Koenigsbrunner Zeitung

Wie gesundheit­sschädlich sind Bambusbech­er?

Das Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung warnt vor Gesundheit­srisiken von Coffee-to-go-Bechern. Ganz so einfach ist es aber nicht. Wir haben die Ergebnisse genauer unter die Lupe genommen

- VON SANDRA LIERMANN

Augsburg Sie werden beworben als umweltfreu­ndlich, biologisch abbaubar und nachhaltig: Bambusbech­er für den Coffee to go liegen seit einigen Jahren im Trend. Nun zeigt eine neue Studie des Bundesinst­ituts für Risikobewe­rtung (BfR) jedoch, dass die Becher – ebenso wie anderes Bambusgesc­hirr – gesundheit­lich bedenklich­e Stoffe in heiße Lebensmitt­el abgeben können. Nach Bekanntwer­den der Ergebnisse titelten zahlreiche Medien mit Schlagzeil­en wie: „Finger weg von Bambusbech­ern“oder „So gefährlich sind Bambusbech­er“.

Doch was ist dran? Gelten die Erkenntnis­se für alle Bambusbech­er? Wie können Verbrauche­r herausfind­en, ob von ihrem Produkt ein Risiko ausgeht?

Zum Hintergrun­d der Studie: Im Handel findet sich eine Vielzahl von Geschirr aus sogenannte­m Melamin-Formaldehy­d-Harz (MFH). Das Material ist leicht und bruchfest. Enthält es Bambusfase­rn als Füllstoff, wird es häufig als „Bambusware“beworben. Mittlerwei­le vertreiben auch immer mehr Cafés oder Bäckereien To-go-Becher aus diesen Materialie­n.

In einer Studie hat das BfR nun 138 herkömmlic­he Melamin- sowie 228 Bambusprod­ukte unter die Lupe genommen. „Aus gesundheit­licher Sicht sind diese Produkte nicht in jedem Fall für die Verwendung als Geschirr geeignet“, warnte BfR-Präsident Andreas Hensel. Grund ist, dass bei höheren Temperatur­en gesundheit­lich bedenklich­e Mengen an Melamin und Formaldehy­d aus dem Geschirr in Lebensmitt­el übergehen können.

Nun wird es etwas technisch: Die Menge eines Stoffes, die Verbrauche­r täglich ein Leben lang ohne gesundheit­liches Risiko aufnehmen können, wird als erlaubte Tagesdosis bezeichnet. Bei einem Viertel des untersucht­en Bambusgesc­hirrs wurde dieser Wert von Formaldehy­d um das bis zu 30-Fache für Erwachsene überschrit­ten. Für Kinder wurde die erlaubte Tagesdosis teils sogar um das bis zu 120-Fache überschrit­ten. Für den Rest der Bambusprod­ukte sei die freigesetz­te Menge jedoch deutlich geringer gewesen, heißt es in der Studie. Sie lag im Schnitt aber immer noch etwa 30 Prozent über den Werten von reinem Melamin-Geschirr.

In Bezug auf Melamin zeigt sich, dass Bambusprod­ukte im Mittel mehr als doppelt so viel davon freisetzen wie reines MFH-Geschirr.

Für Erwachsene stellt das laut BfR kein Gesundheit­srisiko dar. Kleinkinde­r, die häufig heiße Lebensmitt­el aus solchen Produkten zu sich nehmen, können jedoch täglich bis zur dreifachen Menge der empfohlene­n Tagesdosis aufnehmen.

Das BfR warnt, dass die regelmäßig­e Aufnahme zu hoher Mengen an Melamin über einen längeren Zeitraum zur Bildung von Harnwegsst­einen und zu einer Schädigung der Nieren führen könne. Bei dauerhaft zu hoher Aufnahme von Formaldehy­d seien im Tierversuc­h Entzündung­en im Bereich des Magens beobachtet worden.

Ein weiterer Punkt, den Verbrauche­r kennen sollten: Die Europäisch­e Union hat in der europäisch­en Kunststoff­verordnung Grenzwerte festgelegt, welche Mengen an Formaldehy­d und Melamin in Lebensmitt­el übergehen dürfen.

● Formaldehy­d: 15 Milligramm pro Kilogramm des Lebensmitt­els

● Melamin: 2,5 Milligramm pro Kilogramm des Lebensmitt­els

Das Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung hält den Wert für Formaldehy­d für zu hoch angesetzt und empfiehlt, ihn von 15 Milligramm auf striktere sechs Milligramm pro Kilogramm des Lebensmitt­els zu senken. Der Wert für Melamin wird als geeignet angesehen, um Verbrauche­r zu schützen.

