Schweigend in Antalya?
Sicherheit Die Drohungen der türkischen Regierung gegen Urlauber, die sich in Deutschland kritisch gegenüber der Politik ihrer alten Heimat äußern, sorgen für Unruhe. Nicht alle treten ihre Reisen an
Region In der Region Augsburg sorgen aktuelle Drohungen der türkischen Regierung für Unruhe. Einschüchtern lässt sich niemand, doch manche Türkeistämmige streichen den Urlaubsflug.
Mehrmals drohte der türkische Innenminister Süleyman Soylu in den vergangenen Wochen, jetzt nehme die Regierung auch die Deutschtürken ins Visier: „Die, die in Deutschland zu Terrorversammlungen gehen, im Ausland Verrat begehen und dann hier Ferien machen und das Leben genießen wollen, werden es ab jetzt nicht mehr so einfach haben.“
Stornieren türkische Augsburger jetzt ihre Flüge? Viele Deutschtürken sind ohnehin schon seit 2016, als die Massenverhaftungen einsetzten, vorsichtig mit kritischen Äußerungen in der Öffentlichkeit.
Angst, in die alte Heimat oder das Dorf der Eltern zu fahren, haben die Gesprächspartner nicht. Alle Befragten empfehlen jedoch, die Augen offen zu halten.
Ein Lehrer, der 40 Jahre lang türkische Kinder an Augsburger Schulen unterrichtet hat und jetzt im Ruhestand ist, sagt: „Die Worte des Innenministers tun mir sehr leid, die ganze Situation ist schlimm.“Er hat die Pässe beider Länder und war immer wieder auf Verwandtenbesuch in der Türkei. Seine drei Geschwister leben dort. Dass sich die Beziehung zu Deutschland und der undemokratische Kurs Ankaras bald bessern, glaubt der Lehrer nicht. Seinen Namen möchte er daher lieber nicht in der Zeitung lesen.
Özcan Celep, Abgeordneter der Grünen im Gersthofer Stadtrat, war kurz nach dem Putschversuch 2016 Ziel von Provokationen und Drohungen, ließ sich jedoch nicht mundtot machen. Er glaubt sich wegen seiner öffentlichen Funktion geschützt und sagt: „Mit Sicherheit werde ich auch in diesem Jahr wieder hinfliegen!“2018 hätten die Be- amten an der türkischen Grenze seinen Pass länger als sonst überprüft, ihn aber schließlich durchgewunken. Urlaubern empfiehlt er, sich bei politischen Gesprächen zurückzuhalten. Man wisse nie, wer zuhöre. Für Deutsche ohne türkischen Namen sieht er keine Gefahr, solange sie nicht allzu türkeikritisch engagiert sind. „Die können unbesorgt Urlaub in Antalya machen“, so der Kommunalpolitiker.
Zurückhaltung hält auch Senol Duman, Vorsitzender der Alevitischen Gemeinde Augsburg, aus Sicherheitsgründen für angebracht. Gefährdet seien Mitglieder, die sich hier aktiv gegen die türkische Regierung engagieren. „Aber wir kritisieren mit angemessenen Worten, wir sind keine Extremisten“, betont Duman. Im Verein habe man gewarnt, im Urlaub bei Unterhaltungen mit Unbekannten vorsichtig zu sein.
Cemal Bozoglu, Abgeordneter der Grünen im Bayerischen Landtag, war im vergangenen Jahr in der Türkei, um das Referendum zur Einführung des Präsidialsystems zu beobachten. „Ich hatte die Hoffnung, dass die Mehrheit dagegen stimmen würde. Stattdessen hat eine Horde von Menschen diesen Weg in ein autoritäres System fanatisch gefeiert“, erinnert er sich. Land und Leute seien wunderbar, doch besuchen werde er die Türkei vorerst nicht.
Er rät: „Menschen, die sich schon kritisch geäußert und das Gefühl haben, es könnte für sie gefährlich werden, sollten derzeit dort nicht einreisen.“
Arif Sezer hat Verwandt- und Erbschaft in der Südosttürkei. Der Arzt erklärt, dass er – wie schon im Frühjahr 2018 – auch in diesem Sommer wieder dort hinfliegen werde. Serdar Akin hingegen bleibt seit September 2016 lieber in Europa. „Es ist sehr besorgniserregend, dass die Türkei es jetzt sogar schafft, in Deutschland die freie Meinungsäußerung zu behindern“, findet der Informatiker.
In Sozialen Medien fehlten die kritischen Stimmen bereits. Er selbst lässt sich keinen Maulkorb umhängen, obwohl auch im Umfeld des 36-Jährigen schon Bekannte an der Grenze festgehalten, einer sogar kurz in Untersuchungshaft genommen wurde.
Didem Lacin Karabulut studiert Lehramt für Gymnasien und ist die zweite Vorsitzende des Augsburger Integrationsbeirats. Sie hat Sehnsucht nach der Verwandtschaft, findet jedoch, dass ein Urlaub in der Türkei derzeit ein falsches Signal wäre. „Die türkische Regierung spaltet. Ich empfinde die Drohung Soylus als eine klare Kampfansage. Vielleicht wollen sie so verhindern, dass oppositionelle Wähler aus Deutschland zur Kommunalwahl Ende März in ihre Heimatstädte reisen, um dort ihre Stimmen abzugeben.“