Wo die Bücher klingen wollen
Wer hier ins Regal greift, sollte Noten lesen können. Aber nicht nur Musiker kommen auf ihre Kosten. Tonträger und Streaming gehören ebenfalls zum Angebot
Fast hätte ihr ein Untergrunddasein gedroht. Als 1993 die Stelle der Musikbibliothekarin vakant geworden ist, sollte die Augsburger Musikbücherei komplett an die Staats- und Stadtbibliothek abgegeben werden, wo sie in den Keller verbannt worden wäre. Doch eine Interessengemeinschaft musikliebender Bürger schlug Alarm und der Kulturreferent blies die Aktion ab und berief einen neuen Bibliothekar fürs Musikalische. Selbiger ist der Meinung, eine Musikbücherei „gehört zur Grundversorgung“. Warum? „Weil immer noch ein großer Teil der Bevölkerung aktiv musiziert und weil diese Bücherei mehr tut, als Noten und Fachliteratur zur Verfügung zu stellen“, sagt der Leiter der Musikbücherei Augsburg, Robert Forster, – der einzigen in ganz Schwaben.
Unter 200 Fachkollegen aus ganz Deutschland wird er sich darüber bei der Jahrestagung der Musikbibliotheken vom 17. bis 20. September hier in Augsburg austauschen. Vieles ist bei ihnen in Bewegung gekommen. Seit gut einem Jahr ist es an der Musikbücherei Augsburg sogar möglich, über das Streamingportal „freegal“das komplette Angebot von Sony Music kostenfrei zu nutzen. Vorausgesetzt man hat den Benutzerausweis der Stadtbücherei. Das Angebot umfasst nach eigenen Angaben elf Millionen Titel von tausenden Künstlern von Rock und Pop bis zur klassischen Musik. Weiterhin hält die Musikbücherei natürlich CDs und sogar Schallplatten zur Ausleihe bereit. Selbst einen Überaum können die Nutzer stundenweise mieten, um am eigenen Instrument auch mal Noten auszuprobieren. Passt das Stück für mich? Mag ich diesen Stil? Ist es zu schwierig, zu leicht?
Bei Uta Barth, Musikbibliothekarin am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität, stellt sich eher die Frage, in welcher Ausgabe die Studierenden das Aufführungsmaterial benötigen, das bei ihr in den Regalen steht. „Opernpartituren hat man früher oft auf Deutsch herausgegeben, inzwischen führt man sie in der Originalsprache auf“, erklärt sie. Auf 40 000 Medien sei ihr Bestand in der Maximilianstraße angewachsen, seit sie im September 2003 als erste Fachkraft dort angetreten ist. „Früher erledigte die Sekretärin die Noten-Ausleihe mit…“
Doch das Leihmaterial ist kostbar. „Klavierauszüge können ziemlich teuer sein“, weiß die Bibliothekarin. Mitunter müsse man Orchestersätze direkt beim Verlag mieten. Und manche Musiker spielen heute ganz ohne Papier nur noch von ihrem Tablet. Uta Barth muss sich dafür neuerdings mit den DownloadBedingungen der Verlage befassen – neben der Klärung der Aufführungsrechte mit der Gema. Kopien von Noten seien etwa nur in einem engen Rahmen zulässig.
Kann ein Musikbibliothekar seine Noten so lesen, dass er – wie beim Lesen von Literatur sofort Bilder entstehen – sofort den Klang in sich hört? „Bei kleineren Besetzungen ist das kein Problem, bei großen Orchesterwerken muss ich mich sehr anstrengen“, räumt Uta Barth ein. Robert Forster meint, man brauche schon Spezialkenntnisse, um ein komplexes Notenbild zu entziffern.
Forster kennt auch die Spezialitäten seiner Sammlung. Etwa die 93 Bände des amerikanischen Bankiers James Loeb (1867–1933), die von seinem Alterssitz in Murnau auf kuriosem Wege in die Bücherei gelangten. Es ist Musik des späten 19. Jahrhunderts in der Auswahl eines privaten Musikliebhabers. Aus der Reihe fällt auch der umfangreiche Bestand des örtlichen Gitarristenverbands, der sich 1949 aufgelöst hatte. Bei Uta Barth zählen zu den Spezialitäten die Noten einzelner Lehrer des Konservatoriums wie Arthur Piechler. Und eine Fülle von Aufführungsmaterial für sinfonische Blasorchester. Wie sie zu leiten sind, wurde geraume Zeit nur in Augsburg vermittelt.
Historisches musikalisches Material findet man hauptsächlich in der Universitäts- sowie in der Staatsund Stadtbibliothek. Stadtbücherei und LMZ wissen sich vor allem der aktuellen Musikpraxis verpflichtet. Zum Beispiel die Spezialsammlung Musiktherapie: „Da sind wir ganz breit aufgestellt“, sagt Uta Barth. Weil an der Uni seit jeher Musikerzieher und -wissenschaftler ausgebildet werden, arbeitet sie eng mit den Kollegen der Unibibliothek zusammen. Für ihre Abschlussarbeiten nützen die LMZ-Studenten gern deren Fachliteratur. Forster empfiehlt Lehrkräften seine gut sortierte Abteilung Musikpädagogik.
Bald wird Uta Barth Nachbarin von Robert Forster sein, wenn das LMZ im März 2020 in die umgebaute Grottenau-Post einzieht. Dann können sie sich noch enger in ihrer Büchereiarbeit abstimmen. Denn finanziell werden beide Einrichtungen zu knapp gehalten, um ihre Bestände auf dem Laufenden zu halten. Die Musik ist ein weites Feld.
Jede Sammlung hat so ihre Spezialitäten