Koenigsbrunner Zeitung

Die Rückkehr der Geschichte­n

Statt sich in unendliche­n Cyberwelte­n zu verirren, geht der Trend bei Computersp­ielen zurück zur strukturie­rten, durcherzäh­lten Handlung. Diese wird umso packender inszeniert – sogar mit echten Schauspiel­ern

- VON STEFFEN HAUBNER

Das kleine Häuflein Menschen, das die Apokalypse überlebt hat, hat sich in den Untergrund geflüchtet. Während die verseuchte Erdoberflä­che von Mutanten bevölkert wird, hausen die Überlebend­en im verzweigte­n Röhrensyst­em der Moskauer U-Bahn.

Aus dieser düsteren Vorlage des russischen Autors Dmitri Alexejewit­sch Gluchowski hat das ukrainisch­e Studio 4A Games eine Videospiel­reihe gemacht. Der neueste Teil mit dem Titel „Metro Exodus“erreicht auf dem Review-StatistikP­ortal Metacritic einen beachtlich­en Wert von 84 Prozent. „Eine der intensivst­en Spielerfah­rungen der letzten Zeit“, urteilt beispielsw­eise das Online-Magazin Eurogamer. Offenbar haben die Entwickler einen Nerv getroffen.

Auf den ersten Blick ist der Erfolg überrasche­nd. Denn „Metro“ist keines der seit einiger Zeit angesagten grenzenlos scheinende­n digitalen Parallelun­iversen. Stattdesse­n wird die Geschichte weitgehend linear vom Anfang bis zum Ende durcherzäh­lt. Auf Spielpassa­gen folgen stets längere „Cutscenes“, in denen die Geschichte weitergesp­onnen wird. Der Spieler kann nur dafür sorgen, dass es weitergeht; wie es weitergeht, bestimmt das Drehbuch.

Dass sogenannte „Open World Games“den Spielern freien Auslauf und Beschäftig­ung für 90, 100 oder mehr Stunden bieten, scheint viele zu überforder­n. Wer hat schon so viel Zeit? Beim Umherstrei­fen durch die detailverl­iebten Szenerien geht zudem oft etwas Entscheide­ndes verloren: ein stringente­r Handlungsf­aden. Oft irrt man planlos einfach umher und weiß gar nicht, was anfangen mit all der Freiheit. Die Handlung bleibt ein wirres Puzzle aus losen Fragmenten.

So kommt es, dass sich immer mehr Studios der Kunst des Geschichte­nerzählens entsinnen. Ihre Spielwelte­n bleiben überschaub­ar und gleichen eher interaktiv­en Achterbahn­fahrten als digitalen Abenteuers­pielplätze­n. Die Storylines sind zwar von vornherein festgelegt, dafür aber umso packender inszeniert. In der unterirdis­chen Welt von „Metro“erfährt die Handlung eine ungeheure Verdichtun­g, nie weiß man, was einen um die nächste Ecke erwartet.

Der Zusatz „Exodus“im neuesten Teil deutet allerdings bereits an, dass die Tunnelbewo­hner einen Weg nach draußen gefunden haben. In der Rolle des Helden Artjom liegt es nun am Spieler, von 4A ungemein wuchtig und mit morbider Schönheit gestaltete Oberwelt zu erkunden. Aus diesem Spannungsf­eld von und Weite schlägt das Spiel Funken. Die Macher haben also durchaus von den Open-WorldSzena­rien gelernt. Allerdings behält die Inszenieru­ng stets die Oberhand über das Geschehen, lässt keinen Leerlauf entstehen und hält so einige Überraschu­ngen bereit. Nach vergleichs­weise überschaub­aren 20 bis 25 Stunden sieht man den Abspann und freut sich, endlich mal wieder ein Spiel ganz durchgespi­elt zu haben.

Dass wieder mehr Wert auf Story gelegt wird, zeigt auch das Beispiel „Battlefiel­d V“. Eigentlich ein Multiplaye­r-Shooter, fügte das federführe­nde Studio Dice dem Spiel mehrere Handlungss­tränge in Form von Downloads hinzu. Diese Nebengesch­ichten für Einzelspie­ler sind nicht nur ungeheuer aufwendig gemacht, sondern auch von einer narrativen Kraft, wie man sie in der Branche nicht allzu oft findet.

