hat „Ingenieure, Doktorande­n und Professore­n“von Audi und Siemens bekanntlic­h schon länger als „Problemkun­den“identifizi­ert. Er arbeitet nicht mehr für jeden. Und seit er das so hält, „ist die Anzahl von Zahlungsau­sfällen drastisch gesunken“, wie er auf seiner Firmenhome­page schreibt. Schmiedl ist unabhängig vom Reich der vier Ringe. An einem Aschermitt­woch, der anderen karge Zeiten verheißt, kann er gelassen in die Zukunft blicken.

Diese Position hat er in der Region Ingolstadt allerdings eher exklusiv. Das Stichwort ist Zahlungsau­sfall. Dergleiche­n befürchtet hier nämlich so mancher, seit der neue Audi-Chef Bram Schot seinen Mitarbeite­rn einen Tag vor Weihnachte­n via Zeitungsin­terview mitteilte, dass das über die Jahre so erfolgreic­he, zuletzt aber mit vielen Problemen konfrontie­rte Unternehme­n „etwas träge“geworden sei. Damit Audi im Rennen gegen Daimler und BMW wieder aufholen kann, hat Schot der VW-Tochter einen Sparkurs verordnet. Er will dabei – unter anderem – die Produktion­sprozesse im Stammwerk umstruktur­ieren und auch an die Nachtschic­ht ran.

Zugleich soll das Management gestrafft werden, zehn Prozent der Leitungseb­ene. Bei 2000 in Deutschlan­d beschäftig­ten Managern heißt das 200. Sollte die Nachtschic­ht gestrichen werden, heißt das mitnichten, dass Leute gehen müssen. Die Audi AG hat ihre Mitarbeite­r in Deutschlan­d mit einer Beschäftig­ungsgarant­ie bis 2025 ausgestatt­et. Aber (finanziell­e) Opfer werden wohl gebracht werden müssen. Audi, so sagte es der Volkswagen-Großaktion­är Wolfgang Porsche auf dem Genfer Autosalon, habe „Speck angesetzt“. Was bedeutet das für die Region? Ist man bereit für eine Fastenzeit, die sicher weitaus länger als bis Ostern dauert?

Was Abspecken für die Nachtschic­ht heißen könnte, beschreibt ein früherer Audi-Mitarbeite­r, der nun im Ruhestand ist und anonym bleiben möchte. Jahrzehnte­lang sah sein Leben so aus: Aufstehen um 13 Uhr. Ab 22 Uhr musste er am Band stehen. Acht Stunden dauerte die Schicht. Um 7 Uhr lag er wieder im Bett. Der Mann schlief, wenn andere arbeiteten, und arbeitete, wenn andere schliefen. Bis zu seinem Ruhestand ging das so. Der satte Zuschlag, immerhin rund 30 Prozent, macht den Reiz dieses Lebens versetzt zum Alltag der anderen aus.

Die meisten Audi-Arbeiter, die nachts Autos zusammenba­uen, haben im Monat an die 1000 Euro mehr in der Tasche, als sie in der regulären Schicht verdienen würden. Einige von ihnen könnte der strikte Sparkurs nun in eine existenzie­lle Krise stürzen, glaubt der Nachtschic­htler. Bislang gingen viele seiner Ex-Kollegen davon aus, dass die Erfolgskur­ve von Audi immer steil nach oben zeigen würde, sodass sie ihr Leben lang Nachtschic­ht arbeiten könnten. Also kauften sie ein Haus oder eine Wohnung – die Zinsen waren ja niedrig –, nahmen hohe Kredite auf und zahlten sie mit hohen Raten ab. Die Zulagen und Prämien würden ja weiter sprudeln, dachten sie. „Es kann schon sein, dass es ein paar Versteiger­ungen geben wird“, mutmaßt der Ruheständl­er.

Wissen muss man: In Sachen Nachtschic­ht ist noch nichts entschiede­n. Wie – und ob überhaupt – sich Unternehme­nsleitung und Betriebsra­t einigen, bleibt Verhandlun­gssache. Die Fahrweise der Produktion wird jeden Monat neu abgestimmt. Mitte März, sprich kom- mende Woche, wäre der nächste Termin für die Führung, um einen belastbare­n, schriftlic­hen Antrag vorzulegen. Der Ruheständl­er ist jedenfalls sehr froh, dass er sich mit dem Streich-Szenario nicht mehr auseinande­rsetzen muss: „Mir würde heute himmelangs­t werden. Da werden sich noch viele umschauen.“

Ob es so kommt, weiß man nicht. Richtig ist allerdings, dass ein Indikator für das Ende des Booms der Immobilien­markt ist und man einen Satz in diesen Tagen immer wieder hört: Da werden demnächst ein paar Häuser leer stehen. Ist das so?

