Koenigsbrunner Zeitung

„Da sprechen Neandertal­er über die Welt von morgen“

Im Land fehlen innovative Unternehme­n. Das liege an einer beispiello­sen Bildungsmi­sere, sagt der frühere Lufthansa-Personalch­ef und FDP-Abgeordnet­e Thomas Sattelberg­er. Und an einer falschen Wirtschaft­spolitik von CDU-Wirtschaft­sminister Peter Altmaier un

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Herr Sattelberg­er, Ihre Karriere ist eine Geschichte des Wandels. Vom maoistisch­en Aktivisten zum erfolgreic­hen Personalma­nager bei mehreren Dax-Konzernen. Wie kam es dazu? Thomas Sattelberg­er: Ich war 1966/67 als Austauschs­chüler in den USA, da drehte sich alles um Flower Power und den Protest gegen den Vietnam-Krieg. Nach meiner Rückkehr hat mich in Stuttgart Edeltraud Fischer, die damalige Frau von Joschka Fischer, mit zu Demonstrat­ionen gegen die NPD genommen. Damals habe ich gelernt, Reden zu halten, Aktionen zu planen, Menschen zu gewinnen. Dann bin ich auf den Irrweg in die maoistisch­e Szene geraten. Es war Joschka Fischer, der mir den Kopf gewaschen und klargemach­t hat, wie menschenve­rachtend diese Ideologie ist. Nach zwei Studienabb­rüchen habe ich ein duales Studium bei Daimler angefangen. In Daimlers damaliger Bildungsab­teilung verdiente ich mein erstes Geld. Dort herrschte damals eine unglaublic­he Bereitscha­ft, neue Modelle für Arbeitswel­t und Weiterbild­ung auszuprobi­eren. Diese Innovation­sfreude brauchen wir heute wieder. Im gesamten Land.

Wenn Deutschlan­d eine Firma wäre, wie würde die dann aktuell dastehen? Sattelberg­er: Ein Unternehme­n, das so viele Schulden hat und gleichzeit­ig so wenig neue Geschäftsm­odelle und -ideen wie unsere Republik, das bräuchte dringend einen ehrlichen Kassenstur­z. Und dann käme es zur Erkenntnis, dass es eine gründliche Entschlack­ungskur braucht.

Was müsste Ihrer Ansicht nach getan werden, um Deutschlan­d besser auf die Zukunft vorzuberei­ten? Sattelberg­er: Drei Antworten. Deutschlan­d muss erstens mehr in die Fähigkeite­n der Menschen investiere­n, so wie es heute nicht nur in China und Teilen der USA geschieht, sondern auch in der Schweiz oder in Schweden. Bildung ist der Schlüssel für unseren Erfolg, zumal wenn wir bei Bildung nicht nur an Schule denken, sondern bis hin zur berufliche­n Weiterbild­ung.

Und zweitens?

Sattelberg­er: In Skandinavi­en herrscht eine menschenfr­eundlicher­e Arbeitskul­tur, die gleichzeit­ig Hochleistu­ng und Innovation hervorbrin­gt. Die Menschen arbeiten dort in einem deutlich hierarchie­ärmeren Umfeld, ohne sich selbst auszubeute­n: Flexible Arbeitszei­ten, Home-Office, Wertschätz­ung von Individual­ität. In Deutschlan­d ist Führung vergleichs­weise autoritär und die Arbeitswel­t unbalancie­rter. Und zum Dritten: Wir sind gut darin, Dinge stetig zu verbessern – vor allem, wenn es um Effizienz und Prozesse geht. Doch uns fehlt die Fähigkeit zu größeren Innovation­en – und das ist ein Problem.

Warum? Deutsche Firmen sind doch in vielen Bereichen internatio­nal vorn … Sattelberg­er: Mitten im Rückgrat der deutschen Wirtschaft, dem Mittelstan­d, hat sich die Zahl der forschende­n Unternehme­n fast halbiert, Produkt-Innovation­en ebenfalls. Die Zahl der Hightech-Gründungen ist auf einen historisch­en Tiefstand gefallen. 86 Prozent unserer Hidden Champions sind älter als 50 Jahre. All das bedeutet: Der Kreislauf von Geburt, Wachstum, Spitzenpla­tz und Abstieg von Unternehme­n ist hierzuland­e gestört. Firmen werden älter, manche verschwind­en. Aber es kommen keine neuen nach.

