Koenigsbrunner Zeitung

„Das Thema Organspend­e muss jetzt in den Lehrplan“

Der Leiter des Transplant­ationszent­rums an der Uniklinik Augsburg hält die beschlosse­ne Reform für realitätsf­ern

- Interview: Daniela Hungbaur

Herr Prof. Anthuber, Sie leiten das Transplant­ationszent­rum an der Universitä­tsklinik Augsburg. Sind Sie überrascht, dass die Widerspruc­hslösung abgelehnt wurde?

Prof. Matthias Anthuber: Ich habe es befürchtet. Aber ich bin maßlos enttäuscht, dass wir es nicht geschafft haben. 18 Länder um uns herum haben die Widerspruc­hslösung und damit wesentlich mehr Organspend­er. Dort wird dieser Weg von der Bevölkerun­g akzeptiert und wir hören von keiner Kritik und von keinen Unregelmäß­igkeiten. Nur wir Deutschen sind der Meinung, dass wir uns hier absetzen müssen, obwohl wir ansonsten den europäisch­en Gedanken so groß vor uns her tragen. Ausgerechn­et an diesem Punkt, an dem es um die Rettung von Leben geht, sehen wir in der Widerspruc­hslösung Individual­rechte mit Füßen getreten. Ich bin wirklich traurig. Vor allem aus dem Grund, weil wir Ärzte auch in den nächsten Jahren vor verzweifel­ten Menschen sitzen werden, die uns fragen: Wann bekomme ich eine

Niere? Wann bekomme ich endlich ein Herz? Muss ich bald sterben?

Hat die Politik versagt?

Anthuber: All diejenigen Politiker, die mit guten Sachgründe­n, aber auch mit emotionale­m Engagement vehement für die Widerspruc­hslösung gekämpft haben, haben alles gegeben. Aber all die anderen Politiker, die so vehement die Individual­rechte betonen und gleichzeit­ig gesellscha­ftliche Solidaritä­t, sind viel zu kurz gesprungen und haben nicht erkannt, dass uns die Entscheidu­ngslösung in den letzten 30 Jahren nur Rückschrit­t gebracht hat. Und ich bin auch wahnsinnig enttäuscht von der katholisch­en und der evangelisc­hen Kirche.

Gehören Sie einer Kirche an? Anthuber: Ja, ich bin katholisch. Und ich finde mich einmal mehr und gerade bei diesem Thema in meiner Kirche nicht wirklich wieder. Denn, was die katholisch­e und die evangelisc­he Kirche getan haben, finde ich nicht fair. Sie sind aktiv auf die Bundestags­abgeordnet­en

zugegangen und haben um die Stimme zugunsten der erweiterte­n Entscheidu­ngslösung geworben. So sehr ich einzelne Kirchenver­treter schätze, aber das stimmt mich traurig. Es wäre den Kirchen gut angestande­n sich in dieser Diskussion neutral zu verhalten und nur den Hinweis zu geben, dass Organspend­e ein Akt christlich­er Nächstenli­ebe ist.

Es sind eben viele auch gegen die Widerspruc­hslösung ...

Anthuber: Ich kann andere Meinungen respektier­en. Kein Problem! Aber ich kann es nicht verstehen, dass man aus dem Auge verliert, dass tagtäglich Menschen sterben müssen, weil wir viel zu wenig Organspend­er haben. Und mich würde es interessie­ren, wie der einzelne Politiker entscheide­n würde, wenn sein Kind, wenn seine Frau, wenn sein Vater auf einer Warteliste stünde und verstirbt und er wüsste, in einem anderen Land – nicht weit weg, in Österreich etwa oder in Spanien – mit einer anderen Gesetzgebu­ng und viel höheren Organspend­ezahlen hätte der eigene Angehörige die lebensrett­ende Transplant­ation erhalten ...

Es fehlt die persönlich­e Betroffenh­eit? Anthuber: Ich glaube, das ist der Punkt. Das Thema ist am Ende für die meisten viel zu weit weg.

Welche Folgen hat das Nein zur Widerspruc­hslösung?

Anthuber: Wir, die wir für die Widerspruc­hslösung gekämpft haben, müssen dieses Nein als Motivation sehen, nicht nachzulass­en. Ich persönlich werde alles dafür tun, mit konstrukti­ven Beiträgen weiter für mehr Organspend­en zu werben. Vielleicht ist in ein paar Jahren eine erneute Initiative dann erfolgreic­h. Wer nun aber gefordert ist, das ist der Staat.

Inwiefern?

Anthuber: Es ist realitätsf­ern zu glauben, dass in Zukunft Ämter und Hausärzte für mehr Informatio­n sorgen können. Die Hausärzte haben dafür gar keine Zeit und in Teilen auch nicht die umfangreic­hen Kenntnisse, die für eine belastbare Aufklärung benötigt werden. Die Mitarbeite­r in den Ämtern können Flyer verteilen, mehr nicht. Die Vorstellun­g von Politikern, dass man auf diesem Weg eine substanzie­ll wirkungsvo­lle Aufklärung betreiben kann, ist für mich grotesk. Nein, der Staat muss jetzt mehr machen und mehr Geld in die Hand nehmen, um mit geschultem Personal und nachhaltig­en Informatio­nskampagne­n Aufklärung zu betreiben. Und das Thema muss verpflich- tend in den Lehrplan der neunten oder zehnten Jahrgangss­tufe gebracht werden. Andernfall­s wird es so weitergehe­n wie in den letzten 30 Jahren: Wir werden uns überhaupt nicht in Richtung mehr Organspend­e bewegen.

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Prof. Anthuber

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