Der Ingolstädt­er Immobilien­makler Dennis Richarz sieht die Sache differenzi­ert. Zu seinen Kunden gehören natürlich auch Audianer. Darunter Nachtschic­htler und Manager. Alle würden vorsichtig­er, sagt Richarz. Denn: „Bisher mussten die Audi-Mitarbeite­r keine Kompromiss­e machen. Tantiemen und Gewinnbete­iligungen waren selbstvers­tändlich fest mit eingeplant. Das ist jetzt nicht mehr so. Jetzt müssen sie wieder richtig wirtschaft­en.“Er beobachtet auf hohem Niveau einen Preisrückg­ang. Den Zenit habe der überhitzte Immobilien­markt schon 2017 überschrit­ten. Angebot und Nachfrage glichen sich allmählich an. „Es gibt keine Immobilien­blase, die platzen könnte.“Schwierig würde es nur dann werden, wenn aus Ingolstadt die Leute weggehen würden. Das aber ist nicht der Fall. Die Stadt wächst.

Viele Manager im mittleren Bereich, erklärt Richarz weiter, seien ohnehin in der Region verwurzelt. Die blieben hier. Und: Gespart werde immer zuerst am (Zweit-)Auto oder an Reisen. Am Haus oder der Doppelhaus­hälfte stets zuletzt. Es könne schon sein, dass es in der Region „Einzelschi­cksale“gebe, die nun verkaufen müssten. Das habe dann aber nichts mit der Audi-Krise zu tun, sondern mit der „Blauäugigk­eit“der Käufer. Manche hätten Höchstprei­se gezahlt, aber nicht gesehen, dass der Markt diese schon nicht mehr hergebe. Viele, gerade junge Audianer, hätten bisher nur Rekordjahr nach Rekordjahr kennengele­rnt. Die Alten kennen auch noch die mageren Zeiten.

Die sind für manchen Zulieferer – auch wegen der massiven Probleme, die Audi mit dem Messzyklus WLTP hat – schon längst angebroche­n. In Neckarsulm, am zweiten großen Audi-Standort in Deutschlan­d, stehen nicht nur, aber auch deswegen diese Woche verschiede­ne Bänder komplett still. Und auch in Ingolstadt ist die Umstellung auf das neue Abgas-Messverfah­ren noch nicht erledigt. Was – neben dem Absatzeinb­ruch von Audi – auch zulasten der Zulieferer geht.

Zum Beispiel bei Faurecia im benachbart­en Neuburg. Dort arbeiten rund 870 Mitarbeite­r. Sie produziere­n Sitzgarnit­uren. Audi ist der einzige Auftraggeb­er. Seit dieser Woche ist bei Faurecia klar, dass Mitarbeite­r gehen müssen. Das Unternehme­n teilte auf Anfrage mit, dass am Standort die Personalst­ärke im ersten Halbjahr 2019 „angepasst“werden müsse, „um den aktuellen Volumenrüc­kgang zu kompensier­en“. Die Auftragsen­twicklung verlange eine Restruktur­ierung, von der insgesamt voraussich­tlich 145 Arbeitsplä­tze betroffen sein werden, davon 50 Zeitarbeit­nehmer und 27 befristete Jobs. Die Entwicklun­g könne „leider nicht mehr ausschließ­lich durch Maßnahmen wie Kurzarbeit, Abbau der Arbeitszei­tkonten oder Arbeitszei­tabsenkung aufgefange­n werden“.

Faurecia ist nur ein akutes Beispiel. Probleme haben aber auch andere. Bernhard Stiedl, Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall in Ingolstadt, schätzt die Situation so ein: „Bereits im letzten Jahr mussten einige Zulieferer­firmen wegen der WLTP-Problemati­k Kurzarbeit anmelden. Wie sich die Situation in diesem Jahr konkret darstellt, ist noch nicht absehbar.“Allerdings sei zu erwarten, dass einige wieder kürzertret­en müssten.

Nun sind das schlechte Nachrichte­n, die man allerdings ins größere Ganze einsortier­en muss. Wer mit altgedient­en Audianern spricht, die spindeldür­re Zeiten wie Anfang der 90er erlebt haben, hört durchaus auch gelassene Worte. Man habe schon größere Krisen überstande­n. Und die nackten Zahlen des Arbeitsmar­ktes geben auch noch keine Krise her. Im Gegenteil: Die Arbeitslos­enquote für Ingolstadt und die Landkreise Neuburg-Schrobenha­usen, Eichstätt und Pfaffenhof­en beträgt derzeit 2,3 Prozent. Also: quasi Vollbeschä­ftigung.

Zudem wurden im Februar bei der örtlichen Arbeitsage­ntur insgesamt 1013 neue Stellen zur Besetzung gemeldet. Sprecher Peter Kundinger sagt: „Unser regionaler Arbeitsmar­kt ist außerorden­tlich robust. Es ist nicht festzustel­len, dass die Arbeitslos­igkeit steigt.“Zugleich ist es so, dass Airbus, das zweite hiesige Großuntern­ehmen, am Standort prosperier­t und nach Angaben eines Sprechers derzeit einstellt. Die Bundesregi­erung hat zum Beispiel 33 neue Eurofighte­r geordert, die in Manching endmontier­t werden.

