Warum ein Allgäuer Mönch in Ostdeutschland ein Kloster errichtet
Glaube In Brandenburg sind nur drei Prozent der Bevölkerung katholisch. Dennoch zieht ein junger Allgäuer Mönch in die ostdeutsche Provinz. Er will mit seinen Ordensbrüdern ein altes Kloster wiederbeleben. Doch sie finden keine Ruhe – und treffen eine übe
Neuzelle Die Welt schläft noch, als Bruder Aloysius beginnt, für ihre Rettung zu beten. Schweigend betritt der Mönch die kleine Winterkapelle der barocken Pfarrkirche St. Marien im brandenburgischen Neuzelle nahe der Grenze zu Polen. Draußen ist es dunkel und kalt. Ein strenger Ostwind pfeift über den Kirchturm, dessen Uhr auf kurz vor fünf zeigt. Bruder Aloysius reibt sich fröstelnd die Hände. In seinem weißen Chorgewand mit Kapuze und den langen Ärmeln erinnert er, je nach Betrachtung, an ein Gespenst oder einen Engel. Ergeben nickt er seinen vier Ordensbrüdern zu, die sich mit ihm zum ersten von sieben Stundengebeten am Tag versammelt haben.
Als Pater Simeon, der Prior, auf das hölzerne Chorgestühl klopft, singen die Männer lateinische Psalmen. Ihre Stimmen sind hell und klar. Genau wie ihre Botschaft. Die Zisterzienser, die von der Abtei Heiligenkreuz im Wienerwald (Österreich) entsandt wurden, sind gekommen, um zu bleiben.
Zweihundert Jahre nach der Säkularisierung, in der das Kloster Neuzelle südlich von Frankfurt (Oder) an den Staat fiel, sind die Mönche zurück. Ausgerechnet in der Glaubenswüste Brandenburg. 80 Prozent der Bevölkerung gehören keiner Konfession an. Nur drei Prozent sind katholisch. Dennoch haben sich die Zisterzienser entschlossen, genau hier ein Priorat, also eine Art Außenstelle ihres Mutterordens, zu gründen. Es ist das erste Mal, dass in Brandenburg ein Kloster wiederbelebt wird. Und es ist ein mit Spannung erwartetes Projekt innerhalb der katholischen Kirche. „Wir sehen darin ein hoffnungsvolles Zeichen“, sagt Arnulf Salmen, Sprecher der Ordensobernkonferenz, dem Zusammenschluss der römisch-katholischen Ordensgemeinschaften in Deutschland.
Seit Jahren werden mehr Klöster geschlossen als neu eröffnet. Genaue Zahlen über die Kloster-Entwicklungen liegen zwar selbst ihm nicht vor. Von einem dramatischen Schwund zeugt jedoch die Zahl der registrierten Ordensleute: Vor 20 Jahren waren noch 40700 Brüder und Schwestern in Klöstern aktiv. Heute sind es nur noch 18600. Vor diesem Hintergrund überrascht und irritiert das Beispiel Neuzelle.
Von einem „Himmelfahrtskommando“schrieb der Tagesspiegel. Selbst wenn man nicht ganz so bissig formuliert, stellt sich die Frage nach dem Sinn von Klosterleben in einem Landstrich, in dem es so gut wie keine Gläubigen gibt. Kommen die Mönche, die eine eigene Internetseite betreiben und auf Facebook aktiv sind, als moderne Missionare?
Frater Aloysius schüttelt den Kopf. Er will niemanden überreden oder bekehren. Er will ein gutes Beispiel geben. „Unsere Hauptaufgabe ist das Gebet. Das ist unsere Mission“, sagt der Allgäuer, der einen weiten Weg gegangen ist, und fügt entschlossen an: „Aus dem Gebet erwächst alles.“
Das hat er schon früh gelernt. Rechteckige Brille, Mittelscheitel, schmale Schultern, grau melierte Augenbrauen: Der 29-Jährige erinnert optisch an einen groß gewordenen Ministrant. Und genau das ist er. In der dritten Klasse wurde er Messdiener in der Stadtpfarrkirche St. Martin in Marktoberdorf. Mit 13 Jahren beschloss er, Priester zu werden. Mit seiner Religionslehrerin aus Grundschulzeiten, Schwester Hildegund, telefoniert er noch heute jede Woche. Sie begleitete ihn im Gebet durchs Abitur, durch drei Jahre im Priesterseminar in Augsburg und bei seinem Ordensgelübde im August 2014 bei den Zisterziensern in Heiligenkreuz. Was Frater Aloysius antreibt, ist die Hoffnung, „Jesus immer mehr zu lieben“. Allen Skandalen der katholischen Kirche zum Trotz.
