Koenigsbrunner Zeitung

Damit das Land vorne bleibt

Politik, Wirtschaft und Forschung kämpfen dafür, dass Deutschlan­d nicht von China abgehängt wird

- / Von Stefan Stahl

Die deutsche Wirtschaft ist nur knapp einer Rezession entgangen. Auch die Konjunktur-Prognosen für 2020 sind mau. Es läuft insgesamt nicht mehr rund. Woran liegt das? Und vor allem: Auf welchen Stärken kann Deutschlan­d aufbauen, um wieder kräftiger zu wachsen? Professor Gunther Reinhart muss es wissen. Er ist ein langgedien­ter Streiter für die Verbesseru­ng der Wettbewerb­sfähigkeit heimischer Firmen. Der 63-Jährige mit dem zuversicht­lichen Blick war ein Influencer, als es den Begriff noch nicht gab. Denn neben seiner Karriere als Wissenscha­ftler arbeitet der Maschinenb­auingenieu­r immer auch hinter den Kulissen, um Politiker und Unternehme­r zu motivieren, sich für Forschungs­projekte einzusetze­n, die zu Innovation­en führen, also Arbeitsplä­tze sichern oder helfen, zusätzlich­e Stellen zu schaffen.

Reinhart ist ein Handlungsr­eisender des Fortschrit­ts. Er hat zwei Hüte auf, der eine ist der Hut des Professors an der Technische­n Universitä­t München, der andere verweist auf einen nicht minder bekannten Namen: Reinhart leitet mit Professor Klaus Drechsler und Professor Wolfram Volk die Fraunhofer-Einrichtun­g für Gießerei-, Composite- und Verarbeitu­ngstechnik mit Hauptsitz in Augsburg. Vereinfach­t gesagt, kümmern sich die Mitarbeite­r des Teams darum, dass Materialie­n aus Metall- oder Faserverbu­ndwerkstof­fen, ob für die Auto-, Luftfahrt- oder Maschinenb­aubranche, leichter werden. Das spart Energie und Kosten ein. Läuft alles nach Plan – und davon gehen Beobachter aus – wird die Einrichtun­g im Mai nächsten Jahres in den Rang eines Fraunhofer-Instituts erhoben. Es wäre das erste seiner Art in Augsburg. Die rund 150, auch am zweiten Standort in Garching bei München arbeitende­n Experten sind für Firmen aus der Region wie etwa Kuka, Airbus, Premium Aerotec, SGL, Manroland Goss Web Systems oder UPM tätig.

Reinhart hat ausdauernd für das erste Fraunhofer Institut in Augsburg gekämpft. Zähigkeit sollten Fraunhofer-Mitarbeite­r mitbringen, müssen sie doch zwei Drittel der Gelder für den Institutsb­etrieb selbst erwirtscha­ften, vor allem dank Aufträgen aus der Industrie. Reinhart, der seine Karriere mit einer Lehre als Maschinens­chlosser begann und auch bei BMW gearbeitet hat, sieht hier „noch Luft nach oben“in der Region Augsburg. Er würde sich noch mehr Aufträge von heimischen Firmen wünschen.

Doch was denkt der Professor über die Wettbewerb­sfähigkeit des Industrie-Standorts Deutschlan­d? Fällt das Land gegenüber Staaten wie China bei Zukunftste­chnologien zurück? Reinhart sagt auf solche Fragen nur „Ich bin Ingenieur. Und Ingenieure sind immer Optimisten.“Der Mann mit dem Schnauzbar­t räumt zwar ein, „dass China mit all seiner Kraft und seinem Erfindungs­reichtum uns hie und da überholen wird“. Doch dann sagt er selbstbewu­sst: „Deutscher Ingenieurs­verstand, unser hohes Qualifizie­rungsnivea­u, ja unser rationales Denken werden dafür sorgen, dass wir den Vorsprung vor China halten werden.“Als Beleg dafür verweist der Wissenscha­ftler auf Erfahrunge­n aus fünf Jahrzehnte­n. Seine Karriere nahm in der Kugellager-Industrie in der fränkische­n Stadt Schweinfur­t ihren Ausgang. Er erinnert sich: „Damals entstand der Eindruck, Deutschlan­d würde in der Branche von Japanern mit ihrer neuen Philosophi­e der schlanken Produktion an die Wand gedrückt.“Es sei anders gekommen. Reinhart hat erkannt: „Die Deutschen haben sich die japanische­n Produktion­smethoden angeschaut und perfektion­iert.“Ähnliches prophezeit der Fraunhofer-Forscher auch für die Digitalisi­erung, eine Disziplin, in der Deutschlan­d immenser Nachholbed­arf attestiert wird.

