Spezialität: Edle Lederhosen
Unternehmen aus der Region Drei kleine Betriebe in Pöttmes stellen Trachten in Handarbeit her. Wenn sie traditionell sein sollen, geht es nicht anders. Die Firmen stehen für eine alte Zunft, die gefragt ist und dennoch auszusterben droht
Pöttmes Die Tracht ist im Trend wie lange nicht. Das ist nicht nur auf Festen in der Region, sondern ab Samstag auch auf der Wiesn in München zu beobachten. Reihenweise führen Besucher ihre Dirndl und Lederhosen aus – und alles, was sie dafür halten. Doch was nach Tracht aussieht, muss noch lange keine sein – auch Leder ist nicht gleich Leder. Wer es traditionsbewusst mag, kauft sich eine Hose aus Sämischleder. Es herzustellen ist echte Handarbeit. Einer der Letzten in Bayern, der sie betreibt, ist Thomas Sperr aus Pöttmes. Die Marktgemeinde im nördlichen Landkreis Aichach-Friedberg ist in Sachen Tracht ganz vorne mit dabei: Gleich drei Betriebe arbeiten hier noch mit traditionellen Methoden.
Sperrs Sämischgerberei ist seinen Angaben zufolge eine von noch zwei in Bayern – in Deutschland existiert nicht mal mehr eine Handvoll. Früher habe es in jedem Ort einen Gerber gegeben, erzählt der 55-Jährige. Die Wurzeln seines Betriebs reichen zurück bis 1795, seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist er in Pöttmes. Mit 18 Jahren übernahm Sperr den Betrieb seines Vaters und fasste mit der Produktion von Hirschleder Fuß. Seine Ware kommt hauptsächlich aus Neuseeland. Denn die Rothirsche dort haben keine Parasiten, die das Fell narbig erscheinen lassen.
Seine Kunden sind vor allem Säcklereien – also Betriebe, die Lederhosen herstellen – und Raumausstatter aus Deutschland und Österreich. Auch für orthopädische Prothesen und Bandagen wird sein Leder verwendet. Die Nachfrage ist groß. Sperr sagt: „Wir könnten produzieren ohne Ende.“Der große Mann mit der tiefen Stimme spricht von einem regelrechten Notstand. Denn Sämischleder lasse sich nichtindustriell herstellen. Deswegen gebe es noch kleine Betriebe: Für Billighersteller sei Sämischleder „zu viel Gefummel“, sagt er und lacht.
Wie viel „Gefummel“nötig ist, wird in seiner Gerberei klar. In der Wasserwerkstatt wird die Haut im Gerbfass eingeweicht. Durch beigemischten Weißkalk lösen sich die Haare ab. Das restliche Bindegewebe wird entfernt, der Kalk ausgespült, die Feuchtigkeit aus den Fellen gepresst. „Dann kommt der eigentliche Clou der Sämischgerbung“, sagt Sperr. In die Felle wird, wieder im Fass, Tran aus Schwarmfischen eingewalkt. Das wird bis zu dreimal wiederholt. Danach werden die Felle auf dem Trockenboden aufgehängt: Das Fischöl oxidiert mit Sauerstoff, so entsteht die Gerbung und das Fell wird zum Leder. Das alles dauert Monate. Daher die Lieferzeit von bis zu einem halben Jahr. Wie für klassisches Sämischleder üblich, wird die Narbenseite – die glatte Seite – maschinell entfernt.
Danach wird das Leder in der Zurichterei weich gemacht, geschliffen und gefärbt. Der Naturfarbstoff Blauholz wird mit der Bürste auf einer Seite aufgetragen. Dabei kommt Sperrs Ehefrau Gudrun ins Spiel. Die 52-Jährige hilft unter anderem beim Färben, betreut Kunden und kümmert sich ums Büro. Auf Minijob-Basis hilft ein langjähriger Mitarbeiter aus, der bereits in Rente ist.
Für ihn finden die Sperrs keinen Ersatz. Daher legt das Ehepaar seinen Schwerpunkt inzwischen auf die Lohngerbung: Kunden wie Schäfer oder Jäger bringen Felle zum Weißgerben vorbei und holen sie wieder ab. Im Laden gibt es Lammfellprodukte und regionale Schaffelle aus der eigenen Gerberei zu kaufen.
