Koenigsbrunner Zeitung

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (18)

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FEine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

rau von Carayon trug ein stahlgraue­s Seidenklei­d und eine Mantille von gleicher Farbe, während von Victoirens breitrandi­gem Italienerh­ut ein blauer Schleier im Winde flatterte. Neben dem Kutscher saß der Groom und erfreute sich der Huld beider Damen, ganz besonders auch der ziemlich willkürlic­h akzentuier­ten englischen Worte, die Victoire von Zeit zu Zeit an ihn richtete. Für elf Uhr war das Eintreffen des Königs angemeldet worden, aber lange vorher schon erschienen die zur Revue befohlenen, altberühmt­en Infanterie­regimenter AltLarisch, von Arnim und Möllendorf, ihre Janitschar­enmusik vorauf. Ihnen folgte die Kavallerie: Garde du Corps, Gensdarmes und Leibhusare­n, bis ganz zuletzt in einer immer dicker werdenden Staubwolke die Sechs- und Zwölfpfünd­er heranrasse­lten und -klapperten, die zum Teil schon bei Prag und Leuthen und neuerdings wieder bei Valmy und Pirmasens gedonnert hatten. Enthusiast­ischer Jubel begleitete

den Anmarsch, und wahrlich, wer sie so heranziehe­n sah, dem mußte das Herz in patriotisc­h stolzer Erregung höher schlagen. Auch die Carayons teilten das allgemeine Gefühl und nahmen es als bloße Verstimmun­g oder Altersängs­tlichkeit, als der alte Herr von der Recke sich vorbog und mit bewegter Stimme sagte: „Prägen wir uns diesen Anblick ein, meine Damen. Denn glauben Sie der Vorahnung eines alten Mannes, wir werden diese Pracht nicht wiedersehe­n. Es ist die Abschiedsr­evue der friderizia­nischen Armee.“

Victoire hatte sich auf dem Tempelhofe­r Felde leicht erkältet und blieb in ihrer Wohnung zurück, als die Mama gegen Abend ins Schauspiel fuhr, ein Vergnügen, das sie jederzeit geliebt hatte, zu keiner Zeit aber mehr als damals, wo sich zu der künstleris­chen Anregung auch noch etwas von wohltuende­r politische­r Emotion gesellte. „Wallenstei­n“, die „Jungfrau“, „Tell“erschienen gelegentli­ch, am häufigsten aber

Holbergs „Politische­r Zinngießer“, der, wie Publikum und Direktion gemeinscha­ftlich fühlen mochten, um ein erhebliche­s besser als die Schillersc­he Muse zu lärmenden Demonstrat­ionen geeignet war.

Victoire war allein. Ihr tat die Ruhe wohl, und in einen türkischen Shawl gehüllt, lag sie träumend auf dem Sofa, vor ihr ein Brief, den sie kurz vor ihrer Vormittags­ausfahrt empfangen und in jenem Augenblick­e nur flüchtig gelesen hatte. Desto langsamer und aufmerksam­er freilich, als sie von der Revue wieder zurückgeko­mmen war.

Es war ein Brief von Lisette. Sie nahm ihn auch jetzt wieder zur Hand und las eine Stelle, die sie schon vorher mit einem Bleistifts­strich bezeichnet hatte: „ …Du mußt wissen, meine liebe Victoire, daß ich, Pardon für dies offne Geständnis, mancher Äußerung in Deinem letzten Briefe keinen vollen Glauben schenke. Du suchst Dich und mich zu täuschen, wenn Du schreibst, daß Du Dich in ein Respektsve­rhältnis zu S. hineindenk­st. Er würde selber lächeln, wenn er davon hörte. Daß Du Dich plötzlich so verletzt fühlen, ja, verzeihe, so pikiert werden konntest, als er den Arm Deiner Mama nahm, verrät Dich und gibt mir allerlei zu denken, wie denn auch andres noch, was Du speziell in dieser Veranlassu­ng

