Am Ende bleibt die Kunst
Nach fast drei Jahren Trauerseminaren und Workshops zieht Kunsttherapeutin Renata Baumgärtner aus
Friedberg Ein Ort des Miteinanders soll der Raum sein. Angehörige können hier Trost finden, nachdem ein geliebter Mensch gestorben ist. In Kunstseminaren und Poesieabenden können sie ihrer Trauer Ausdruck verleihen oder Ideen austauschen. Doch nun kommt der Salon auf Zeit im Prälat-alberstötterhaus in Friedberg an sein Ende. Nach zweieinhalb Jahren Kunsttherapie zieht Renata Baumgärtner aus. Wohin sie geht, das weißt die 78-Jährige noch nicht. „Freischaffende Therapeutin will ich nicht mehr sein“, sagt sie. Das erfordere zu viel Kraft. Nun stehen die gesammelten Kunstwerke und Instrumente des Salons zum Verkauf.
Eine moderne Anlage mit Büros und barrierefreien Wohnungen für Senioren soll das ehemalige Kinderheim ersetzen. Geplant ist der Abriss in Juli. Das Grundstück gehört dem Friedberger Kinderheimverein, der seine Arbeit mit den Mieteinnahmen fördern will. Baumgärtner findet das Projekt deshalb gut. Dass sie nicht ewig in dem Gebäude bleiben kann, war ihr schon bewusst, als sie den Raum bezog: Der Abriss stand schon länger fest. Der Name des Ortes bringt es auf den Punkt: „Salon auf Zeit“.
Der Weg bis dahin zeugt von Höhen und Tiefen im Leben von Renata Baumgärtner. Sie war die erste Kunsttherapeutin im Klinikum Augsburg, wo sie ein eigenes Atelier hatte und sowohl Schwerkranke wie auch Angehörige betreute. Die Stelle in der Palliativstation bildete für sie den Höhepunkt in ihrer Arbeit mit Menschen. Patienten mit einer unheilbaren Krankheit liegen dort. Baumgärtner gelang es, sie aus der Passivität herauszuholen. Zusammen malten sie Bilder, sangen Volkslieder oder spielten Musik. Auch mit Ton wurde viel gearbeitet. Besonders ein Erlebnis rührte die Kunsttherapeutin: Als sie mit einer teilnahmslosen Patientin sang, erinnerte sich die Kranke an ihr Lieblingslied. Anschließend hielt die Sterbende Baumgärtners Hand fest umschlossen. „Du hast mich in meiner letzten Stunde noch glücklich gemacht“, waren die letzten Worte der Patientin.
2016 änderte sich jedoch Baumgärtners Leben. Das Klinikum löste ihren Vertrag auf, kurz darauf verlor die gelernte Kunsttherapeutin ihr Atelier in der Sozialstation Friedberg. Für Baumgärtner ein schwerer Schlag. Doch nur kurze Zeit später bot ihr das Kinderheim Friedberg einen Raum im Prälatalberstötter-haus an. Mithilfe ihrer Schüler richtete Baumgärtner dort einen Salon ein. Poesieabende, Trauerseminare und Workshops mit Tonmasken sollen Hinterbliebene wieder aufhelfen.
Im Salon lesen die Menschen Gedichte und Geschichten oder arbeiten mit Ton. Warum ausgerechnet Ton das Hauptmedium ihrer Kunsttherapie ist, liegt für Baumgärtner auf der Hand. In einem Kurs formen ihre Schüler durch Meditation und Tasten blind das Material. Was daraus folgt, ist nach Baumgärtner das Ergebnis des Unterbewusstseins. Kleine Skulpturen, die sich der konkreten Kategorisierung entziehen, aber doch am Rande der Erinnerung tangieren. In anderen Seminaren erschaffen die Schüler Masken, die oft eine Ähnlichkeit mit Verstorbenen aufweisen. Laut Baumgärtner sind die Teilnehmer davon begeistert. Es sei wichtig, dass die Menschen miteinander über ihre Werke reden, so die Therapeutin. Nun findet der Salon auf Zeit sein Ende, die Kunst jedoch bleibt.
Foto: Patrik Ferstl