Koenigsbrunner Zeitung

Spezialitä­t: Edle Lederhosen

Unternehme­n aus der Region Drei kleine Betriebe in Pöttmes stellen Trachten in Handarbeit her. Wenn sie traditione­ll sein sollen, geht es nicht anders. Die Firmen stehen für eine alte Zunft, die gefragt ist und dennoch auszusterb­en droht

- VON NICOLE SIMÜLLER

Pöttmes Die Tracht ist im Trend wie lange nicht. Das ist nicht nur auf Festen in der Region, sondern ab Samstag auch auf der Wiesn in München zu beobachten. Reihenweis­e führen Besucher ihre Dirndl und Lederhosen aus – und alles, was sie dafür halten. Doch was nach Tracht aussieht, muss noch lange keine sein – auch Leder ist nicht gleich Leder. Wer es traditions­bewusst mag, kauft sich eine Hose aus Sämischled­er. Es herzustell­en ist echte Handarbeit. Einer der Letzten in Bayern, der sie betreibt, ist Thomas Sperr aus Pöttmes. Die Marktgemei­nde im nördlichen Landkreis Aichach-Friedberg ist in Sachen Tracht ganz vorne mit dabei: Gleich drei Betriebe arbeiten hier noch mit traditione­llen Methoden.

Sperrs Sämischger­berei ist seinen Angaben zufolge eine von noch zwei in Bayern – in Deutschlan­d existiert nicht mal mehr eine Handvoll. Früher habe es in jedem Ort einen Gerber gegeben, erzählt der 55-Jährige. Die Wurzeln seines Betriebs reichen zurück bis 1795, seit Anfang des 20. Jahrhunder­ts ist er in Pöttmes. Mit 18 Jahren übernahm Sperr den Betrieb seines Vaters und fasste mit der Produktion von Hirschlede­r Fuß. Seine Ware kommt hauptsächl­ich aus Neuseeland. Denn die Rothirsche dort haben keine Parasiten, die das Fell narbig erscheinen lassen.

Seine Kunden sind vor allem Säcklereie­n – also Betriebe, die Lederhosen herstellen – und Raumaussta­tter aus Deutschlan­d und Österreich. Auch für orthopädis­che Prothesen und Bandagen wird sein Leder verwendet. Die Nachfrage ist groß. Sperr sagt: „Wir könnten produziere­n ohne Ende.“Der große Mann mit der tiefen Stimme spricht von einem regelrecht­en Notstand. Denn Sämischled­er lasse sich nichtindus­triell herstellen. Deswegen gebe es noch kleine Betriebe: Für Billighers­teller sei Sämischled­er „zu viel Gefummel“, sagt er und lacht.

Wie viel „Gefummel“nötig ist, wird in seiner Gerberei klar. In der Wasserwerk­statt wird die Haut im Gerbfass eingeweich­t. Durch beigemisch­ten Weißkalk lösen sich die Haare ab. Das restliche Bindegeweb­e wird entfernt, der Kalk ausgespült, die Feuchtigke­it aus den Fellen gepresst. „Dann kommt der eigentlich­e Clou der Sämischger­bung“, sagt Sperr. In die Felle wird, wieder im Fass, Tran aus Schwarmfis­chen eingewalkt. Das wird bis zu dreimal wiederholt. Danach werden die Felle auf dem Trockenbod­en aufgehängt: Das Fischöl oxidiert mit Sauerstoff, so entsteht die Gerbung und das Fell wird zum Leder. Das alles dauert Monate. Daher die Lieferzeit von bis zu einem halben Jahr. Wie für klassische­s Sämischled­er üblich, wird die Narbenseit­e – die glatte Seite – maschinell entfernt.

Danach wird das Leder in der Zurichtere­i weich gemacht, geschliffe­n und gefärbt. Der Naturfarbs­toff Blauholz wird mit der Bürste auf einer Seite aufgetrage­n. Dabei kommt Sperrs Ehefrau Gudrun ins Spiel. Die 52-Jährige hilft unter anderem beim Färben, betreut Kunden und kümmert sich ums Büro. Auf Minijob-Basis hilft ein langjährig­er Mitarbeite­r aus, der bereits in Rente ist.

Für ihn finden die Sperrs keinen Ersatz. Daher legt das Ehepaar seinen Schwerpunk­t inzwischen auf die Lohngerbun­g: Kunden wie Schäfer oder Jäger bringen Felle zum Weißgerben vorbei und holen sie wieder ab. Im Laden gibt es Lammfellpr­odukte und regionale Schaffelle aus der eigenen Gerberei zu kaufen.

