Wie gesundheitsschädlich sind Bambusbecher?
Das Bundesinstitut für Risikobewertung warnt vor Gesundheitsrisiken von Coffee-to-go-Bechern. Ganz so einfach ist es aber nicht. Wir haben die Ergebnisse genauer unter die Lupe genommen
Augsburg Sie werden beworben als umweltfreundlich, biologisch abbaubar und nachhaltig: Bambusbecher für den Coffee to go liegen seit einigen Jahren im Trend. Nun zeigt eine neue Studie des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) jedoch, dass die Becher – ebenso wie anderes Bambusgeschirr – gesundheitlich bedenkliche Stoffe in heiße Lebensmittel abgeben können. Nach Bekanntwerden der Ergebnisse titelten zahlreiche Medien mit Schlagzeilen wie: „Finger weg von Bambusbechern“oder „So gefährlich sind Bambusbecher“.
Doch was ist dran? Gelten die Erkenntnisse für alle Bambusbecher? Wie können Verbraucher herausfinden, ob von ihrem Produkt ein Risiko ausgeht?
Zum Hintergrund der Studie: Im Handel findet sich eine Vielzahl von Geschirr aus sogenanntem Melamin-Formaldehyd-Harz (MFH). Das Material ist leicht und bruchfest. Enthält es Bambusfasern als Füllstoff, wird es häufig als „Bambusware“beworben. Mittlerweile vertreiben auch immer mehr Cafés oder Bäckereien To-go-Becher aus diesen Materialien.
In einer Studie hat das BfR nun 138 herkömmliche Melamin- sowie 228 Bambusprodukte unter die Lupe genommen. „Aus gesundheitlicher Sicht sind diese Produkte nicht in jedem Fall für die Verwendung als Geschirr geeignet“, warnte BfR-Präsident Andreas Hensel. Grund ist, dass bei höheren Temperaturen gesundheitlich bedenkliche Mengen an Melamin und Formaldehyd aus dem Geschirr in Lebensmittel übergehen können.
Nun wird es etwas technisch: Die Menge eines Stoffes, die Verbraucher täglich ein Leben lang ohne gesundheitliches Risiko aufnehmen können, wird als erlaubte Tagesdosis bezeichnet. Bei einem Viertel des untersuchten Bambusgeschirrs wurde dieser Wert von Formaldehyd um das bis zu 30-Fache für Erwachsene überschritten. Für Kinder wurde die erlaubte Tagesdosis teils sogar um das bis zu 120-Fache überschritten. Für den Rest der Bambusprodukte sei die freigesetzte Menge jedoch deutlich geringer gewesen, heißt es in der Studie. Sie lag im Schnitt aber immer noch etwa 30 Prozent über den Werten von reinem Melamin-Geschirr.
In Bezug auf Melamin zeigt sich, dass Bambusprodukte im Mittel mehr als doppelt so viel davon freisetzen wie reines MFH-Geschirr.
Für Erwachsene stellt das laut BfR kein Gesundheitsrisiko dar. Kleinkinder, die häufig heiße Lebensmittel aus solchen Produkten zu sich nehmen, können jedoch täglich bis zur dreifachen Menge der empfohlenen Tagesdosis aufnehmen.
Das BfR warnt, dass die regelmäßige Aufnahme zu hoher Mengen an Melamin über einen längeren Zeitraum zur Bildung von Harnwegssteinen und zu einer Schädigung der Nieren führen könne. Bei dauerhaft zu hoher Aufnahme von Formaldehyd seien im Tierversuch Entzündungen im Bereich des Magens beobachtet worden.
Ein weiterer Punkt, den Verbraucher kennen sollten: Die Europäische Union hat in der europäischen Kunststoffverordnung Grenzwerte festgelegt, welche Mengen an Formaldehyd und Melamin in Lebensmittel übergehen dürfen.
● Formaldehyd: 15 Milligramm pro Kilogramm des Lebensmittels
● Melamin: 2,5 Milligramm pro Kilogramm des Lebensmittels
Das Bundesinstitut für Risikobewertung hält den Wert für Formaldehyd für zu hoch angesetzt und empfiehlt, ihn von 15 Milligramm auf striktere sechs Milligramm pro Kilogramm des Lebensmittels zu senken. Der Wert für Melamin wird als geeignet angesehen, um Verbraucher zu schützen.