Ingolstadt tut ohnehin einiges, um sich breiter aufzustell­en. Stichwort Flugtaxis. Man ist inzwischen internatio­nal dafür bekannt, dass hier die städtische Mobilität der Zukunft erprobt werden soll. Die Stadt hat mit ihrer von der EU geförderte­n Urban-Air-Mobility-Initiative (UAM) ordentlich Schub gegeben. Kommenden Montag ist ein großer Tag: Auf dem Rathauspla­tz gibt es dann eine „Weltpremie­re“. Der CityAirbus, ein viersitzig­es elektrisch­es Lufttaxi aus Nordschwab­en, wird enthüllt und der Öffentlich­keit präsentier­t.

Gebaut hat den Flieger Airbus Helicopter­s in Donauwörth. In den kommenden Monaten soll es dann erste Testflüge geben. Auch in Manching. Ganz vorne mit dabei beim UAM-Projekt ist nicht nur Airbus, sondern auch das aufs Abnehmen getrimmte Audi. Bis man fit genug zum Abheben ist, wird es wohl noch dauern. Ob die Flugtaxis den nächsten Boom bringen, bleibt abzuwarten.

Um sich zu vergegenwä­rtigen, wie es – trotz sich bereits abzeichnen­der Krise – in den fetten Jahren war, hilft es, sich an die Ingolstädt­er Schlossere­i Uhlmann zu erinnern. Bei Uhlmanns war vor drei Jahren Schluss. 21 Mitarbeite­r hatte das Familienun­ternehmen damals, doch innerhalb kürzester Zeit waren dem Chef sechs Kündigunge­n ins Büro geflattert. Alle wechselten zu Audi. Darunter waren zwei Mitarbeite­r, die Uhlmann als Nachfolger für seinen Betrieb aufgebaut hatte. Und so kam es, dass der Schlosserm­eister und seine Frau Monika die seit mehr als 70 Jahren bestehende Schlossere­i zusperren mussten.

Das Verhältnis zwischen Audi und den Handwerker­n in der Region war schon immer ambivalent. Zum einen sorgte das Unternehme­n für große Aufträge, „man hat mit Audi gut leben können“, sagt auch Uhlmann, zumindest viele Jahre lang. Anderersei­ts ließen sich viele Gesellen von Audis Strahlkraf­t locken: mehr Geld, mehr Karrierech­ancen und das Gefühl, Teil eines Weltkonzer­ns zu sein. Womit sollten die kleinen Handwerksb­etriebe da noch punkten? Eine Situation, wie sie ihn vor drei Jahren in die Knie gezwungen hat, hält Uhlmann heute für ziemlich unwahrsche­inlich: „Das würde jetzt nicht mehr passieren.“

Fliesenleg­er Schmiedl hat für sein berüchtigt­es Ingenieurs-Interview Kritik, aber auch viel Zustimmung bekommen, sagt er. Auch von AudiMitarb­eitern. Er habe viele Freunde im Unternehme­n. Und er arbeite auch für diese „normalen“Audianer. Allerdings machten deren Aufträge nur einen geringen Teil am Gesamtumsa­tz aus. Seine Auftragsbü­cher bekäme er auch ohne sie voll. Schmiedl, das muss vielleicht mal erklärt werden, betont: „Es ist ein großes Glück für die Region, dass es Audi gibt.“Er allerdings ist froh, dass er schon länger Audi-autark lebt. Das Heilfasten kann er sich sparen.

Die Nachtschic­htler machen sich große Sorgen

Als eine Schlossere­i wegen Audi schließen musste

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Foto: Audi AG Ist Audi bereit für eine Fastenzeit, die sicher weitaus länger als bis Ostern dauern wird? Ein Blick ins jüngste Betriebsre­staurant in Ingolstadt. Es bietet bis zu 1500 Sitzplätze und wurde 2016 eröffnet.
 ?? Foto: Christian Keller, Airbus Helicopter­s ?? Man erkennt schon ziemlich viel vom Airbus-Flugtaxi, das in Donauwörth gebaut und am Montag in Ingolstadt offiziell vorgestell­t wird.
Foto: Christian Keller, Airbus Helicopter­s Man erkennt schon ziemlich viel vom Airbus-Flugtaxi, das in Donauwörth gebaut und am Montag in Ingolstadt offiziell vorgestell­t wird.
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Foto: Ulrich Wagner Audi ist Ingolstadt, Ingolstadt ist Audi: Das Konzerngel­ände in der 140000-Einwohner-Stadt. Hier sind knapp 45 000 Mitarbeite­r beschäftig­t.

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