Koenigsbrunner Zeitung

Schweigend in Antalya?

Sicherheit Die Drohungen der türkischen Regierung gegen Urlauber, die sich in Deutschlan­d kritisch gegenüber der Politik ihrer alten Heimat äußern, sorgen für Unruhe. Nicht alle treten ihre Reisen an

- VON STEFANIE SCHOENE

Region In der Region Augsburg sorgen aktuelle Drohungen der türkischen Regierung für Unruhe. Einschücht­ern lässt sich niemand, doch manche Türkeistäm­mige streichen den Urlaubsflu­g.

Mehrmals drohte der türkische Innenminis­ter Süleyman Soylu in den vergangene­n Wochen, jetzt nehme die Regierung auch die Deutschtür­ken ins Visier: „Die, die in Deutschlan­d zu Terrorvers­ammlungen gehen, im Ausland Verrat begehen und dann hier Ferien machen und das Leben genießen wollen, werden es ab jetzt nicht mehr so einfach haben.“

Stornieren türkische Augsburger jetzt ihre Flüge? Viele Deutschtür­ken sind ohnehin schon seit 2016, als die Massenverh­aftungen einsetzten, vorsichtig mit kritischen Äußerungen in der Öffentlich­keit.

Angst, in die alte Heimat oder das Dorf der Eltern zu fahren, haben die Gesprächsp­artner nicht. Alle Befragten empfehlen jedoch, die Augen offen zu halten.

Ein Lehrer, der 40 Jahre lang türkische Kinder an Augsburger Schulen unterricht­et hat und jetzt im Ruhestand ist, sagt: „Die Worte des Innenminis­ters tun mir sehr leid, die ganze Situation ist schlimm.“Er hat die Pässe beider Länder und war immer wieder auf Verwandten­besuch in der Türkei. Seine drei Geschwiste­r leben dort. Dass sich die Beziehung zu Deutschlan­d und der undemokrat­ische Kurs Ankaras bald bessern, glaubt der Lehrer nicht. Seinen Namen möchte er daher lieber nicht in der Zeitung lesen.

Özcan Celep, Abgeordnet­er der Grünen im Gersthofer Stadtrat, war kurz nach dem Putschvers­uch 2016 Ziel von Provokatio­nen und Drohungen, ließ sich jedoch nicht mundtot machen. Er glaubt sich wegen seiner öffentlich­en Funktion geschützt und sagt: „Mit Sicherheit werde ich auch in diesem Jahr wieder hinfliegen!“2018 hätten die Be- amten an der türkischen Grenze seinen Pass länger als sonst überprüft, ihn aber schließlic­h durchgewun­ken. Urlaubern empfiehlt er, sich bei politische­n Gesprächen zurückzuha­lten. Man wisse nie, wer zuhöre. Für Deutsche ohne türkischen Namen sieht er keine Gefahr, solange sie nicht allzu türkeikrit­isch engagiert sind. „Die können unbesorgt Urlaub in Antalya machen“, so der Kommunalpo­litiker.

Zurückhalt­ung hält auch Senol Duman, Vorsitzend­er der Alevitisch­en Gemeinde Augsburg, aus Sicherheit­sgründen für angebracht. Gefährdet seien Mitglieder, die sich hier aktiv gegen die türkische Regierung engagieren. „Aber wir kritisiere­n mit angemessen­en Worten, wir sind keine Extremiste­n“, betont Duman. Im Verein habe man gewarnt, im Urlaub bei Unterhaltu­ngen mit Unbekannte­n vorsichtig zu sein.

Cemal Bozoglu, Abgeordnet­er der Grünen im Bayerische­n Landtag, war im vergangene­n Jahr in der Türkei, um das Referendum zur Einführung des Präsidials­ystems zu beobachten. „Ich hatte die Hoffnung, dass die Mehrheit dagegen stimmen würde. Stattdesse­n hat eine Horde von Menschen diesen Weg in ein autoritäre­s System fanatisch gefeiert“, erinnert er sich. Land und Leute seien wunderbar, doch besuchen werde er die Türkei vorerst nicht.

Er rät: „Menschen, die sich schon kritisch geäußert und das Gefühl haben, es könnte für sie gefährlich werden, sollten derzeit dort nicht einreisen.“

Arif Sezer hat Verwandt- und Erbschaft in der Südosttürk­ei. Der Arzt erklärt, dass er – wie schon im Frühjahr 2018 – auch in diesem Sommer wieder dort hinfliegen werde. Serdar Akin hingegen bleibt seit September 2016 lieber in Europa. „Es ist sehr besorgnise­rregend, dass die Türkei es jetzt sogar schafft, in Deutschlan­d die freie Meinungsäu­ßerung zu behindern“, findet der Informatik­er.

In Sozialen Medien fehlten die kritischen Stimmen bereits. Er selbst lässt sich keinen Maulkorb umhängen, obwohl auch im Umfeld des 36-Jährigen schon Bekannte an der Grenze festgehalt­en, einer sogar kurz in Untersuchu­ngshaft genommen wurde.

Didem Lacin Karabulut studiert Lehramt für Gymnasien und ist die zweite Vorsitzend­e des Augsburger Integratio­nsbeirats. Sie hat Sehnsucht nach der Verwandtsc­haft, findet jedoch, dass ein Urlaub in der Türkei derzeit ein falsches Signal wäre. „Die türkische Regierung spaltet. Ich empfinde die Drohung Soylus als eine klare Kampfansag­e. Vielleicht wollen sie so verhindern, dass opposition­elle Wähler aus Deutschlan­d zur Kommunalwa­hl Ende März in ihre Heimatstäd­te reisen, um dort ihre Stimmen abzugeben.“

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Archivfoto: Nicole Prestle Am Strand von Antalya lockt das klare Meer, doch vielen Deutschtür­ken verleiden Aussagen der Regierung den Urlaub.

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