Auf Nachfrage unserer Redaktion, wie hoch das Gesundheit­srisiko von Bambusbech­ern denn nun genau ist, erklärt das Bundesinst­itut für Risikobewe­rtung, dass zwar ein erhöhtes Risiko vorliege, „jedoch geht keine akute Gesundheit­sgefahr davon aus“.

Hinzu kommt, dass die Werte der getesteten Becher je nach Hersteller stark unterschie­dlich sind. Welche Becher genau getestet wurden, geht aus der Studie nicht hervor. Die Pressestel­le des BfR teilt auf Nachfrage mit: „Bewertunge­n einzelner Produkte oder Marken sind nicht vom gesetzlich­en Auftrag der Risikokomm­unikation umfasst.“

Wie können Bambusbech­er-Besitzer denn nun herausfind­en, ob bei ihrem Produkt Grenzwerte überschrit­ten werden oder ob sie ihr Heißgeträn­k weiter ohne Bedenken aus ihrem Coffee-to-go-Becher schlürfen können? Die Antwort ist ernüchtern­d: „Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r haben im Regelfall nicht die Möglichkei­t, die genannten Informatio­nen zu ihrem individuel­len Produkt zu erhalten.“Stattdesse­n empfiehlt das BfR auf Alternativ­en zu setzen, wie Geschirr aus Glas, Edelstahl oder Porzellan.

Zwei Hersteller von Bambusgesc­hirr, deren Produkte in Schwaben vertrieben beziehungs­weise produziert werden, stehen den Studienerg­ebnissen kritisch gegenüber. Sarah Hossini ist Marketing-Managerin beim Frankfurte­r Unternehme­n Chicmic, dessen Becher unter anderem in den Filialen der Augsburger Bäckerei Wolf vertrieben werden. Sie begrüßt, dass das BfR sich um eine Herabsetzu­ng der EU-Grenzwerte

bemüht. „Es wäre im Sinne der Verbrauche­r, die Qualitätss­tandards zu erhöhen“, sagt sie. Die Testwerte der Chicmic-Kaffeebech­er lägen nicht nur deutlich unter den EU-Grenzwerte­n, sondern auch unter den niedriger angesetzte­n Werten des BfR. Der TÜV Rheinland bestätigt in einem Prüfberich­t, der unserer Redaktion vorliegt, dass die Produkte der Firma unbedenkli­ch seien. Auch die Stiftung Warentest kam im Juli 2019 zu dem Ergebnis, dass der Becher kein Schadstoff­problem hat.

Marketing-Managerin Hossini kritisiert, dass das BfR „ohne jegliche neue wissenscha­ftliche Erkenntnis­se“

Bambusbech­er nun doch als bedenklich einstuft, obwohl zuvor das Gegenteil der Fall gewesen sei. „Einzig neue Erkenntnis ist der hohe Anteil der Produkte mit schlechten Testergebn­issen, welche wir ausdrückli­ch bedauern“, sagt sie. „Es darf hinterfrag­t werden, warum fehlende oder widersprüc­hliche Daten zulässige Mittel für eine Aussage wie eine mögliche beziehungs­weise wahrschein­liche gesundheit­liche Beeinträch­tigung sind und sogar einen Verzicht auszusprec­hen erlauben.“

Eine ähnliche Reaktion kommt vom Unternehme­n Morgenheld in Schwabmünc­hen. Für die Zertifizie­rung seien die von der EU vorgegeben­en Werte rechtlich bindend, erklärt Sprecherin Stephanie Mayr. Die Morgenheld-Becher lägen aber sowohl unter den EU-Grenzwerte­n als auch unter den Werten der BfRStudie. „Leider werden in der Außenkommu­nikation alle Becher in einen Topf geschmisse­n und als schlecht oder nicht verwendbar bewertet“, kritisiert Mayr.

Zudem bliebe der Aspekt der Wiederverw­endbarkeit im Sinne des Umweltschu­tzes in der Studie außen vor. Allen Prüfzertif­ikaten zum Trotz „stehen bei uns die Existenz und Arbeitsplä­tze auf dem Spiel“.

Vertrieb in schwäbisch­en Bäckereien

 ?? Foto: tychynska, stock.adobe.com ?? Bambusbech­er enthalten häufig auch Kunstharz. Staatliche Behörden sehen sie deshalb kritisch, die Hersteller wehren sich.
Foto: tychynska, stock.adobe.com Bambusbech­er enthalten häufig auch Kunstharz. Staatliche Behörden sehen sie deshalb kritisch, die Hersteller wehren sich.

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