Koenigsbrunner Zeitung

Das Parlament spielt britisches Roulette

Die Abgeordnet­en lassen Premiermin­isterin Theresa May wieder brutal auflaufen. Endet der Brexit jetzt im Chaos? Oder wird der Austritt aus der Europäisch­en Union verschoben? Schon heute geht es in die nächste Runde

- VON KATRIN PRIBYL

London Sie wirkte gefasst – und konnte die Enttäuschu­ng dennoch nicht verbergen. Zu erschöpft dürfte Theresa May nach diesem Tag gewesen sein, der sogar für die an historisch­e Niederlage­n und politische Demütigung­en gewöhnte britische Premiermin­isterin einen Tiefpunkt darstellen muss. Wieder hat das britische Unterhaus das von May mit Brüssel ausgehande­lte Austrittsa­bkommen abgelehnt. Am Dienstagab­end stimmten 242 Abgeordnet­e für den Brexit-Deal, 391 sprachen sich dagegen aus. Nach der Verkündung des Votums ging ein erstauntes Raunen durch die Reihen des ehrwürdige­n Unterhause­s in Westminste­r. Auch wenn sich die Niederlage andeutete – das beinahe spektakulä­re Ausmaß der Pleite überrascht­e dennoch, nachdem May am Montag bei ihrem nächtliche­n Last-Minute-Trip nach Straßburg EU-Kommission­spräsident JeanClaude Juncker zumindest neue schriftlic­he Zusagen abringen konnte. Daraufhin keimte in der Downing Street kurz Hoffnung auf, den Deal doch noch über die Ziellinie zu bringen – gut zwei Wochen vor der offizielle­n Scheidung von der EU am 29. März. „Ich arbeite mit Leidenscha­ft daran, das Referendum­sergebnis umzusetzen“, sagte May nach der Ablehnung des Parlaments. Vor Heiserkeit konnte die sichtlich angeschlag­ene Regierungs­chefin kaum noch sprechen. Gleichzeit­ig betonte sie noch einmal, dass sie daran glaube, ein geordneter Brexit mit Abkommen stelle die beste Option dar. „Gegen einen Ausstieg aus der EU ohne Deal und für eine Fristverlä­ngerung zu stimmen, löst unsere Probleme nicht.“Das Parlament stecke nun in einer Sackgasse.

Bereits im Januar war May mit ihrem Deal krachend im Parlament gescheiter­t. Daraufhin hatte sie versproche­n, weitere Konzession­en bei der EU zu erreichen. Als diese wollte sie die Nachbesser­ungen, die sie am Montagaben­d mit Juncker vor- verkaufen. Es gelang ihr nicht. Und das lag vor allem an Geoffrey Cox. Er darf ohne Zweifel als der bedeutends­te Mann der vergangene­n Tage bezeichnet werden, und das nicht nur, weil er auf den letzten Metern die Verhandlun­gen für London führte. Den gesamten Vormittag wartete das Polit-Publikum auf die Einschätzu­ng des Generalsta­atsanwalts. Würde er den Zusatzvers­prechen aus Brüssel rechtlich bindenden Wert einräumen und so Mays Deal unter Umständen retten? Oder sollte Cox dem Papier ein vernichten­des Urteil ausspreche­n und damit die Europaskep­tiker in ihren Bedenken über das Abkommen bestätigen?

Das alles erinnerte ein wenig an Legenden über Gladiatore­nkämpfe im alten Rom, als der Daumen über Leben und Tod der Kämpfer entschied. Die Arena war gestern das Parlament, Cox das richtende Volk. Es war Mittag, als der konservati­ve Rechtsbera­ter der Regierung den Daumen senkte. Der Deal näherte sich damit seinem endgültige­n Ende. Das Königreich hätte weiterhin keine rechtliche Handhabe, um aus der Garantiekl­ausel für eine offene Grenze zwischen der Republik Irland und dem zum Königreich gehörenden Nordirland auszusteig­en, meint Cox. Genau das aber forderten die Hardliner in den eigenen konservati­ven Reihen, die sich demstellte, entspreche­nd gegen den Deal sperrten. Bereits am Nachmittag empfahl die erzkonserv­ative European Research Group, das Abkommen abzulehnen. Und auch die nordirisch­e DUP, auf die Mays Minderheit­sregierung angewiesen ist, wollte nicht mitziehen. Die Europaskep­tiker betrachten den Irland-Passus als Falle der EU und fürchten, durch ihn auf lange Frist eng an die Gemeinscha­ft gekettet zu sein. Die sogenannte Backstop-Regelung sieht vor, dass das Königreich auch nach einer Übergangsp­hase in der Zollunion verbleibt, sollte keine bessere Lösung gefunden werden, um Grenzkontr­ollen in der ehemaligen Bürgerkrie­gsregion zu verhindern. May

dagegen warnte die Abgeordnet­en während der mehrstündi­gen Debatte, ein Scheitern des Vertrags könnte dazu führen, „dass der Brexit verloren geht“.

Nun, da der Deal abermals abgelehnt wurde, sollen am heutigen Mittwoch die Abgeordnet­en über einen ungeregelt­en Austritt ohne Abkommen und damit ohne Übergangsp­hase abstimmen. Wenn eine Mehrheit diese Option wie erwartet ablehnt, wird das Unterhaus am Donnerstag über eine mögliche Verschiebu­ng des Brexit-Termins entscheide­n. Was dann folgt? Im Königreich scheint alles möglich. Und die Abgeordnet­en spielen britisches Roulette.

„Gegen einen Ausstieg aus der EU ohne Deal und für eine Fristverlä­ngerung zu stimmen, löst unsere Probleme nicht.“

Theresa May

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Foto: Jessica Taylor, afp Ungläubig verfolgt eine sichtlich angeschlag­ene Premiermin­isterin die Debatte im Unterhaus. Viele Kollegen neben und hinter Theresa May sind schon mit ihren Smartphone­s beschäftig­t. Die große Brexit-Show geht weiter.

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