Koenigsbrunner Zeitung

Mitdenken und mitreden erwünscht!

Neue Reihe Der „Denkraum“startete im Jazzclub. Es ging dort um das Leben und Wirken von Hannah Arendt

- VON OLIVER WOLFF

Die Idee ist so einfach wie genial: Man trifft sich nach Feierabend bei einem Glas Wein, hört einen Vortrag über ein gesellscha­ftliches Thema, erarbeitet in kleinen Diskussion­srunden Fragen und stellt diese schließlic­h an den Referenten. Ungefähr das ist das Konzept von „Denkraum“, einer neuen Reihe des Friedensbü­ros der Stadt Augsburg in Kooperatio­n mit der Volkshochs­chule. Die erste Veranstalt­ung fand am Montagaben­d im Jazzclub statt. Christiane Lembert-Dobler zeigte sich in Ansprache überwältig­t vom Gästeanstu­rm – das Publikum saß und stand dicht an dicht. Beim ersten „Denkraum“ging es um das Vermächtni­s von Hannah Arendt, deren Theorie laut Lembert-Dobler „unbequem, herausford­ernd, wegweisend, aber auch nicht ganz unumstritt­en“gewesen sei.

Als Gäste waren Moderatori­n Barbara Staudinger vom Jüdischen Museum und Redner Prof. Marcus Llanque vom Lehrstuhl für Politische Theorie an der Universitä­t Augsburg geladen. Nach einem kurzen biografisc­hen Überblick auf das Leben und Wirken von Hannah Arendt – die deutsch-jüdische Publizisti­n wurde 1933 vertrieben und lebte schließlic­h bis zu ihrem Tod in Amerika – erklärte Llanque ihre Denkmuster. So habe Arendt die Betonung des Begriffs „Flüchtling“als Schimpfwor­t empfunden und konnte sich damit nicht identifizi­eren. Die Idee der Menschenre­chte sei für sie das Produkt nobler Herkunft gewesen. Arendt würde immer wieder irrtümlich als Pazifistin verstanden. Sie selbst habe sich dagegen als „Realistin“gesehen, sie habe gar eine militante Einstellun­g vertreten. Ihr reiche nicht der Ausruf: „Ich habe doch Menschenre­chte!“Llanque zitierte die PolitikThe­oretikerin sinngemäß. Man verliere demnach seine Rechte wieder, wenn man nicht mit ihnen handle.

Arendt umschifft die moralische Sackgasse, indem sie die Begrifflic­hkeit austauscht. Man solle eher von „Menschenpf­lichten“reden. Der Menschenre­chtskatalo­g ließe Menschen glauben, sie hätten die Menschenre­chte von Geburt an. Laut Hannah Arendt sei dies falsch: Sie beruhen nur auf gegenseiti­gen Vereinbaru­ngen. Llanque machte das an einem Gedankenex­periment fest: „Wenn alle Menschen sterben würden, hätte der letzte noch lebende Mensch ein Menschenre­cht?“

Menschenre­chtsverlet­zungen resultiere­n laut Arendts Theorie vor allem daraus, dass „Menschen schlecht denken“. Menschenwü­rde habe nicht den Sinn, zu überleben. Es könne auch ein Kennzeiche­n dafür sein, für etwas zu sterben. Llanque erklärte: „Aus ihrer Biografie kann man ableiten, dass man nicht unbedingt in Sicherheit leben muss, um in Menschenwü­rde zu leben.“

Man spürte förmlich, wie es anschließe­nd in den Köpfen des Publikums auf Hochtouren ratterte. In kleinen Gruppen ging es um das eben Gehörte. Man kam dort schnell zu den Problemen, vor denen einen das Denken Hannah Arendts führt. Kann man andere Menschenre­chte verletzen, um andere oder seine eigenen zu schützen? Die Gruppe wusste darauf keine Antwort. Aber das war vielleicht auch gar nicht so wichtig. Denn dieser neue „Denkraum“öffnete einem gleich die Tür ins Gespräch mit anderen Gästen. Eine erfrischen­de Weise, einen Frontalvor­trag lebendig zu gestalten. Dazu umrahmte die Sängerin Eva Gold den Abend musikalisc­h.

Wer neugierig geworden sein sollte auf den nächsten „Denkraum“, benötigt Geduld. Er findet am 30. September statt. Dann wird dort Autorin Sophie Passmann zu Gast sein.

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Foto: O. Wolff Barbara Staudinger und Marcus Llanque beim ersten „Denkraum“.

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