Besonnen handeln
Was ist das denn? Ist wohl nur für alte Leute gedacht. Wer viel leistet, zählt viel. Aber schaut auch jemand darauf, was er leistet? Wer durch sein Leben rennt, verliert sich meistens. Denn Handeln ohne Besonnenheit ist oft ziellos und unbedacht. Deshalb weiß der kluge Mensch, dass er jeden Abend seinen Tag reflektieren sollte. Da mein Körper behindert ist, habe ich viel Zeit zum Reflektieren, und dabei fällt mir auf, wie unbedacht viele Menschen sind. Sie handeln viel zu spontan und sind dann beleidigt, wenn sie jemand darauf aufmerksam macht. Ich bin auch beleidigt, wenn ich kritisiert werde, aber wenn meine Assistentin besonnen darauf reagiert, kühle ich schnell ab. Besonnenheit ist also so wichtig wie unser tägliches Brot. Ist sozusagen eine wichtige Seelennahrung. Besonnenheit erfordert Geduld und die Fähigkeit, über sich nachzudenken. Selbstreflexion also. Ja, traut ihr einem behinderten Menschen das zu? Wohl kaum. Und dennoch ist es so. Oftmals kann ich besser erkennen, was richtig ist, aber durch die Behinderung kann ich nicht darüber reden, und mein Körper macht sich manchmal auch selbstständig. Menschen mit Behinderung können ihre Gedanken nicht in Handlungen umsetzen. Sie brauchen Dolmetscher, die sie verstehen und ihnen Mut machen, ihre Weisheit zu offenbaren. Ja, Weisheit, da habt ihr schon richtig gelesen. Weisheit kommt nicht von Wissen, sondern von Verstand und Intuition. Wenn beide gut zusammenwirken, kommt ein Stückchen Himmel auf Erden. Denn es ist wie bei einem Komponisten, das weise Gesagte ist ein empfangenes Wort und ein empfangener Klang. Wer sich mit guten Dingen verbindet, wird sich erfreuen, wie viel Weisheit ihm dabei zuteilwird. Frag doch mal einen behinderten Menschen und begreif, dass er vielleicht viel mehr weiß als du. Wenn du mich auf der Straße ansprichst, dann lass dich nicht ablenken von meinem behinderten Getue, sondern bleib ganz bei dir, lausche und lass dich überraschen. Überraschungsei.
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Franziska Ottlik ist 24 Jahre alt und von Geburt an schwerbehindert. Sie ist halbseitig gelähmt und kann nicht sprechen, sondern nur Laute von sich geben. In unserer Kolumne schreibt Franziska über ihren Alltag mit Behinderung. Wer mehr über sie erfahren will, schaut auf ihren Blog: www.franziskaottlik.wordpress.com.