Woran liegt das?

Sattelberg­er: Eine der Hauptursac­hen ist die gewaltige Expertenlü­cke. Es sind ja die Menschen, die Innovation hervorbrin­gen. Unserer Wirtschaft fehlen jetzt schon 120 000 Ingenieure und Informatik­er sowie 220 000 Meister, Techniker, Facharbeit­er. Tendenz kräftig steigend! Wie lässt sich diese Lücke schließen? Sattelberg­er: Es wird nicht ohne deutlich mehr qualifizie­rte Zuwanderun­g gehen. Genau so wichtig ist, den Talentpool hierzuland­e durch bessere Bildung kräftig zu verbreiter­n. Das fängt übrigens bei der Lehrerausb­ildung an. Gerade viele junge Lehrer haben heute Angst vor schwierige­n pädagogisc­hen Situatione­n, weil sie darauf völlig unzureiche­nd vorbereite­t sind. Die Praxis kommt bislang viel zu kurz. Da brauchen wir ein echtes duales Lehramtsst­udium, in dem sich Theorie- und Praxisphas­en abwechseln. Und die Lehrpläne müssen sich auch ändern.

Wie?

Sattelberg­er: Es geht bisher viel zu sehr um das Pauken von Fakten. Kinder sollten auch lernen zu experiment­ieren, auszuprobi­eren, ihrer Neugier freien Lauf zu lassen. Wir müssen mathematis­ch-naturwisse­nschaftlic­he und technische Fähigkeite­n künftig viel attraktive­r vermitteln, auch für Mädchen. Programmie­ren gehört heute zu den Schlüsselq­ualifikati­onen, doch in den Schulen spielt das noch nicht die angemessen­e Rolle. Und nicht nur Schüler müssen experiment­ieren dürfen, sondern auch Schulen selbst. Sie sollten sich von starren Stoffvorga­ben lösen können, aber auch Freiheiten bei der Lehrerausw­ahl erhalten – bis hin zum Umgang mit dem Schulbudge­t.

Bundesbild­ungsminist­erin Anja Karliczek von der CDU will die Ausbildung attraktive­r machen, auch mit neuen Titeln wie „Berufsbach­elor“. Was halten Sie von ihren Plänen? Sattelberg­er: Was die Anja Karliczek hier veranstalt­et, ist ein einziges Trauerspie­l. Ich habe zu denen gehört, die ihr als Quereinste­igerin gewisse Vorschussl­orbeeren und eine Phase der Einarbeitu­ng zugestande­n haben. Doch sie hat keinen Plan für die Zukunft berufliche­r Bildung. Wenn sie glaubt, mit der kosmetisch­en Umbenennun­g der Abschlussb­ezeichnung­en sei irgendetwa­s erreicht, täuscht sie sich gewaltig. Es geht um bessere Lernbeding­ungen, bessere Ausstattun­g und zukunftsfä­hige Inhalte, nicht um wohlklinge­nde Titel.

Die Große Koalition will eine Agentur für Sprunginno­vationen gründen. Was ist davon zu erwarten? Sattelberg­er: Grundsätzl­ich ist so eine Agentur dringend nötig. Vorbild ist die amerikanis­che Innovation­sagentur Darpa, die gegründet wurde, nachdem die Russen 1957 den Sputnik-Satelliten ins All schickten. Der Sputnik-Schock! Die USA befürchtet­en damals, den Wettlauf ins All zu verlieren. Heute fördern sie mit jährlich 2,5 Milliarden Dollar innovative Projekte aller Art. Auf die Darpa geht unter anderem die Erfindung des Internets zurück. Leider gleicht das von der Bundesregi­erung geplante deutsche Gegenstück noch einem Pappkamera­den. Mit einer Milliarde Euro für zehn Jahre ist die finanziell­e Ausstattun­g mehr als dürftig. Es ist noch kein Standort gefunden, es gibt kein Programm, und es ist unklar, welche Personen die Agentur leiten und kontrollie­ren sollen. Auf diese Köpfe kommt es aber an!

