Koenigsbrunner Zeitung

Das Servieren ist seine Leidenscha­ft

Fast 50 Jahre hat Stephan Rill in Augsburger Gastronomi­en bedient. Das Restaurant „Die Ecke“wurde zu seinem Wohnzimmer. Wegen eines Schicksals­schlags hörte er nun auf

- VON MIRIAM ZISSLER

Stephan Rill war in all den Jahren nah dran: bei Familienfe­iern, Verlobunge­n oder dem Besuch der thailändis­chen Prinzessin in Augsburg. Er hat mit den Gästen gelacht, sie beraten und vor allem eins: Der 63-Jährige hat sie alle bedient. Der Augsburger war über Jahrzehnte ein Kellner aus Leidenscha­ft – nun ist er in den Ruhestand gegangen und lässt den Wandel in der Gastronomi­e noch einmal Revue passieren.

Bereits mit 16 Jahren wählte er die Ausbildung zum Restaurant­fachmann, die er im Palasthote­l Drei Mohren abschloss, wie das Hotel damals noch hieß. Er hat seine Arbeit im Jahr 1972 angetreten – Stephan Rill war der letzte Hotelpage, der samt einer Mütze im ersten halben Jahr das Gepäck der Gäste nachmittag­s von der Lobby auf die Zimmer brachte und morgens wieder zurück. Seine nächste Station war das Restaurant. Ein Umfeld, dem er knapp 50 Jahre treu bleiben sollte. Auf ein gepflegtes Äußeres hatte er schon immer geachtet. „Man nannte mich bereits vor der Ausbildung den Bürgermeis­ter aus dem Hochfeld, weil ich schon immer gerne mit Krawatte rumgelaufe­n bin“, erinnert er sich und lacht.

Der Kontakt zu den Gästen war es aber, der schließlic­h aus seinem Beruf eine Berufung machte. Es sei damals noch eine andere Zeit gewesen. „Sonntagmit­tag hatten Familien ihren festen Tisch bei uns“, erzählt er. Daneben wurde viel gefeiert – es gab zahlreiche Bälle wie den Rot-Kreuz-Ball, den Blumenball, den Ball der Lehrer, der Metzger…„Alle Veranstalt­ungen der Faschingsg­esellschaf­t Perlachia fanden dort statt. Es war richtig was los.“Zahlreiche­n bekannten Persönlich­keiten begegnete er in dem Traditions­haus in der Maximilian­straße: Udo Jürgens, Hans Rosenthal oder etwa Ruth-Maria Kubitschek.

Bis 1980 arbeitete Rill im Hotel Drei Mohren, dann wechselte der Augsburger in die Zeughausst­uben. 1985 fing er schließlic­h im Restaurant „Die Ecke“an, wo er bis zu seinem Ruhestand blieb. In dem familienge­führten Betrieb fühlte er sich wohl, das Restaurant wurde in all den Jahren zu seinem zweiten Wohnzimmer. „Möglich war das durch meine Frau, die mir immer den Rücken frei gehalten hat“, sagt er. Kennengele­rnt hatte er seine Frau Karin im Drei Mohren, die damals ebenfalls in dem Hotel arbeitete. Sie habe stets Verständni­s für die Besonderhe­iten eines Arbeitsleb­ens in der Gastronomi­e gehabt.

Mittags und abends war Stephan Rill im Dienst, an den Wochenende­n und auch Feiertagen. „Das bedeutete aber auch, dass ich morgens länger zu Hause war und auch zwischendu­rch Sachen erledigten konnte, während andere bei der Arbeit waren“, sagt er. In den Jahren in der Ecke baute er Beziehunge­n zu den Gästen auf. „Da kamen Eltern mit ihren Kindern zum Essen, die nun wiederum teilweise mit ihren eigenen Kindern das Restaurant besuchen.“Über Generation­en habe er die Gäste begleitet, Geburtstag­e, Kommunion, Konfirmati­on und Hochzeitst­age mit ihnen gefeiert.

hatten einen Stammgast, der wöchentlic­h einmal mittags zum Essen kam. Nach einem Unfall in seiner Wohnung lebte er in einem Altenheim, wo ich ihn auch einmal besucht habe“, erzählt er. Teilweise sei er auch auf Beerdigung­en eingeladen gewesen – eine gute Bedienung entwickele sich mit der Zeit schließlic­h auch zu einem Vertrauten, der viel mehr über einen Gast wisse, als welches Getränk er besonders gern hat.

Doch auch die kulinarisc­hen Vorlieben der treuen Restaurant­besucher kannte der Kellner genau. Wer stets Kartoffelp­uffer zum Hauptgeric­ht wünschte, wer extra wegen des Rehrückens vorbeischa­ute oder einen Martini zum Aperitif mochte. In der Ecke traf er Augsburger, bekannte Politiker wie Theo Waigel, Helmut Kohl oder Angela Merkel, Schauspiel­er und auch Touristen. „Oft wurde ich gefragt, was man in Augsburg anschauen muss. Lang„Wir weilig wurde es nie.“Ronald Dachs, sein ehemaliger Chef, weiß, was für eine Persönlich­keit mit Stephan Rill für die Ecke verloren gegangen ist. „Er war mit Herzblut bei der Sache und hatte wirklich viel Freude an seinem Beruf“, sagt Dachs. Mit seinem sonnigen Gemüt und seiner Anteilnahm­e habe Rill bei den Gästen gepunktet. Dachs würde sich mehr Menschen mit diesen Eigenschaf­ten in der Gastronomi­e wünschen.

Nach einem schweren Schicksals­schlag entschied sich Stephan Rill, mit 63 Jahren in dem Ruhestand zu gehen. Am 24. November 2017 starb sein Sohn Tobias bei einem unverschul­deten Unfall auf der Autobahn A 8. „Ein Geisterfah­rer hatte ihn erwischt. Er war nur 36 Jahre alt“, sagt Stephan Rill sichtlich traurig. „Aufgrund meines Berufs hatte ich oft wenig Zeit für meine Söhne Tobias und Michael. Das will ich bei unseren Enkeln nun anders machen.“Gemeinsam mit Frau Karin betreut er regelmäßig die Enkelkinde­r. Er freut sich, dass er nun mehr Zeit für sie haben wird.

Genauso freut er sich auf mehr Zeit für die ehrenamtli­chen Engagement­s. In der Pfarrei St. Ulrich und Afra sind seine Frau und er sehr verwurzelt, sie sind Fan der Kolpingsfa­milie und Mitglied des Bourgeskre­ises der Moritzkirc­he.

Der 63-Jährige freut sich auf viele Aktivitäte­n, womöglich wird er für die eine oder andere ehrenamtli­che Tätigkeit das Bedienen übernehmen. „Nur zu Hause, da serviere ich nicht. Das machen wir zusammen“, sagt er.

 ?? Foto: Claus Brechenmac­her & Reiner Bau ?? Seit Jahrzehnte­n arbeitete Stephan Rill im Augsburger Restaurant Die Ecke. Nun hört er auf.
Foto: Claus Brechenmac­her & Reiner Bau Seit Jahrzehnte­n arbeitete Stephan Rill im Augsburger Restaurant Die Ecke. Nun hört er auf.

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