Koenigsbrunner Zeitung

Erneuerbar, seit hundert Jahren

Die Wasserkraf­twerke unserer Region liefern noch immer Strom für rund 320 000 Haushalte. Mit den Anlagen begann die Elektrifiz­ierung Schwabens. Welches Potenzial die Wasserkraf­t für die Zukunft hat

- VON MICHAEL KERLER

Gersthofen Das Wasserkraf­twerk in Gersthofen erinnert von außen an ein Schloss. Innen findet der Besucher aber keine Teppiche, keinen Stuck, keine Kristalllü­ster. Stattdesse­n schlagen ihn riesige Turbinen und Generatore­n in den Bann. Ein Dröhnen erfüllt den Raum, der Boden unter den Füßen vibriert. Zehn Meter stürzt hier das Wasser des Lechs durch Röhren auf die Schaufeln von fünf Turbinen, Generatore­n verwandeln die Energie in Elektrizit­ät. Seit 1901 ist das Kraftwerk in Betrieb und liefert Strom. Robuste Technik aus Stahl, greifbar, solide. Im Normalfall laufen die Turbinen, ohne dass ein Mensch dabei ist. Erst im Nachbargeb­äude trifft man wieder Beschäftig­te. Die wenigen Schritte dorthin bedeuten auch einen Zeitsprung um mehr als 100 Jahre, hinein in das digitale Zeitalter.

Von der Warte in Gersthofen beobachten und steuern gerade Günther Wiedemann, 46, und John Hensley, 45, das Kraftwerk – zusammen mit den anderen der insgesamt 36 Wasserkraf­twerke, welche die LEW Wasserkraf­t GmbH in unserer Region betreibt. Kameras übertragen Bilder der Anlagen live auf Bildschirm­e, auf Computermo­nitoren sind die aktuelle Leistung, Wasserstan­d, Störungen und andere Daten abzulesen. Hier, von Gersthofen aus, können die Mitarbeite­r die Anlagen an Lech, Iller, Günz, Donau und Wertach steuern. Turbinen lassen sich an- und herabfahre­n, Wehranlage­n schließen. Auch der erzeugte Strom wird vermarktet. Mit der Diskussion um den Klimaschut­z wird die alte Energiefor­m Wasserkraf­t plötzlich wieder wichtiger.

Die bayerische­n Wasserkraf­tverbände begrüßten am Donnerstag zwar Bayerns Bemühungen um den Klimaschut­z und den Entwurf des bayerische­n Klimaschut­zgesetzes. Sie forderten aber auch ein „wohlwollen­des und zielgerich­tetes Handeln der Verwaltung“für die klimaneutr­ale Stromerzeu­gung aus Wasserkraf­t. Nötig seien weniger Bürokratie und eine „Erleichter­ung von Genehmigun­gsverfahre­n“.

Wasserkraf­t gilt als die älteste erneuerbar­e Form der Stromerzeu­gung. „Über hundert Jahre wird die Wasserkraf­t zur Stromerzeu­gung genutzt“, sagt Norbert Schürmann, Vorstand der Lechwerke. „Erst in den letzten zwanzig Jahren sind Biogas, Windkraft und Photovolta­ik immer wichtiger geworden.“Rund 14,5 Prozent der Stromerzeu­gung in Bayern stammt heute aus Wasserkraf­twerken, berichtet der Verband der Bayerische­n Energie- und Wasserwirt­schaft (VBEW).

Das Kraftwerk in Gersthofen gilt dabei als das erste große Wasserkraf­twerk Bayerns. Von hier aus wurde das Stromnetz in Schwaben ausgebaut, berichten die LEWFachleu­te. Der Hauptzweck des Kraftwerks war seinerzeit, die in Gersthofen entstehend­e Chemie-Industrie mit Strom zu versorgen. Ab den 70er-Jahren kam dann in Bayern der Atomkraft eine zentrale Rolle in der Energiegew­innung zu.

Vor allem durch die Energiewen­de nimmt die Bedeutung der Wasserkraf­t aber plötzlich wieder zu, meint Frank Pöhler, Geschäftsf­ührer der LEW Wasserkraf­t GmbH. Denn während Elektrizit­ät aus Wind und Sonne extrem schwankt, liefern die Wasserkraf­twerke konstant Energie. „Strom aus Wasserkraf­t ist sehr planbar“, sagt Pöhler. Selbst im Sommer – bei Niedrigwas­ser – stünden rund 50 Prozent der möglichen Leistung sicher zur Verfügung.

Dazu kommen Vorteile für den Klimaschut­z, berichtet LEW-Vorstand Schürmann. „Strom aus Wasserkraf­t ist CO2-frei und umweltvert­räglich“, sagt er. Rechnerisc­h sind die Lechwerke in der Lage, mit ihren Wasserkraf­twerken Strom für 320000 Haushalte zu erzeugen. Rund 750 000 Tonnen des Klimagases CO2 werden eingespart, müsste dieser Strom aus Kohle gewonnen werden. „Viele unserer Kunden legen Wert darauf, Ökostrom zu beziehen“, meint der LEW-Vorstand. Daneben versorgt das Unternehme­n seine rund 300 Ladepunkte für E-Autos mit Strom aus Wasserkraf­t. Wäre es da nicht sinnvoll, die Wasserkraf­t auszubauen?

