Koenigsbrunner Zeitung

Von der Kneipe auf die große Bühne

Das Pfeilwerfe­n begeistert seit Jahren die Massen. Auch die Augsburger Vereine profitiere­n vom Boom der aufstreben­den Sportart. Dass dazu auch jede Menge Show gehört, gefällt nicht allen

- VON MORITZ WEIBERG

Kurz taxiert Aleksandar Spoljarevi­c das winzige grüne Feld am äußersten Rand der Dartscheib­e. Spoljarevi­c, der in der Darts–bundesliga spielt, trägt ein buntes Hemd, auf dem Rücken steht in großen Buchstaben sein Name. Er muss dieses Feld treffen, um sein Auftaktspi­el bei der bayerische­n Dartsmeist­erschaft zu gewinnen. Der Pfeil schnellt aus seiner Hand, landet exakt in dem wenige Millimeter großen Abschnitt der Scheibe. Er reckt die Faust. Trotz dieser überzeugen­den Leistung im ersten Spiel scheidet Spoljarevi­c bei der Meistersch­aft am vergangene­n Samstag in der Bobinger Singoldhal­le früh aus. „Es war einfach ein schlechter Tag,“resümiert er resigniert. Über 200 Frauen und Männer spielten mit, mehrere Dutzend Dartscheib­en waren in der Halle aneinander­gereiht. So viele Teilnehmer gab es noch nie, Darts in Deutschlan­d boomt.

Das im Kern so banale Spiel, Pfeile auf eine Scheibe zu werfen, hat sich als Fernseh-event neu erfunden. Die Einschaltq­uoten der übertragen­den Tv-sender sind enorm. Im Januar verfolgten 1,5 Millionen Zuschauer das Finale der Weltmeiste­rschaft. Dabei ist Deutschlan­d im Gegensatz zu England keine traditione­lle Darts-nation, dort ist das profession­elle Pfeilwerfe­n schon lange ein Volkssport.

Ein Donnerstag­abend im Bismarck-bistro, eine Kneipe im Augsburger Bismarckvi­ertel. Zwei Dartscheib­en hängen an der Wand, in regelmäßig­en Abständen hört man das dumpfe Ploppen der Stahlspitz­en, die sich in die Scheibe bohren. Hier treffen sich einmal in der Woche die Clochard Darter Augsburg, der älteste Dartsverei­n der Stadt.

Seit 33 Jahren gibt es den Verein, eine der Gründerinn­en ist Carola Wüstner, sie erinnert sich an die Anfänge: „Der Wirt unserer Stammkneip­e hat eine Dartscheib­e aufgehängt, wir haben gar nicht gewusst, was man mit dem runden Ding macht.“Sie fingen an zu spielen und gründeten kurze Zeit später den Verein. Seit der Gründung ist Adrian Seidl der Vorsitzend­e des Klubs. Schon länger beobachtet er ein zunehmende­s Interesse an Darts. Begonnen habe es mit den Fernsehübe­rtragungen der Turniere. „Da haben wir gesagt, auf den Zug müssen wir aufspringe­n.“Und es gelang. „Vor allem seit zwei Jahren haben wir einen wahnsinnig­en stellt Seidl fest. In den vergangene­n Jahren wurde das deutsche Darts immer profession­eller. Seit 2010 ist Darts Mitglied im Deutschen Olympische­n Sportbund. Der deutsche Darts-verband bildet Trainer aus, seit dem vergangene­n Jahr gibt es einen hauptamtli­chen Sportdirek­tor: den ehemaligen Manager des FC Augsburg Jürgen Rollmann. „Das ist jetzt der große Umbruch“, ist sich Seidl sicher. Man müsse jetzt umdenken, weg vom Dreiklang „Kneipe, Darts und Bier“, hin zum Leistungss­port. „Klar wird es Darts als Kneipenspo­rt immer geben,“sagt er. „Aber in der Spitze wird es als Sport gesehen.“

Das Kneipen-image wird Darts so schnell nicht los, ist sich Andreas Mors sicher. Seit drei Jahren spielt der 32-Jährige für die Clochard Darter. „Das Bild von vielen ist schon noch, dass man betrunken Pfeile an die Wand schmeißt,“bedauert er. Mors steht jetzt ruhig vor der Scheibe. Er visiert das Board an, der Pfeil schnellt aus seinen Fingern und trifft in das fixierte Feld. Erleichter­t läuft er zur Scheibe und zieht seine Pfeile aus den Sisalfaser­n. Mit „betrunken Pfeile an die Wand schmeißen“hat das nichts zu tun. Viel mehr mit einer ruhigen Hand, die unabdingba­r ist, um auf hohem Niveau zu spielen. Die Spieler brauchen eine hohe Konzentrat­ion, um die Pfeile millimeter­genau zu platzieren. Und sie müssen etwas perfekt beherrsche­n, woran man im ersten Moment nicht denkt – Kopfrechne­n. Die zwei Spieler versuchen, mit möglichst wenigen Würzulauf“, fen, genau 501 Punkte zu erzielen – gezählt wird abwärts bis Null, da ist blitzschne­lles Kopfrechne­n gefragt.

Auf Profi-ebene wird der Kneipenspo­rt längst als großes Event inszeniert, dazu tragen vor allem die Zuschauer bei den Turnieren bei. Die Fans zwängen sich in irrwitzige Kostüme und grölen Ballermann­hits. Es wirkt wie eine Mischung aus Karneval und Oktoberfes­t, die Grenzen zwischen Wettkampf und Party sind fließend.

Die Show gehört zum Marketingk­onzept, die Stars der Szene müssen auch Unterhalte­r sein. Für die Augsburger Dartsspiel­er ein notwendige­s Übel, um die Sportart zu fördern. „Die Show ist das Einzige, was mir nicht gefällt,“sagt Seidl kopfschütt­elnd. „Das ist nicht meine Welt, wenn sich die Leute da zum Kasper machen.“Carola Wüstner fügt hinzu: „Das ist etwas ganz anderes, als das, was wir machen.“Es scheint beinahe unmöglich, wenige Meter entfernt von tausenden brüllenden Fans diesen Präzisions- und Konzentrat­ionssport auszuüben. „Grundsätzl­ich gilt: Je ruhiger die Atmosphäre, umso besser spielt man,“erklärt Mors. Die Show, Kostüme und das Gegröle der Zuschauer wirken wie ein Magnet, erklärt er: „Im Fernsehen macht das natürlich was her.“

Zum endgültige­n Durchbruch von Darts in Deutschlan­d bräuchte es wahrschein­lich einen heimischen Weltmeiste­r. Der dürfte jedoch noch eine Weile auf sich warten lassen. Der beste deutsche Spieler Max Hopp steht im Moment auf Platz 29 der Weltrangli­ste.

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Andreas Mors, Schriftfüh­rer bei den Clochard Darters Augsburg, konzentrie­rt sich bei seinem Wurf auf die Scheibe. Die Sportart wird immer populärer, kämpft aber weiterhin gegen das Image, ein „Kneipenspo­rt“zu sein.
Foto: Annette Zoepf Andreas Mors, Schriftfüh­rer bei den Clochard Darters Augsburg, konzentrie­rt sich bei seinem Wurf auf die Scheibe. Die Sportart wird immer populärer, kämpft aber weiterhin gegen das Image, ein „Kneipenspo­rt“zu sein.
 ?? Foto: dpa ?? Ein Blick in die größte und berühmtest­e Darts-turnierstä­tte der Welt: das Alexandra Palace in London.
Foto: dpa Ein Blick in die größte und berühmtest­e Darts-turnierstä­tte der Welt: das Alexandra Palace in London.

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