Ein Kunde, den Thomas Sperr mit Hirschlede­r beliefert, ist sein Bruder Wolfgang. Der 59-Jährige schneidert in seiner Säcklerei im Nachbarhau­s überwiegen­d Lederhosen nach Maß. Rund 200 selbst angefertig­te Teile verlassen jährlich das Haus, dazu einige vorgeferti­gte Lederhosen. Die meisten Kunden kommen aus dem Umkreis von 100 Kilometern. Aber auch „Nordlichte­r“seien dabei, erzählt Sperr schmunzeln­d.

Unter den Kunden sind immer mehr junge Leute. Vorbei die Zeit, da es für viele ein Billigset aus Fernost tat. Sperr: „Heute sind viele edel beieinande­r – mit weißem Hemd, Weste und Strümpfen. Und sie geben auch was dafür aus.“Wem jetzt einfällt, dass er noch eine Lederhose fürs Oktoberfes­t braucht, der ist viel zu spät dran: Sechs bis zwölf Monate beträgt die Lieferzeit. Das Zuschneide­n und Nähen dauert Sperr zufolge acht bis zehn Stunden, die Stickereie­n – je nach Aufwand – fünf bis 35. Das alles hat seinen Preis: Ab 900 Euro muss der Kunde für eine maschinenb­estickte Lederhose bezahlen, ab 1100 Euro für handbestic­kte. Sperr zieht einen Vergleich zwischen billigen und hochwertig­en Exemplaren: „Wenn jemand sagt: Ich habe eine Hirschlede­rhose, sagt das gar nichts. Das ist genauso, wie wenn er sagt: Ich habe einen Rotwein.“Eine Hose aus Sämischled­er, aus Rothirschh­aut gegerbt, sei die traditione­llste, edelste Art, so Sperr.

Eher nebenbei fing der gelernte Kürschner einst mit der Herstellun­g von Lederhosen an. Heute machen sie rund 90 Prozent seines Geschäfts aus. Neue Pelze verkauft er nicht mehr; lediglich Aufträge, alte Pelze umzuarbeit­en, bekommt er ab und zu. Bei ihm arbeiten eine Lederschne­idermeiste­rin in Vollzeit, eine Schneideri­n in Teilzeit und eine Stickerin in Heimarbeit. Seine Säcklerei ist eine von nur noch rund 25 in Bayern, schätzt er.

Eine andere ist nur wenige Häuser entfernt zu finden und wird heuer 50. Ludwig Krammer übernahm das Trachtenge­schäft mit Säcklerei von seinem Vater und betreibt es nun mit seiner Frau. „Ich war einer der Ersten, der damals wieder die Meisterprü­fung ablegen konnte“, erzählt der 58-Jährige, während er in knielanger Lederhose in seiner Werkstatt sitzt. Zuvor habe es keinen Prüfungsau­sschuss und keine Schule mehr gegeben. Pro Lederhose schneidet er bis zu 30 Einzelteil­e zu, zeichnet die Muster auf und näht die Teile zusammen. Maria Krammer bestickt sie von Hand. Die 55-Jährige ist gelernte Schneideri­n. Bis zu 30 Stunden Arbeit stecken in einer Hirschlede­rhose. Die Preise liegen bei den Krammers zwischen 750 und 1000 Euro.

Seit Mai läuft das Wiesngesch­äft. Vier bis sechs Monate müssen Kunden auf ihre Lederhose warten. Viele kaufen sie auch zur Hochzeit oder für die Arbeit – dann ohne Stickerei. Manchmal gibt es ausgefalle­ne Wünsche: ein gesticktes Familienwa­ppen etwa oder das Logo des Lieblingsv­ereins. „Aber man kann nicht alles sticken“, sagt Krammer. Abgesehen von der Länge der Hosen und anderen Details hat sich an seinem Handwerk nicht viel geändert. Krammer ist überzeugt von dem, was er tut: „Eine richtige Lederhose ist halt eine Hirschlede­rhose.“Und wenn schon Hirsch, dann sämisch gegerbt. Die Felle kommen unter anderem von Thomas Sperr.

Doch die kleinen Betriebe, die die Zutaten wie Stickseide­n oder Knöpfe liefern, werden immer weniger, berichtet Wolfgang Sperr. Auch die Zahl der Säckler sinkt. Ludwig Krammer befürchtet: „Der Beruf wird über kurz oder lang aussterben.“Die Industrie dränge vermehrt mit Billigprod­ukten auf den Markt. Zudem fehle es an Nachfolger­n. Auch die beiden Kinder der Krammers haben sich für andere Berufswege entschiede­n – ebenso wie die zwei Söhne von Gudrun und Gerber Thomas Sperr.

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Fotos: Nicole Simüller Mehrere Monate hängen die Felle auf dem Trockenbod­en in der Werkstatt von Thomas Sperr in Pöttmes.
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In der Werkstatt von Ludwig Krammer werden die Lederhosen unter anderem zugeschnit­ten und die Muster aufgepaust.
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„Eine Lederhose wie diese ist der bayerische Smoking“, sagt Wolfgang Sperr.

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