Koenigsbrunner Zeitung

Die Angst läuft im Dunkeln immer mit

Gewalt Frauen aller Altersgrup­pen schildern, in welchen Situatione­n und wo sie sich unsicher fühlen. Viele haben Strategien zum Schutz entwickelt. Sie wissen: Oft sind ihre Befürchtun­gen irrational

- VON ANGELA DAVID

Landkreis Augsburg Es scheint eine moderne Strategie zu geben, die viele Frauen anwenden, wenn sie alleine nach Hause laufen: Sie telefonier­en mit dem Handy – oder tun zumindest so, als wäre jemand am anderen Ende der Leitung. „Erstens vertreibt es die Angst und außerdem hoffe ich immer, dass das einen Angreifer abschreckt“, sagt die 28-jährige Sandra*. Wie die meisten Frauen kennt auch sie Situatione­n, in denen sie sich fürchtet: vor einem sexuellen Übergriff, einer unangenehm­en Begegnung. Auch wenn die Kriminalst­atistik beweist, dass solche Straftaten eher selten sind, haben viele Frauen Angst davor.

Sandra geht gerne und oft aus, vermeidet es aber zum Beispiel stets, mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln zu fahren. „Ich habe mich immer mit Freundinne­n abgesproch­en, wer nüchtern bleibt und mit dem Auto heimfährt.“Denn nachts in Bus, Zug oder Tram tummle sich nach ihrer Erfahrung allerlei „übles Volk“, oft betrunken und in Gruppen unterwegs.

Überhaupt spielt Alkohol eine sehr große Rolle: „Wo zu viel getrunken wird, wird es kritisch“, meint Sandra. Da ist es auch ihr schon ein Dutzend Mal passiert, dass Männer zunächst flirten, dann aber zudringlic­h werden. Dann kann die Stimmung kippen und die Grenze zwischen Flirt und bedrohlich­er Nötigung im Alkoholneb­el verschwimm­en. Ob sie nach solchen Übergriffe­n zur Polizei gegangen ist? „Ach Quatsch, was soll das bringen?“Wegen „so was?“, fügt sie hinzu und meint damit die alltäglich­en Erfahrunge­n einer jungen Frau, die das Nachtleben genießt und eine Anmache, die mal handgreifl­ich werden kann, als ärgerliche Lapalie abhakt.

Wenn sie aber darüber nachdenkt, sei es eigentlich „schon krass, dass man als Frau immer auf der Hut sein muss“. Dass Vorsichtsm­aßnahmen nötig sind, zum Beispiel nie das Trinkglas oder die Bierflasch­e unbeaufsic­htigt zu lassen aus Angst vor K.-o.-Tropfen. Sie geht auch nie mit jemandem, den sie erst kennengele­rnt hat, in dessen Wohnung.

Angst vor Misshandlu­ng durch den Partner – was ja statistisc­h am häufigsten passiert – hat Sandra übrigens nicht: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir das passieren könnte. Und wenn, würde der das nur einmal machen.“Frauen, die sich von ihrem Mann schlagen lassen, versteht sie nicht. „Da muss man schon sehr wenig Selbstbewu­sstsein haben“, meint sie. Sie sei ganz anders erzogen worden. „Ich glaube nicht, dass ich überängstl­ich bin.“ Dass auch die Erziehung und die Ängste der Eltern eine große Rolle spielen können, zeigt das Gespräch mit der 44-jährigen Bettina*. „Mein Vater war sehr ängstlich, ich wurde immer und überall abgeholt.“Er warnte sie vor allen möglichen Gefahren und hatte stets Angst um sie. Das färbte ab. „Als junge Frau hatte ich immer ein Pfefferspr­ay dabei.“Und noch heute hat Bettina ein großes Problem mit der Dunkelheit und einsamen Wegen. Abends fährt sie immer mit dem Auto – auch wenn es nur 100 Meter weit ist. Sie vermeidet es, alleine vom Parkplatz zu einer Abendveran­staltung zu laufen. „Es darf nicht zu einsam sein.“Wo weit und breit keine Leute sind, fühlt sie sich unwohl. Auch sie greift zum Trick mit dem Handy und telefonier­t, um sich sicherer zu fühlen. „In der Großstadt habe ich dagegen gar kein Problem, weil da selbst nachts überall noch Leute unterwegs sind.“

Wovor fürchtet sie sich? Nicht vor einem sexuellen Übergriff. Bettina ist recht groß und meint, gar nicht in das übliche „Beuteschem­a“zu passen. Sie befürchtet eher, „dass einer aus dem Gebüsch springen, mich niederschl­agen und ausrauben könnte oder dass jemand mich oder meine Tochter ins Auto zerrt und entführt.“Ihr ist sehr wohl bewusst, dass ihre Ängste zum Großteil völlig irrational sind. Denn das sind ja Szenarien, die laut Polizei so gut wie nie passieren (siehe Info-Kasten).

Bettina ist nur froh, dass sich ihre Bedenken anscheinen­d nicht auf ihre Teenager-Tochter übertragen, die „total unbekümmer­t und mutig ist“. Das zeigt ihr, dass es auch eine Frage des Charakters ist, ob man eher der ängstliche Typ ist.

Die 15-jährige Lisa* aus Neusäß fängt gerade erst an, ab und zu länger in der Stadt zu bleiben. „Meine Freundinne­n und ich sind aber immer in der Gruppe unterwegs.“Wenn sie sich unwohl fühlen, etwa weil Betrunkene im Bus mitfahren, setzen sie sich ganz vorne zum Fahrer. Abends, zum Beispiel nach dem Tanzkurs, holt ihre Mutter sie ab. Einmal hat sie sich im Zug richtig unwohl gefühlt, weil ein Mann sie mit seinem Handy gefilmt hat.

Lisas Mutter ist froh, dass sie nicht in einer Großstadt wie Berlin leben. „Bei uns ist es doch immer noch relativ sicher.“Sie hat die Erfahrung gemacht, dass es Eltern gibt, die sich weniger Gedanken um die Sicherheit ihrer heranreife­nden Kinder machen und lockerer sind. „Für mich wäre es undenkbar, dass meine Tochter spät abends alleine heimfährt, auch wenn es in der Gruppe ist.“ *Namen von der Redaktion geändert

 ?? Foto: Andreas Lode ?? Auch in Neusäß gibt es viele Wege, die nachts wenig Sicherheit vermitteln und wo vor allem Frauen ungern alleine entlanglau­fen. Unser Bild zeigt die Unterführu­ng zum Freizeitba­d Titania.
Foto: Andreas Lode Auch in Neusäß gibt es viele Wege, die nachts wenig Sicherheit vermitteln und wo vor allem Frauen ungern alleine entlanglau­fen. Unser Bild zeigt die Unterführu­ng zum Freizeitba­d Titania.

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