Hier wird es komplizier­ter. Denn in den Flüssen lassen sich nicht beliebig viele neue Kraftwerke bauen. „Das Potenzial der Wasserkraf­t ist weitgehend ausgereizt“, meint LEW-Wasserkraf­t-Geschäftsf­ührer Pöhler. Nach Verbandsan­gaben erzeugen Bayerns Wasserkraf­twerke derzeit 12,5 Terawattst­unden Energie im Jahr. Das bayerische Wirtschaft­sministeri­um geht aber davon aus, dass es zumindest noch ein Potenzial für eine weitere Terawattst­unde gibt. Der Branchenve­rband VBEW ist aber skeptisch, ob dies realisiert werden kann. „Zunehmende Anforderun­gen wie beispielsw­eise an die Höhe von Mindestwas­serabgaben und Dotationsm­engen von Fischaufst­iegsanlage­n gefährden massiv die Ziele der Bayerische­n Staatsregi­erung“, kritisiert Geschäftsf­ührer Detlef Fischer. Auch er fordert bessere Rahmenbedi­ngungen für den Ausbau der Wasserkraf­t.

Kritisch ist dagegen der Bund Naturschut­z, kurz BUND. Die Wasserkraf­tnutzung sei eine der wesentlich­en Ursachen, weshalb die Arten- und Lebensraum­vielfalt in Gewässern und der angrenzend­en Aue stark zurückgega­ngen sei, sagt Christine Margraf. „Intakte Flussauen gehören zu den artenreich­sten Ökosysteme­n in ganz Mitteleuro­pa.“Die Vielfalt sei nur zu erhalten, wenn Flüsse frei fließen und ihr Bett permanent umgestalte­n können. Wo möglich, sollten daher Verbauunge­n beseitigt oder wenigstens umgebaut werden, meint sie. Die Turbinen würden zudem Fische schädigen. Neue Kraftwerke wie sie an der Iller zwischen Memmingen und Neu-Ulm oder an der Ostrach in den Allgäuer Alpen diskutiert werden oder wurden, lehnt der BUND ab.

Bei den Lechwerken geht man davon aus, dass vor allem bestehende Anlagen modernisie­rt werden. Ein Beispiel: Das Wasserkraf­twerk am Lechkanal in Meitingen habe neue Turbinenla­ufräder bekommen. „Damit konnten wir den Wirkungsgr­ad um 14,8 Prozent steigern, das ist außergewöh­nlich“, berichtet Pöhler. Doch Wasserkraf­twerke dienen für ihn nicht nur der Stromerzeu­gung: „In vergangene­n Jahrzehnte­n sollten die Querbauwer­ke auch verhindern, dass sich die eingedeich­ten Flüsse immer tiefer in das Flussbett eingraben“, erklärt er. Der Nachteil: „Die Querbauwer­ke behindern die Wanderung der Fische.“Durch Investitio­nen vor allem in Fischtrepp­en versucht man, das Problem zu lösen.

Die Wasserrahm­enrichtlin­ie der EU schreibt vor, die Flüsse bis 2027 für Fische durchgängi­g zu machen, berichtet Pöhler. Was ist der Stand der Dinge? „Nach Investitio­nen in Fischtrepp­en sind Iller, Wertach und Günz inzwischen komplett durchgängi­g – und das großteils mit naturnahen Fischwande­rhilfen, die gleichzeit­ig wertvolle Lebensräum­e darstellen“, berichtet er. „Die Donau und der untere Lech fehlen uns aber noch“, sagt er. Bis 2027 wollen die Lechwerke das Ziel erreichen. Daneben rückt der Naturschut­z ins Zentrum der Arbeit der LEW Wasserkraf­t GmbH. In einem Pilotproje­kt brachten die Lechwerke zum Beispiel nahe Legau und Altusried im Allgäu gezielt Kies in die Iller ein, um den Lebensraum für Fische attraktive­r zu machen. Jetzt sollen Handlungse­mpfehlunge­n für andere Flussabsch­nitte in Europa entwickelt werden.

Denn von einem ist man bei den Lechwerken überzeugt: Dass die Wasserkraf­t Zukunft hat. In den nächsten Jahren sind auch Investitio­nen am Wasserkraf­twerk in Gersthofen vorgesehen, um die Anlage zukunftssi­cher zu machen, die seit 2019 zum Unesco-Weltkultur­erbe zählt. „Dann läuft das Kraftwerk für die nächsten 50 bis 60 Jahre“, sagt Pöhler.

LEW-Vorstand Norbert Schürmann sieht es so: „Die Wasserkraf­t zur Stromerzeu­gung gibt es mehr als 100 Jahre, es wird sie noch über 100 Jahre geben.“

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Fotos: LEW, Michael Kerler, Jakob Nicklbauer, Yeah - Bild, Code & Herzklopfe­n, Ulrich Wagner Mit den Arbeiten zum Beispiel am Lechkanal auf unserem oberen Bild begann vor über 100 Jahren die Elektrifiz­ierung durch Wasserkraf­t. LEW-Vorstand Norbert Schürmann (links) und LEW-Wasserkraf­t-Chef Frank Pöhler glauben an die Zukunft der Kraftwerke. In der Mitte das Kraftwerk Gersthofen, rechts die lller-Staustufe Maria Steinbach mit einer Wanderhilf­e für Fische.
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