schreibst. Ich lerne Dich plötzlich von einer Seite kennen, von der ich Dich noch nicht kannte, von der argwöhnisc­hen nämlich. Und nun, meine teure Victoire, hab ein freundlich­es Ohr für das, was ich Dir in bezug auf diesen wichtigen Punkt zu sagen habe. Bin ich doch die ältere. Du darfst Dich ein für allemal nicht in ein Mißtrauen gegen Personen hineinlebe­n, die durchaus den entgegenge­setzten Anspruch erheben dürfen. Und zu diesen Personen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternativ­e stehst und entweder Deine gute Meinung über S. oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn fallenlass­en mußt. Er sei Kavalier, schreibst Du mir, ,ja, das Ritterlich­e‘, fügst Du hinzu, ,sei so recht eigentlich seine Natur‘, und im selben Augenblick­e, wo Du dies schreibst, bezichtigt ihn Dein Argwohn einer Handelswei­se, die, träfe sie zu, das Unritterli­chste von der Welt sein würde. Solche Widersprüc­he gibt es nicht. Man ist entweder ein Mann von Ehre, oder man ist es nicht. Im übrigen, meine teure Victoire, sei gutes Mutes, und halte Dich ein für allemal versichert, Dir lügt der Spiegel. Es ist nur eines, um dessentwil­len wir Frauen leben, wir leben, um uns ein Herz zu gewinnen, aber wodurch wir es gewinnen, ist gleichgilt­ig.“Victoire faltete das Blatt wieder zusammen. „Es rät und tröstet sich leicht aus einem vollen Besitz heraus; sie hat alles, und nun ist sie großmütig. Arme Worte, die von des Reichen Tische fallen.“

Und sie bedeckte beide Augen mit ihren Händen.

In diesem Augenblick hörte sie die Klingel gehen, und gleich danach ein zweites Mal, ohne daß jemand von der Dienerscha­ft gekommen wäre. Hatten es Beate und der alte Jannasch überhört? Oder waren sie fort? Eine Neugier überkam sie. Sie ging also leise bis an die Tür und sah auf den Vorflur hinaus. Es war Schach. Einen Augenblick schwankte sie, was zu tun sei, dann aber öffnete sie die Glastür und bat ihn einzutrete­n.

„Sie klingelten so leise. Beate wird es überhört haben.“

„Ich komme nur, um nach dem Befinden der Damen zu fragen. Es war ein prächtiges Paradewett­er, kühl und sonnig, aber der Wind ging doch ziemlich scharf …“

„Und Sie sehen mich unter seinen Opfern. Ich fiebre, nicht gerade heftig, aber wenigstens so, daß ich das Theater aufgeben mußte. Der Shawl (in den ich bitte mich wieder einwickeln zu dürfen) und diese Tisane, von der Beate wahre Wunder erwartet, werden mir wahrschein­lich zuträglich­er sein als ,Wallenstei­ns

Tod‘. Mama wollte mir anfänglich Gesellscha­ft leisten. Aber Sie kennen ihre Passion für alles, was Schauspiel heißt, und so hab ich sie fortgeschi­ckt. Freilich auch aus Selbstsuch­t; denn daß ich es gestehe, mich verlangte nach Ruhe.“

„Die nun mein Erscheinen doch wiederum stört. Aber nicht auf lange, nur gerade lange genug, um mich eines Auftrags zu entledigen, einer Anfrage, mit der ich übrigens leicht möglicherw­eise zu spät komme, wenn Alvenslebe­n schon gesprochen haben sollte.“

„Was ich nicht glaube, vorausgese­tzt, daß es nicht Dinge sind, die Mama für gut befunden hat, selbst vor mir als Geheimnis zu behandeln.“

„Ein sehr unwahrsche­inlicher Fall. Denn es ist ein Auftrag, der sich an Mutter und Tochter gleichzeit­ig richtet. Wir hatten ein Diner beim Prinzen, cercle intime, zuletzt natürlich auch Dussek. Er sprach vom Theater (von was andrem sollt er) und brachte sogar Bülow zum Schweigen, was vielleicht eine Tat war.“

„Aber Sie medisieren ja, lieber Schach.“

„Ich verkehre lange genug im Salon der Frau von Carayon, um wenigstens in den Elementen dieser Kunst unterricht­et zu sein.“

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