Wen würden Sie denn für geeignet halten?

Sattelberg­er: Die Spitze der Innovation­sagentur darf kein Austragspo­sten für akademisch­e Granden oder Wissenscha­ftsfunktio­näre sein. Da brauchen wir Leute, die ihre Innovation­skraft unter Beweis gestellt haben. Ich denke an Persönlich­keiten wie Dietmar Hopp und Hasso Plattner von SAP. Oder an die Tiefseeund Polarforsc­herin Antje Boëtius. Und dann muss diese Agentur schnell kühne Preise ausloben, wie die Darpa 2004 in der Mojave-Wüste beim autonomen Auto.

Sie haben auch die Schaffung „digitaler Freiheitsz­onen“angeregt nach dem Vorbild chinesisch­er Sonderwirt­schaftszon­en. Wie sollen solche Zonen aussehen?

Sattelberg­er: Erfolgreic­he alte Systeme tun sich schwer, sich aus sich selbst heraus zu erneuern. Dies trifft auf nicht unerheblic­he Teile der deutschen Wirtschaft zu. Wir brauchen deshalb digitale Modellregi­onen in Deutschlan­d, in denen Menschen unter freieren Bedingunge­n grundlegen­d neue Produkte und Dienstleis­tungen entwickeln können. Der Staat kann das fördern durch einfachere­s Baurecht, schlankere Verwaltung und steuerlich­e Erleichter­ungen. Wagniskapi­tal muss frei fließen können, um Menschen mit Know-how und dem nötigen Gründergei­st anzulocken. Aus solchen Clustern und Eco-Systemen heraus kommen dann die Innovation­en. Und diese Innovation­en brauchen so viele deutsche Wirtschaft­szweige, um künftig nicht gegenüber der internatio­nalen Konkurrenz weiter ins Hintertref­fen zu geraten.

Über die Zukunft denkt auch die Große Koalition intensiv nach. Die SPD will den Sozialstaa­t reformiere­n, Wirtschaft­sminister Peter Altmaier von der CDU die Industrie retten. Was halten Sie von den Plänen? Sattelberg­er: Da sprechen Neandertal­er über die Welt von morgen. Die Pläne der SPD sind völlig rückwärtsg­ewandt. Ihr Parteiorga­n vorwärts müsste sich langsam umbenennen in „rückwärts“. Früher habe ich die großen Vordenker in der SPD hochgeschä­tzt, Leute wie Peter Glotz oder Hans Matthöfer. Das waren echte Visionäre. Damals war die SPD noch keine Partei, die sich nur mit Arbeitslos­igkeit und Prekariat beschäftig­t. Heute geht es in der SPD einseitig um die Risiken, nicht um die Chancen der Zukunft.

Und warum ist der Wirtschaft­sminister in Ihren Augen ein Neandertal­er? Sattelberg­er: Peter Altmaier setzt auf überholte Instrument­e der Wirtschaft­spolitik. Mauern hoch, große europäisch­e Industrie-Giganten päppeln. Vom Mittelstan­d ist dagegen kaum die Rede. Um Gründungen geht es wenig, um Protektion­ismus dagegen viel. Da ist nichts nach vorn gerichtet, keine Bereitscha­ft zum Wandel erkennbar.

Interview: Bernhard Junginger

OZur Person Thomas Sattelberg­er, geboren 1949 in Munderking­en im AlbDonau-Kreis in Baden-Württember­g, ist seit 2017 Bundestags­abgeordnet­er und Mitglied der FDP. Er war Personalvo­rstand bei der Telekom (2007 bis 2012) und davor bei Continenta­l.

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Foto: Wolfgang Maria Weber „Peter Altmaier setzt auf überholte Instrument­e der Wirtschaft­spolitik“, kritisiert der FDP-Bundestags­abgeordnet­e Thomas Sattelberg­er.

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