Deshalb hat er keine Sekunde gezögert, nach Neuzelle zu gehen. Pater Simeon, als Prior der zweite Mann nach dem Abt in Heiligenkreuz, hatte ihn vor zwei Jahren darum gebeten. Frater Aloysius gehörte zu einer Art Vorhut von vier Mönchen. Auf Einladung von Bischof Wolfgang Ipolt aus dem nahe gelegenen Görlitz, an dem bis 2010 der heutige Augsburger Bischof Konrad Zdarsa wirkte, sollten sie das Leben in der 750 Jahre alten Klosteranlage in Neuzelle ausprobieren.
Die Reaktionen auf die Ankunft der Mönche fielen unterschiedlich aus. Frater Aloysius erinnert sich an eine Supermarkt-Kassiererin, die vor Freude weinte, als sie ihn in seinem schwarz-weißen Habit erblickte. Doch es gab auch Ablehnung. Ein kommunistischer Brandenburger beschied dem Mönch, dass er keinen Gott brauche. „Ich glaube nur an Marx und Lenin.“Frater Aloysius konterte mit seinem leisen, aber feinen Humor: „Na, diese Herren waren im Vergleich zu unserem Herrgott aber nicht besonders erfolgreich ...“
Auch Prior Simeon kann eine amüsante Geschichte erzählen, die die Einstellung vieler Menschen – vermutlich nicht nur in Brandenburg – auf den Punkt bringt. Als ihn ein Klosterbesucher als Mönch identifizierte, rief dieser ihm zu: „Ich bin zwar Atheist. Aber beten Sie ruhig mal für mich mit.“
Die Mehrheit der 4000 Einwohner von Neuzelle, in dem es immerhin 20 Prozent Katholiken gibt, begrüßte freilich die Rückkehr der Mönche. Kirchgänger versorgten die vier Glaubensbrüder mit Zuspruch und allerlei Gaben aus ihren Kleingärten: Kartoffeln, Zwetschgen, Zucchini, Paprika, Rosenkohl und Äpfel. „Ich bin mit Produktion von Apfelmus und Marmelade fast nicht hinterhergekommen. So toll werden wir unterstützt“, sagt Frater Aloysius, der in der „Mönchs-WG“einkauft, backt und kocht. Allgäuer Kässpatzen, Rindsrouladen oder Dampfnudeln zum Beispiel.
Das Probejahr war für die Ordensbrüder eine Herausforderung. In Neuzelle mussten sie mit einer provisorischen Bleibe im Obergeschoss eines Pfarrhauses vorliebnehmen. Sie vermissten ihre „Familie“, wie Frater Aloysius die 55 Mönche im Heimatstift Heiligenkreuz nennt. Bei einem Mönch wurde das Heimweh zu groß: Er reiste zurück in den Wienerwald.
„Wir mussten uns erst neu sortieren, die Aufgaben sinnvoll verteilen“, erinnert sich Aloysius. „Wir sind dabei unheimlich zusammengewachsen.“Die Mönche diskutierten lebhaft, fanden Halt im Stundengebet und lachten gemeinsam über die Späße von Kloster-Kater Heinz.
Dauerhaft aufs Gemüt schlug den Mönchen indes ein nicht einkalkuliertes Ärgernis: der Lärm in der Klosteranlage, die zugleich eine Touristenattraktion ist. 100 000 Besucher kommen pro Jahr nach Neuzelle. Gut für alle, die davon leben. Schlecht für jene, die sich nach Stille sehnen. „Das Kloster wird wie eine Burg vermarktet“, sagt Frater Aloysius. „Wenn während unseres Stundengebets eine Big Band im Hof probt, passt das nicht zusammen.“
Seit der Wiedervereinigung wird das Kloster von einer Stiftung des Landes Brandenburg verwaltet. Mehr als 52 Millionen Euro flossen seither nach Neuzelle, um es zu restaurieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Im Sommer finden Konzerte, Lesungen und Aufführungen statt. Es gibt Museen samt Shop, ein Antiquariat, ein Café, das Restaurant „Klosterklause“und eine Brauerei, die mit einer Engelkarikatur für ihre „rote KultBrause“namens „Himmelspforte“wirbt. Auf dem Stiftsplatz tummeln sich rauchende Schüler des Internats, das ebenfalls hier untergebracht ist. In der Musikschule wird Schlagzeug unterrichtet.
