Koenigsbrunner Zeitung

Niemand wird automatisc­h Organspend­er

Gesundheit­sminister Spahn kann sich mit radikaler Reform nicht durchsetze­n

- VON MARGIT HUFNAGEL UND DANIELA HUNGBAUR

Berlin Gehofft hatte er bis zum Schluss, auch wenn er um die Vorbehalte wusste. „Ich bin maßlos enttäuscht“, sagt Matthias Anthuber. Er ist Leiter des Transplant­ationszent­rums der Uniklinik Augsburg und hatte sich für eine umfassende Neuregelun­g der Organspend­e starkgemac­ht. Die von Gesundheit­sminister Jens Spahn vorgeschla­gene Widerspruc­hslösung, so die Hoffnung des Arztes, hätte viele Leben retten können. Doch der Bundestag stimmte in einer emotionale­n Sitzung gegen die weitreiche­nde Änderung. Zu massiv erschienen vielen Abgeordnet­en die Eingriffe in die persönlich­e Freiheit. Denn jeder, der einer Organentna­hme nicht ausdrückli­ch widersproc­hen hätte, wäre zum Spender geworden. Dagegen waren 379 Abgeordnet­e, 292 unterstütz­ten den Vorschlag, drei enthielten sich. Angenommen wurde stattdesse­n eine Reform, die vor allem auf Aufklärung setzt. Künftig sollen demnach alle Bürger mindestens alle zehn Jahre direkt auf das Thema Organspend­e angesproch­en werden.

Für Anthuber ist das zu wenig: „Wir Ärzte werden auch in den nächsten Jahren vor verzweifel­ten Menschen sitzen, die uns fragen: Wann bekomme ich eine Niere? Wann bekomme ich endlich ein Herz? Muss ich bald sterben?“Auch mit der Widerspruc­hslösung hätte es keine Organ-Abgabepfli­cht gegeben, sondern lediglich eine Entscheidu­ngspflicht.

Doch genau das hatten viele Politiker befürchtet. Annalena Baerbock, Grünen-Chefin, sagte in der Debatte, abgestimmt werde auch über die Frage: „Wem gehört der Mensch? In unseren Augen gehört er nicht dem Staat, nicht der Gesellscha­ft, er gehört sich selbst.“Sie wies Vorbehalte zurück, dass sich an der geringen Spendebere­itschaft durch die nun beschlosse­nen Regelungen

nichts ändern würde. Ärzte im Krankenhau­s könnten sofort auf das Online-Register zugreifen. „Damit ändert sich an dem Hauptprobl­em, nämlich dass zu wenig gemeldet und transplant­iert wird, wirklich in der Realität etwas“, sagte sie. Baerbock hatte den Vorstoß, für den am Donnerstag 432 Parlamenta­rier stimmten (200 Gegenstimm­en), federführe­nd ausgearbei­tet.

„Die Parlamenta­rier haben weise entschiede­n“, erklärte Claudia Wiesemann, stellvertr­etende Vorsitzend­e des Deutschen Ethikrates, gegenüber unserer Redaktion. „Die Widerspruc­hslösung wäre eine zu simple Lösung für eine menschlich herausford­ernde Situation.“Sie hätte die Erosion des Vertrauens in die Transplant­ationsmedi­zin vorangetri­eben. Die Entscheidu­ngslösung nehme das Recht der Bürger auf Selbstbest­immung ernst. „Sie wird auch den Empfängern von Organen die wichtige Sicherheit vermitteln: Dieses Organ wurde mir freiwillig geschenkt“, sagte Wiesemann. Das Problem des Organmange­ls müsse ohnehin dort bekämpft werden, wo es entsteht: Bei der bisher noch mangelhaft­en Melde- und Entnahmebe­reitschaft der Krankenhäu­ser.

Vor den Abstimmung­en hatten Redner über Fraktionsg­renzen hinweg eindringli­ch und oft mit Schilderun­gen persönlich­er Schicksale für ihre Vorstöße geworben. Spahn mahnte: Patienten lebten teils seit Jahren in Krankenhau­szimmern mit großen Maschinen, weil es keine Spenderorg­ane gebe. In keinem anderen Bereich werde solches Leid akzeptiert. „Wir wollen eine Kultur der Organspend­e.“Karl Lauterbach (SPD), Mitinitiat­or der Widerspruc­hslösung, sagte: „Es ist unethisch, ein Organ nehmen zu wollen, aber nicht bereit zu sein, zumindest Nein zu sagen, wenn ich nicht bereit bin, zu spenden.“Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) stimmte für die Widerspruc­hslösung, sprach in der Debatte aber nicht.

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