Ein Kunde, den Thomas Sperr mit Hirschleder beliefert, ist sein Bruder Wolfgang. Der 59-Jährige schneidert in seiner Säcklerei im Nachbarhaus überwiegend Lederhosen nach Maß. Rund 200 selbst angefertigte Teile verlassen jährlich das Haus, dazu einige vorgefertigte Lederhosen. Die meisten Kunden kommen aus dem Umkreis von 100 Kilometern. Aber auch „Nordlichter“seien dabei, erzählt Sperr schmunzelnd.
Unter den Kunden sind immer mehr junge Leute. Vorbei die Zeit, da es für viele ein Billigset aus Fernost tat. Sperr: „Heute sind viele edel beieinander – mit weißem Hemd, Weste und Strümpfen. Und sie geben auch was dafür aus.“Wem jetzt einfällt, dass er noch eine Lederhose fürs Oktoberfest braucht, der ist viel zu spät dran: Sechs bis zwölf Monate beträgt die Lieferzeit. Das Zuschneiden und Nähen dauert Sperr zufolge acht bis zehn Stunden, die Stickereien – je nach Aufwand – fünf bis 35. Das alles hat seinen Preis: Ab 900 Euro muss der Kunde für eine maschinenbestickte Lederhose bezahlen, ab 1100 Euro für handbestickte. Sperr zieht einen Vergleich zwischen billigen und hochwertigen Exemplaren: „Wenn jemand sagt: Ich habe eine Hirschlederhose, sagt das gar nichts. Das ist genauso, wie wenn er sagt: Ich habe einen Rotwein.“Eine Hose aus Sämischleder, aus Rothirschhaut gegerbt, sei die traditionellste, edelste Art, so Sperr.
Eher nebenbei fing der gelernte Kürschner einst mit der Herstellung von Lederhosen an. Heute machen sie rund 90 Prozent seines Geschäfts aus. Neue Pelze verkauft er nicht mehr; lediglich Aufträge, alte Pelze umzuarbeiten, bekommt er ab und zu. Bei ihm arbeiten eine Lederschneidermeisterin in Vollzeit, eine Schneiderin in Teilzeit und eine Stickerin in Heimarbeit. Seine Säcklerei ist eine von nur noch rund 25 in Bayern, schätzt er.
Eine andere ist nur wenige Häuser entfernt zu finden und wird heuer 50. Ludwig Krammer übernahm das Trachtengeschäft mit Säcklerei von seinem Vater und betreibt es nun mit seiner Frau. „Ich war einer der Ersten, der damals wieder die Meisterprüfung ablegen konnte“, erzählt der 58-Jährige, während er in knielanger Lederhose in seiner Werkstatt sitzt. Zuvor habe es keinen Prüfungsausschuss und keine Schule mehr gegeben. Pro Lederhose schneidet er bis zu 30 Einzelteile zu, zeichnet die Muster auf und näht die Teile zusammen. Maria Krammer bestickt sie von Hand. Die 55-Jährige ist gelernte Schneiderin. Bis zu 30 Stunden Arbeit stecken in einer Hirschlederhose. Die Preise liegen bei den Krammers zwischen 750 und 1000 Euro.
Seit Mai läuft das Wiesngeschäft. Vier bis sechs Monate müssen Kunden auf ihre Lederhose warten. Viele kaufen sie auch zur Hochzeit oder für die Arbeit – dann ohne Stickerei. Manchmal gibt es ausgefallene Wünsche: ein gesticktes Familienwappen etwa oder das Logo des Lieblingsvereins. „Aber man kann nicht alles sticken“, sagt Krammer. Abgesehen von der Länge der Hosen und anderen Details hat sich an seinem Handwerk nicht viel geändert. Krammer ist überzeugt von dem, was er tut: „Eine richtige Lederhose ist halt eine Hirschlederhose.“Und wenn schon Hirsch, dann sämisch gegerbt. Die Felle kommen unter anderem von Thomas Sperr.
Doch die kleinen Betriebe, die die Zutaten wie Stickseiden oder Knöpfe liefern, werden immer weniger, berichtet Wolfgang Sperr. Auch die Zahl der Säckler sinkt. Ludwig Krammer befürchtet: „Der Beruf wird über kurz oder lang aussterben.“Die Industrie dränge vermehrt mit Billigprodukten auf den Markt. Zudem fehle es an Nachfolgern. Auch die beiden Kinder der Krammers haben sich für andere Berufswege entschieden – ebenso wie die zwei Söhne von Gudrun und Gerber Thomas Sperr.