Die Mönche fühlen sich inmitten dieses bunten Treibens wie Fremdkörper. Andererseits wollen sie keinen Grabenkampf in dem historischen Komplex heraufbeschwören. Stattdessen präsentierten sie im Herbst einen überraschenden Plan: Sie wollen ein neues Kloster bauen – und das in einer Zeit, in der viele andere Klöster geschlossen werden. So musste vor einigen Monaten beispielsweise das letzte Trappistenkloster Deutschlands, die Abtei Mariawald in der Eifel, die Pforten schließen. Die Gemeinschaft war mit einem Altersdurchschnitt von 81 Jahren überaltert.
Diese Sorgen haben die Zisterzienser in Neuzelle nicht. Prior Simeon, 53, und seine Ordensbrüder Kilian, 42, Aloysius, 29, sowie die neu zugezogenen Isaak, 25, Konrad, 29, und Alberich, 27, stehen in der Blüte ihres Lebens. Einen Platz für das zu bauende Kloster haben sie bereits gefunden. Er liegt in einem Wald hinter dem Dörfchen Treppeln, knapp zehn Kilometer von Neuzelle entfernt. Die beiden nächstgelegenen Orte heißen Groß Muckrow und Möbiskruge. Abgeschiedener geht es kaum.
Das dachten sich auch die einstigen DDR-Oberen. Bis Mitte der 1980er Jahre wurde das Grundstück militärisch und dann als Erholungseinrichtung für Ministeriumsangehörige genutzt. Inzwischen sind die alten Baracken verwahrlost. Die Fenster sind eingeschlagen, der Putz bröckelt; auf die Innenwand hat jemand in roter Farbe „Adolf Hitler“und „SS“gesprüht.
„Freiwillig würde ich abends jetzt auch nicht hierherkommen“, sagt Frater Aloysius. Und doch hofft er darauf, dass genau an dieser Stelle das neue Kloster entsteht. Für ihn käme es der „Heilung eines Ortes und seiner Wunden“gleich. Auch die abgeschiedene, ruhige Lage gefällt ihm. Sie erinnert ihn an eine Passage aus dem „Gebet des Klosters am Rande der Stadt“der Schweizer Ordensschwester Silja Walter:
„Wir bleiben, weil wir glauben. Zu glauben und zu bleiben sind wir da, draußen, am Rand der Stadt.“
Derzeit verhandeln die Mönche mit der „Stiftung Neuzelle“, dem Eigentümer, über das Grundstück. Das Bistum Görlitz will eine Million Euro für den Neubau geben. Weiteres Geld, so hoffen die Mönche, kommt in Form von Spenden. Sie setzen auf die Symbolkraft ihres Vorhabens. Ein neues Kloster könnte eine Anlaufstation sein. Die Rede ist von Gästezimmern, einem Klostergarten, Platz für über 20 Mönche und einem Pilgerweg zwischen altem und neuem Kloster. Viel Arbeit wird nötig sein. Im ersten Schritt vor allem Überzeugungsarbeit.
Es ist 7.15 Uhr, als die Mönche nach zweieinviertel Stunden ihr Morgengebet beenden. Langsam schreiten sie von der Kirche über den Stiftsplatz in Richtung „Mönchs-WG“. Der Ostwind bläst ihnen ins Gesicht. Doch daran haben sie sich gewöhnt. Im Ohr haben sie einen Vers aus dem ersten Petrus-Brief, den ihnen Frater Aloysius in der Lesung mit auf den Weg gab. „Seid nicht Beherrscher eurer Gemeinde, sondern Vorbilder für die Herde.“
Ein neuer Tag im Kloster Neuzelle kann beginnen.
Wo der heutige Augsburger Bischof Zdarsa einst wirkte
Auf die Wand hat jemand „Adolf Hitler“gesprüht