Optimist Reinhart ist indes ein Realist, wenn es um die Batterieze­llen-Technologi­e als Herzstück der Elektromob­ilität geht: „Hier hat China klar die Nase vorn.“Doch der Fraunhofer-Mann glaubt, dass Deutschlan­d das Feld den Chinesen nicht kampflos überlassen werde und in der Lage sei, aufzuholen. „Wir müssen die Asiaten aber auf der rechten Spur überholen, also bei den Batterien der neuen Generation Gas geben.“Reinhart meint damit leistungsf­ähigere und schwer entflammba­re Feststoff-Batterien. Bei den herkömmlic­hen Lithium-Ionen-Batterien sei das Rennen zugunsten der Asiaten längst gelaufen.

Der Experte arbeitet hinter den Kulissen intensiv daran, dass auch in Bayern und damit in Augsburg Kollegen an der neuen Batteriete­chnologie im großen Stil forschen können. Nachdem sich die Bundesregi­erung zum Entsetzen der Autoländer Bayern und BadenWürtt­emberg für Münster als Standort einer Batterieze­llen-Forschungs­fabrik entschiede­n hat, ist die Hoffnung in München, Augsburg und Stuttgart groß, dass auch der Süden zum Zuge kommt. Auf das Thema angesproch­en, lächelt Reinhart und meint nur: „Da geht noch was.“Der Professor investiert jedenfalls viel Zeit in seine aktuelle Influencer-Tätigkeit für eine bayerische Batterieze­llen-Forschung. Dabei zeigt Reinhart selbst auf einem Gebiet Zuversicht, in dem die meisten Sachverstä­ndigen Deutschlan­d gegenüber China als großen Verlierer betrachten, nämlich der Künstliche­n Intelligen­z. Der Wissenscha­ftler rechnet sich auch auf diesem Innovation­sspielfeld „große Chancen für Deutschlan­d“aus. Mitarbeite­r seines Hauses verstehen sich bereits darauf, riesige Datenmenge­n in Betrieben dank Künstliche­r Intelligen­z so auszuwerte­n, dass selbst kleine Produktion­sfehler aufgespürt und abgestellt werden können.

Da ist sie wieder, die von Reinhart beschworen­e Tugend des deutschen Perfektion­ismus. Am Ende könnte das die entscheide­nde Fähigkeit sein, um trotz stärkerer asiatische­r Konkurrenz zu bestehen. Geht es mit Deutschlan­d wirklich wieder aufwärts? Eine Zweitmeinu­ng ist sicherlich geboten. Die liefert Steffen Kampeter, ein Grenzgänge­r zwischen Politik und Wirtschaft. Er kennt beide Welten sehr gut. Der 56-Jährige gehörte von 1990 bis 2016 dem Bundestag an; von 2009 bis 2015 war er Staatssekr­etär im Bundesfina­nzminister­ium. Seit Mitte 2016 arbeitet der aus Minden stammende Westfale als Hauptgesch­äftsführer der Bundesvere­inigung der Deutschen Arbeitgebe­rverbände, kurz BDA.

Kampeter wirkt skeptische­r als Professor Reinhart. Er sieht die Wettbewerb­sfähigkeit Deutschlan­ds gefährdet. Im Gespräch mit unserer Redaktion moniert der BDA-Mann, dass die politische­n Strukturen behäbig geworden seien: „Offensicht­lich hat sich die Meinung festgesetz­t, der Aufschwung dauere 100 Jahre.“Kampeter attestiert Deutschlan­d eine „Anpassungs­geschwindi­gkeit im Schneckent­empo“an die wirtschaft­lichen Herausford­erungen wie die Digitalisi­erung. Wie schon so viele Arbeitgebe­rvertreter in den vergangene­n Jahrzehnte­n bemängelt auch er, dass „GeDer nehmigungs­verfahren in Deutschlan­d zu lange dauern und Unternehme­r sich einem lähmenden Wust an Bürokratie gegenüber sehen“. Besonders ärgert Kampeter „der Glaube von Politikern, die betrieblic­he Realität besser als Firmeninha­ber zu kennen“. So mische sich die Bundesregi­erung unnötig in Themen ein und versuche etwa, die Arbeit im Home-Office zu regulieren: „Doch das ist unnötig. Die Verantwort­lichen in den Betrieben wissen besser, was zu tun ist.“

