Koenigsbrunner Zeitung

Landwirte und Verbrauche­r müssen miteinande­r reden

Die Messe hat sich den Klimaschut­z auf die Fahnen geschriebe­n. Der ist aber nur Vorwand für neue Trends. Der Dialog mit dem Verbrauche­r gerät ins Hintertref­fen

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger-allgemeine.de

Woran erkennen Verbrauche­r, dass sie altmodisch sind? Sie bestellen sich im Kino eine Tüte Popcorn. Die coolen Leute hingegen ordern „CineBalls“, das sind kleine Waffelbäll­chen aus Weizen- und Hanfmehl, gefüllt mit einer Salsa- und einer Käsesoße. Sie werden vom Hersteller in selbstrede­nd gendergere­chter Grammatik als „ein alternativ­er Snack für Kinobesuch­er*innen“angepriese­n. Wen es jetzt innerlich schüttelt, bei dem dürfte „Knärzje“auch nicht auf den Tisch kommen: ein sogenannte­s Zero-WasteBier (frei übersetzt etwa: NullMüll-Bier), das aus aussortier­tem Brot gebraut wird und deshalb der Lebensmitt­elverschwe­ndung entgegenwi­rken soll. Zu finden ist das alles auf der gerade gestartete­n Internatio­nalen Grünen Woche in Berlin, und die Beispiele zeigen, wie irre sich die beiden Messeberei­che Ernährung und Landwirtsc­haft gerade entwickeln.

Die eingangs genannten Beispiele zeigen auch, dass Tier- und Klimaschut­z sowie nachhaltig­e Ernährung zum Spielball von Marketings­trategen geworden sind. Die Ernährungs­industrie jubelt darüber. Nach ersten Schätzunge­n konnte der Umsatz 2019 im Vorjahresv­ergleich um 2,2 Prozent auf 183,6 Milliarden Euro gesteigert werden. Gestützt wurde dieses Plus von neuen Trends – und von einem anhaltende­n Griff zu Billiglebe­nsmitteln, die mit Nachhaltig­keit bekanntlic­h auch nichts zu tun haben. Die Verantwort­ung sieht die Branche nicht bei sich, sondern bei der Politik. Die müsse endlich ihre „Moderatore­nrolle an Runden Tischen“verlassen.

Nach dem Staat ruft auch der Deutsche Bauernverb­and. Laut einer internen Umfrage hat sich die Stimmungsl­age der deutschen Landwirte noch weiter verschlech­tert. Sie beurteilen die Situation demnach als „sehr ungünstig“und fordern von der Politik verlässlic­he Rahmenbedi­ngungen für Zukunftsin­vestitione­n. Im Umkehrschl­uss bedeutet das: Die Bauern beschweren sich über staatliche Auflagen, die im Sinne von mehr Tier- und Klimaschut­z ergehen.

Der Deutsche Bauernverb­and und die Bundesvere­inigung der Deutschen Ernährungs­industrie sind die „ideellen Träger“der Grünen Woche, der Klimaschut­z wurde zum Schwerpunk­t erhoben.

Vor diesem Hintergrun­d müssen sie sich fragen lassen, ob Mega-Lebensmitt­eltrends und politische Forderunge­n wirklich die Antworten auf die Fragen sind, die Konsumente­n heute stellen. Die wollen wissen, wie die Wurst produziert wurde, in die sie gerade beißen. Es geht um Nachhaltig­keit, um Verpackung­smüll, um kurze Transportw­ege.

Für vernünftig­e Antworten müsste der Dialog vor allem zwischen Landwirten und Konsumente­n intensivie­rt werden. Beide können dann gemeinsam Einfluss auf die profitorie­ntierte Lebensmitt­elbranche nehmen.

Der Bauernverb­and jedoch ist vielfach in Selbstrefl­exion gefangen. Das Rahmenprog­ramm der Grünen Woche ist beispielsw­eise allen Ernstes und in Anlehnung an das Weltwirtsc­haftsforum mit „Das Davos des Agrarbusin­ess“überschrie­ben. Noch weiter weg von Otto Normalverb­raucher kann man sich kaum bewegen. Womöglich sehen das einige Landwirte auch so. Jedenfalls spricht die Branche nach der Gründung der Initiative „Land schafft Verbindung“– die bundesweit für Trecker-Demos verantwort­lich zeichnet – neuerdings mit zwei Zungen.

Wenn sich die Funktionär­e einigen und gerade auf der Grünen Woche mehr Luft zwischen sich und der Ernährungs­industrie lassen würden, dann klappt das mit der Glaubwürdi­gkeit. Dann geht es wieder zurück zur Natur. Und nicht vorwärts zum nächsten Trend.

Der Bauernverb­and ist gefangen in Selbstrefl­exion

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