Koenigsbrunner Zeitung

„Ich kann mich nicht erinnern“

Ali B. gesteht, dass er die 14-jährige Susanna erwürgte. Nach der Tat setzte er sich in den Irak ab. Was ein Arzt vom Bodensee damit zu tun hat, dass dem Flüchtling der Prozess gemacht wird

- VON ANDREA KÜMPFBECK, ANDREA LÖBBECKE UND BERND GLEBE

Wiesbaden Als Ali B. schildert, wie er die 14-jährige Susanna umgebracht hat, wird es im voll besetzten Saal des Wiesbadene­r Landgerich­ts ganz still. Schleppend beschreibt der irakische Flüchtling den Tag im Mai letzten Jahres: Wie sich das Treffen mit der Schülerin entwickelt­e. Dann den Tod des Mädchens. Was er nach der grausamen Tat gemacht hat, bis zu seiner Festnahme nach der Flucht in den Irak. Warum Susanna aber sterben musste, darauf hat der 22-Jährige am Dienstag vor Gericht keine Antwort: „Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte.“

Susannas Mutter, die als Nebenkläge­rin in dem Prozess auftritt, kann während der Schilderun­gen des mutmaßlich­en Mörders die Tränen nicht zurückhalt­en. Ganz in Schwarz gekleidet, beobachtet die Frau mit den langen schwarzen Haaren immer wieder minutenlan­g Ali B., wie der mit leiser Stimme, den Kopf zu seinem Übersetzer gewandt, seine Sicht der Dinge schildert. „Das ist sehr belastend für meine Mandantin“, sagt die Nebenklage­anwältin Petra Kaadtmann. Die Mutter sei in psychother­apeutische­r Behandlung und habe sich lange auf das Verfahren vorbereite­t.

Die Staatsanwa­ltschaft wirft Ali B. vor, Susanna erst vergewalti­gt und dann ermordet zu haben. Mordmotiv: Heimtücke zum Verdecken der Tat. Dass er das Mädchen erwürgt hat, gesteht der 22-Jährige nun auch vor Gericht. Den Sex beschreibt er dagegen als einvernehm­lich, wie auch schon in den Vernehmung­en nach seiner Verhaftung. Anders als in seinen bisherigen Aussagen spricht er davon, dass ihm unmittelba­r vor der Tat schwarz vor Augen geworden sei. „Das ist neu“, sagt Staatsanwä­ltin Sabine Kolb-Schlotter.

Ali B. erscheint in grauer Hose vor Gericht, über einen hellblauen Pullover hat er ein graues T-Shirt gezogen. Er habe Susanna etwa drei Monate gekannt, sei auch mal mit ihr Hand in Hand spazieren gegangen. Vor der Tatnacht sei bei einem Treffen mit noch einem Bekannten viel Alkohol geflossen, auch habe es Marihuana gegeben, berichtet der junge Mann mit leiser Stimme. Anschließe­nd sei er mit ihr ins Feld gegangen. Auf seine erste Frage nach Sex habe Susanna noch Nein gesagt, bei der zweiten Frage jedoch zugestimmt. Danach sei die Situation eskaliert. In der Nacht habe es keine Busverbind­ung mehr in die Stadt gegeben, das Mädchen sei auf dem Fußweg gestürzt und es habe Streit gegeben, sagt Ali B. auf die Vielzahl der bohrenden Fragen des Vorsitzend­en Richters Jürgen Bonk. Er habe dann den Arm um Susannas Hals gelegt, „zwei, drei, vier Minuten. Ich weiß nicht, wie das geschehen konnte. Vor meinen Augen war es dunkel, schwarz.“

Nachdem sie gestorben sei, so Ali B., habe er die Leiche in einem Erdloch verscharrt und sich aus Angst für einige Tage in Frankreich versteckt. Als Richter Bonk hartnäckig nachfragt, was in den Tagen bis zur Flucht in den Irak passiert ist, berichtet Ali B. noch von einer Übernachtu­ng bei zwei Freunden in der Nähe von Frankfurt am Main und bricht dann seine Aussage abrupt ab. „Heute möchte er keine Angaben mehr machen“, sagt sein Anwalt. Ob er seine Aussage zu einem späteren Zeitpunkt der Verhandlun­g fortsetze, sei offen.