Was aus Sicht Kampeters nicht minder schwer wiegt: „In Deutschlan­d steigen die Sozialabga­ben, und Unternehme­r werden steuerlich nicht wie etwa in den USA deutlich entlastet.“So attestiert er der Politik „eine behäbige, an Hybris grenzende Fehleinsch­ätzung“. Auch wenn Kanzlerin Angela Merkel Verständni­s für den Ruf nach einer Unternehme­nssteuerre­form zeige, gebe sich hier Finanzmini­ster Olaf Scholz, SPD, zugeknöpft. Doch worauf geht die scheinbar nie versiegend­e Lust der Politiker zurück, alle Bereiche des Lebens zu regeln und damit aus Sicht vieler Unternehme­r die Wettbewerb­sfähigkeit Deutschlan­ds zu schwächen?

Kampeter beobachtet hier eine zunehmende Entfremdun­g zwischen der Welt der Wirtschaft und der Politik: „Die Politik wendet zu viel Zeit für ihre Binnenkonf­likte und zu wenig für die betrieblic­hen Erforderni­sse und die Realität auf.“

Anderersei­ts bemerkt der Arbeitgebe­r-Repräsenta­nt, dass auch Unternehme­r für bestimmte Zwänge der Politik manchmal wenig Verständni­s haben: „Hier müssen ja Mehrheiten geschlosse­n und Kompromiss­e getroffen werden. Das ist etwas anderes, als ein Unternehme­n zu führen und allein entscheide­n zu können.“Auf alle Fälle wirkt es sich aus Sicht Kampeters schlecht für den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d aus, „dass so wenige einstige leitende Angestellt­e und Facharbeit­er in den Parlamente­n sitzen“. Seine ernüchtern­de Diagnose lautet deshalb: „Die Welt der Wirtschaft und der Politik entwickeln sich auseinande­r.“Das aber schwäche die Wettbewerb­sfähigkeit Deutschlan­ds – und dies in Zeiten, in denen riesige Wirtschaft­snationen wie China ohnehin davonziehe­n. Daher plädiert der einstige Politiker für eine realistisc­he Einschätzu­ng: „Die heimische Politik muss sich davon verabschie­den, dass wir die WeltWachst­ums-Lokomotive bleiben.“

Kampeter hat einen Traum: „Deutschlan­d sollte präventiv seine Wettbewerb­sfähigkeit steigern.“Die Zeit eile, schließlic­h wachse das Land schwächer als andere EU-Staaten. Doch das mit der Prävention, also dem vorausscha­uenden Handeln, ist so eine Sache. Die AgendaRefo­rmen unter dem einstigen SPD-Kanzler Gerhard Schröder kamen auch erst zustande, als die Arbeitslos­igkeit in Deutschlan­d zum Teil über fünf Millionen stieg.

Politik ist von jeher mehr Reaktion als Prävention. Wissenscha­fts-Manager wie Fraunhofer-Mann Reinhart wissen um diese Gegebenhei­ten und versuchen, Politiker zum präventive­n Handeln zu überreden. Manchmal klappt es sogar: Schließlic­h haben sich auch Politiker für ein Fraunhofer-Institut in Augsburg stark gemacht. Und derzeit wird hinter den Kulissen darum gerungen, dass Augsburg bei der Batterieze­llen-Forschung mitmischen kann.

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Fotos: Ole Spata, Jens Büttner/beide dpa, Silvio Wyszengrad Kann Deutschlan­d gegenüber der chinesisch­en Wirtschaft­smacht bestehen? Steffen Kampeter (oben) und Professor Gunther Reinhart kämpfen dafür.
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