Diese drei Gewerkschafter haben viel zu erzählen
Auszeichnung Seit 70 Jahren sind sie Mitglied. Als alte „Eisenbahner“erlebten sie noch den 16-Stunden-Tag
Eugen Sirch ist 88 Jahre alt und vor Kurzem für 70 Jahre Mitgliedschaft bei der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft ausgezeichnet worden. Was im Saal des Kolpinghauses in Augsburg nach einem gemütlichen Kaffeeklatsch aussieht, hat für den Mann eine ganz andere Bedeutung.
Für ihn hat die Gewerkschaft sein Berufsleben, aber auch sein Leben generell wesentlich beeinflusst – vor allem in jungen Jahren. „Als ich eingetreten bin, da haben wir noch 16 Stunden am Tag gearbeitet und auch den ganzen Samstag“, erzählt er. Die Gewerkschaften hätten sich nach Kriegsende neu gebildet und dafür gesorgt, dass sich die Arbeitsbedingungen zum Besseren wenden und Beschäftigte und ihre Sorgen gehört werden. „Das hat für mich ein Stück Freiheit bedeutet und war lebenswichtig“, erzählt Sirch. Deshalb ist er auch über 70 Jahre lang der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die 2010 aus den beiden Gewerkschaften GDBA und Transnet entstanden ist, treu geblieben. Jedem jungen Menschen würde er raten, ebenfalls Gewerkschaftsmitglied zu werden. „Es gibt auch heute noch in vielen Bereichen Unternehmen, die nicht immer freiwillig geben, was den Mitarbeitern zusteht“, ist er überzeugt.
So geht es auch Robert Brenner. Auch er ist seit 70 Jahren Mitglied der EVG und 1948 eingetreten, weil er sich von seinem Arbeitgeber ungerecht behandelt gefühlt hat. Entgegen seiner Ausbildung wurde er damals zum Gleisbau „abkommandiert“. „Wir standen mit Schaufel und Pickel im staubigen Kies. Das waren schlechte Zeiten damals.“Deshalb trat er als damals 18-Jähriger in die Gewerkschaft ein und kämpfte gemeinsam mit anderen um eine Verbesserung der Zustände. Und auch wenn die Gewerkschaften selbst erst im Aufbau waren, konnte doch Wesentliches bewegt werden, ist sich Brenner sicher. Auch was das Gehalt angeht. „Damals haben wir für einen Stundenlohn von 95 Pfennig gearbeitet“, erzählt er.
Dass sich vieles seither verändert und zum Besseren gewendet hat, sei unter anderem ein Erfolg der Gewerkschaften, sind sich auch andere Jubilare an diesem Tag einig. Das führe aber nicht dazu, dass sie sich damit als Organisation selbst überflüssig gemacht hätte. Im Gegenteil: „Die Streiks der Zug- und Lokführer zeigen, dass es nach wie vor Bedarf gibt, sich zu solidarisieren und seine Interessen gegenüber dem Arbeitgeber gemeinschaftlich und organisiert zu vertreten“, heißt es. Unter den Eisenbahnern scheint es zudem eine besondere Affinität zur Gewerkschaft zu geben. 75 Prozent der Mitarbeiter seien auch heute noch entsprechend organisiert, sagt Michael Ferber, Geschäftsstellenleiter der EVG in Augsburg. Ein Wert, der deutlich über jenem in anderen Branchen liegt.