Auf Nachfrage unserer Redaktion, wie hoch das Gesundheitsrisiko von Bambusbechern denn nun genau ist, erklärt das Bundesinstitut für Risikobewertung, dass zwar ein erhöhtes Risiko vorliege, „jedoch geht keine akute Gesundheitsgefahr davon aus“.
Hinzu kommt, dass die Werte der getesteten Becher je nach Hersteller stark unterschiedlich sind. Welche Becher genau getestet wurden, geht aus der Studie nicht hervor. Die Pressestelle des BfR teilt auf Nachfrage mit: „Bewertungen einzelner Produkte oder Marken sind nicht vom gesetzlichen Auftrag der Risikokommunikation umfasst.“
Wie können Bambusbecher-Besitzer denn nun herausfinden, ob bei ihrem Produkt Grenzwerte überschritten werden oder ob sie ihr Heißgetränk weiter ohne Bedenken aus ihrem Coffee-to-go-Becher schlürfen können? Die Antwort ist ernüchternd: „Verbraucherinnen und Verbraucher haben im Regelfall nicht die Möglichkeit, die genannten Informationen zu ihrem individuellen Produkt zu erhalten.“Stattdessen empfiehlt das BfR auf Alternativen zu setzen, wie Geschirr aus Glas, Edelstahl oder Porzellan.
Zwei Hersteller von Bambusgeschirr, deren Produkte in Schwaben vertrieben beziehungsweise produziert werden, stehen den Studienergebnissen kritisch gegenüber. Sarah Hossini ist Marketing-Managerin beim Frankfurter Unternehmen Chicmic, dessen Becher unter anderem in den Filialen der Augsburger Bäckerei Wolf vertrieben werden. Sie begrüßt, dass das BfR sich um eine Herabsetzung der EU-Grenzwerte
bemüht. „Es wäre im Sinne der Verbraucher, die Qualitätsstandards zu erhöhen“, sagt sie. Die Testwerte der Chicmic-Kaffeebecher lägen nicht nur deutlich unter den EU-Grenzwerten, sondern auch unter den niedriger angesetzten Werten des BfR. Der TÜV Rheinland bestätigt in einem Prüfbericht, der unserer Redaktion vorliegt, dass die Produkte der Firma unbedenklich seien. Auch die Stiftung Warentest kam im Juli 2019 zu dem Ergebnis, dass der Becher kein Schadstoffproblem hat.
Marketing-Managerin Hossini kritisiert, dass das BfR „ohne jegliche neue wissenschaftliche Erkenntnisse“
Bambusbecher nun doch als bedenklich einstuft, obwohl zuvor das Gegenteil der Fall gewesen sei. „Einzig neue Erkenntnis ist der hohe Anteil der Produkte mit schlechten Testergebnissen, welche wir ausdrücklich bedauern“, sagt sie. „Es darf hinterfragt werden, warum fehlende oder widersprüchliche Daten zulässige Mittel für eine Aussage wie eine mögliche beziehungsweise wahrscheinliche gesundheitliche Beeinträchtigung sind und sogar einen Verzicht auszusprechen erlauben.“
Eine ähnliche Reaktion kommt vom Unternehmen Morgenheld in Schwabmünchen. Für die Zertifizierung seien die von der EU vorgegebenen Werte rechtlich bindend, erklärt Sprecherin Stephanie Mayr. Die Morgenheld-Becher lägen aber sowohl unter den EU-Grenzwerten als auch unter den Werten der BfRStudie. „Leider werden in der Außenkommunikation alle Becher in einen Topf geschmissen und als schlecht oder nicht verwendbar bewertet“, kritisiert Mayr.
Zudem bliebe der Aspekt der Wiederverwendbarkeit im Sinne des Umweltschutzes in der Studie außen vor. Allen Prüfzertifikaten zum Trotz „stehen bei uns die Existenz und Arbeitsplätze auf dem Spiel“.
Vertrieb in schwäbischen Bäckereien