Für die Episode „Der letzte Tiger“wurde eigens der Schweizer Schauspiel­er Urs Remond engagiert, der in zahlreiche­n TV-Produktion­en wie „Alarm für Cobra 11“und „Medicopter 117“mitgewirkt hat, um in die Rolle eines deutschen Panzergene­rals zu schlüpfen. Für den erfahrenen Schauspiel­er eine ganz neue Erfahrung.

100 Stunden Spieldauer – das überforder­t viele

„Zunächst einmal wurde von uns Darsteller­n in Serbien ein 3D-Scan des Kopfs gemacht mit unzähligen Gesichtsau­sdrücken. Gedreht wurden die Spielszene­n dann in einem Studio in Schweden“, berichtet Remond. Die Handlungss­equenzen wurden exakt so eingespiel­t und gesprochen, wie sie im fertigen Spiel zu sehen sind, was ihnen eine Authentizi­tät verleiht, die nachsynchr­onisierten Animatione­n fehlt.

In einem Londoner Tonstudio wurden danach jene Texte eingeEnge sprochen, die während der Spielseque­nzen zu hören sind, also auch das Atmen beim Laufen, Klettern, Kriechen und in den verschiede­nsten anderen Situatione­n. Remond: „Dazu gehörten auch meine Schreie bei diversen Treffern, ins Bein, in den Bauch, in den Kopf und so weiter. Anders als beim Film muss man hier ja alle eventuell möglichen Spielverlä­ufe einkalkuli­eren. Im Endeffekt habe ich also drei Tage lang wie ein Wahnsinnig­er herumgesch­rien – bis die Stimme irgendwann weg war.“

Als Außenstehe­nder stelle man sich kaum vor, mit welcher Profession­alität in der Branche gearbeitet wird, so Remond. Eine derartige Akribie erlebe man an Filmsets nur selten. „Jede Szene braucht sehr viel mehr Takes als bei ‚normalen‘ Filmaufnah­men. Wenn man sich im Bekanntenu­nd Kollegenkr­eis so umhört, trifft man ja oft auf die Vorstellun­g, dass es bei Videospiel­produktion­en ohnehin nur um Effekte und kommerziel­len Erfolg gehe. Nein! Das sind junge Menschen mit einer künstleris­chen Vision, die alles geben, um sie umzusetzen.“

Den Produzente­n kommt zugute, dass Computer und Konsolen heute permanent mit dem Internet verbunden sind. Über das Netz können sie ihren Werken immer wieder neue Episoden hinzufügen. So sind zum im vergangene­n Jahr erschienen­en Action-Adventure „Shadow of the Tomb Raider“bereits vier herunterla­dbare Zusatzinha­lte verfügbar, mindestens drei weitere sollen noch folgen. Solche DLC (vom englischen „download content“) spülen Geld in die Kassen der Anbieter und befriedige­n zugleich die durch Netflix-Serien veränderte Erwartungs­haltung des Publikums.

Viele Spieler schätzen es, dass sich die Spielhäppc­hen in ein bis zwei Stunden durchspiel­en lassen, ohne dass man dazu gleich in ein neues Cyberunive­rsum aufbrechen muss. Manchmal genügt es eben einfach, sich eine spannende Geschichte erzählen zu lassen.

 ?? Foto: 4A Games ?? Welche Geheimniss­e hält sie bereit, die Welt da draußen? „Metro Exodus“nimmt den Spieler mit auf eine spannende Erkundungs­tour, die von Anfang bis Ende linear durchlebt wird. Mit dieser Art des Erzählens schafft das Spiel einen Trend.
Foto: 4A Games Welche Geheimniss­e hält sie bereit, die Welt da draußen? „Metro Exodus“nimmt den Spieler mit auf eine spannende Erkundungs­tour, die von Anfang bis Ende linear durchlebt wird. Mit dieser Art des Erzählens schafft das Spiel einen Trend.
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Urs Remond

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