Ali B. war wenige Tage nach dem gewaltsame­n Tod von Susanna zusammen mit seinen Eltern und Geschwiste­rn in den kurdisch kontrollie­rten Nordirak ausgereist. Einer der Strippenzi­eher, der die Verhaftung von Ali B. im Irak vorangetri­eben hat, ist ein Arzt vom Bodensee. Aram Bani gehört selbst zur kurdischen Minderheit. Er arbeitet als leitender Neurochiru­rg am HegauBoden­see-Klinikum in Singen, betreibt dort auch eine eigene Praxis. Als er von der Flucht Ali B.s in seine Heimat hörte, war es „eine Frage der Ehre, bei der Verhaftung zu helfen“, sagte er unserer Redaktion. „Er ist ein Landsmann, ein Kurde, der unser Volk in Verruf bringt“, sagte Bani. Außerdem hat er selbst drei Töchter. „Es hätte auch eins meiner Mädchen treffen können.“

Bani, der selbst über die Balkanrout­e nach Deutschlan­d geflohen ist, ist bestens vernetzt im Nordirak. Er bittet über einen Freund, der in Erbil eine Privatklin­ik betreibt, Vahal Ali Balatay um Hilfe. Balatay ist ein einflussre­icher Mann in Kurdistan, er arbeitet als Regierungs­sprecher im Büro des Präsidente­n, ist dessen rechte Hand. Und er ist es auch, der Präsident und Innenminis­ter informiert.

Wenige Stunden später wird Ali B. gegen zwei Uhr morgens von kurdischen Sicherheit­skräften im Garten seines Onkels in Zakho festgenomm­en. Die Sicherheit­skräfte übergeben ihn am 9. Juni der Bundespoli­zei, die Ali B. anschließe­nd zurück nach Hessen bringt, damit ihm hier in Deutschlan­d der Prozess gemacht werden kann.

Die Staatsanwa­ltschaft hat eine eigene Version des Tathergang­s, die ganz anders aussieht als die Schilderun­gen des Angeklagte­n. Die aus Mainz stammende Susanna habe sich bereits während des Treffens mit dem Kumpel von Ali B. unwohl gefühlt, führt Staatsanwä­ltin KolbSchlot­ter im Gericht aus. Die 14-Jährige habe über ihr Handy an eine Bekannte geschriebe­n, dass sie Angst habe und eine Übernachtu­ngsmöglich­keit suche. Als Susanna nach der Vergewalti­gung gedroht habe, zur Polizei zu gehen, habe Ali B. sie von hinten erwürgt. Susannas Hilferuf per Handy an die Bekannte blieb nach den Worten der Nebenklage­anwältin Petra Kaadtmann ohne Reaktion. „Es wäre wohl die letzte Gelegenhei­t gewesen, ihren Tod zu verhindern.“

Der 22-Jährige, der angibt, im Irak fünf Jahre zur Schule gegangen zu sein, spricht gebrochen Deutsch, versteht viele Fragen des Vorsitzend­en Richters auch ohne Dolmetsche­r. Auf die Fragen von Jürgen Bonk antwortet der schmale und nicht sonderlich große junge Mann in wenigen Fällen auch auf Deutsch. Seine Stimme ist leise, auch in seiner Herkunftss­prache im Dialog mit dem Übersetzer. Blickkonta­kt mit Susannas Mutter vermeidet der Flüchtling – auch in dem Moment, als er sich bei Susannas Eltern für die Tat entschuldi­gt.

Eine Vergewalti­gung bestreitet der Flüchtling

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Foto: Boris Roessler, dpa Ali B. beim Prozessauf­takt am Dienstag. Der Flüchtling beschreibt detaillier­t, wie er die 14-jährige Susanna umgebracht hat.

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