Koenigsbrunner Zeitung

Am Ende bleibt die Kunst

Nach fast drei Jahren Trauersemi­naren und Workshops zieht Kunstthera­peutin Renata Baumgärtne­r aus

- VON PATRIK FERSTL

Friedberg Ein Ort des Miteinande­rs soll der Raum sein. Angehörige können hier Trost finden, nachdem ein geliebter Mensch gestorben ist. In Kunstsemin­aren und Poesieaben­den können sie ihrer Trauer Ausdruck verleihen oder Ideen austausche­n. Doch nun kommt der Salon auf Zeit im Prälat-alberstött­erhaus in Friedberg an sein Ende. Nach zweieinhal­b Jahren Kunstthera­pie zieht Renata Baumgärtne­r aus. Wohin sie geht, das weißt die 78-Jährige noch nicht. „Freischaff­ende Therapeuti­n will ich nicht mehr sein“, sagt sie. Das erfordere zu viel Kraft. Nun stehen die gesammelte­n Kunstwerke und Instrument­e des Salons zum Verkauf.

Eine moderne Anlage mit Büros und barrierefr­eien Wohnungen für Senioren soll das ehemalige Kinderheim ersetzen. Geplant ist der Abriss in Juli. Das Grundstück gehört dem Friedberge­r Kinderheim­verein, der seine Arbeit mit den Mieteinnah­men fördern will. Baumgärtne­r findet das Projekt deshalb gut. Dass sie nicht ewig in dem Gebäude bleiben kann, war ihr schon bewusst, als sie den Raum bezog: Der Abriss stand schon länger fest. Der Name des Ortes bringt es auf den Punkt: „Salon auf Zeit“.

Der Weg bis dahin zeugt von Höhen und Tiefen im Leben von Renata Baumgärtne­r. Sie war die erste Kunstthera­peutin im Klinikum Augsburg, wo sie ein eigenes Atelier hatte und sowohl Schwerkran­ke wie auch Angehörige betreute. Die Stelle in der Palliativs­tation bildete für sie den Höhepunkt in ihrer Arbeit mit Menschen. Patienten mit einer unheilbare­n Krankheit liegen dort. Baumgärtne­r gelang es, sie aus der Passivität herauszuho­len. Zusammen malten sie Bilder, sangen Volksliede­r oder spielten Musik. Auch mit Ton wurde viel gearbeitet. Besonders ein Erlebnis rührte die Kunstthera­peutin: Als sie mit einer teilnahmsl­osen Patientin sang, erinnerte sich die Kranke an ihr Lieblingsl­ied. Anschließe­nd hielt die Sterbende Baumgärtne­rs Hand fest umschlosse­n. „Du hast mich in meiner letzten Stunde noch glücklich gemacht“, waren die letzten Worte der Patientin.

2016 änderte sich jedoch Baumgärtne­rs Leben. Das Klinikum löste ihren Vertrag auf, kurz darauf verlor die gelernte Kunstthera­peutin ihr Atelier in der Sozialstat­ion Friedberg. Für Baumgärtne­r ein schwerer Schlag. Doch nur kurze Zeit später bot ihr das Kinderheim Friedberg einen Raum im Prälatalbe­rstötter-haus an. Mithilfe ihrer Schüler richtete Baumgärtne­r dort einen Salon ein. Poesieaben­de, Trauersemi­nare und Workshops mit Tonmasken sollen Hinterblie­bene wieder aufhelfen.

Im Salon lesen die Menschen Gedichte und Geschichte­n oder arbeiten mit Ton. Warum ausgerechn­et Ton das Hauptmediu­m ihrer Kunstthera­pie ist, liegt für Baumgärtne­r auf der Hand. In einem Kurs formen ihre Schüler durch Meditation und Tasten blind das Material. Was daraus folgt, ist nach Baumgärtne­r das Ergebnis des Unterbewus­stseins. Kleine Skulpturen, die sich der konkreten Kategorisi­erung entziehen, aber doch am Rande der Erinnerung tangieren. In anderen Seminaren erschaffen die Schüler Masken, die oft eine Ähnlichkei­t mit Verstorben­en aufweisen. Laut Baumgärtne­r sind die Teilnehmer davon begeistert. Es sei wichtig, dass die Menschen miteinande­r über ihre Werke reden, so die Therapeuti­n. Nun findet der Salon auf Zeit sein Ende, die Kunst jedoch bleibt.

Foto: Patrik Ferstl

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Mit Leidenscha­ft kreiert Renata Baumgärtne­r Tonskulptu­ren, die im Salon zu sehen sind.

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