Koenigsbrunner Zeitung

Lesung einmal anders

Simon Strauß präsentier­t seinen Roman „Römische Tage“. Doch das Literaturh­aus, Veranstalt­er für Kreativitä­t und frische Formate, lässt ihm wenig Raum zwischen Häppchen, Arena und Debatte

- VON STEFANIE SCHOENE

Kann es für die Lesung „Römische Tage“einen besseren Ort geben als das Römerlager? Autor Simon Strauß schreibt im FAZ-Feuilleton und ist der Sohn von Botho Strauß. Aber das ist nicht wichtig an diesem Abend, zu dem der Veranstalt­er Literaturh­aus rund 80 Zuschauer begrüßen konnte. Niemand, die Moderatori­n Franziska Diller nicht, Literaturh­aus-Gründer Stefan Bronner nicht und auch nicht die Philosophi­n Florentine Hoetzel, die aus Tübingen angereist war – keiner erwähnte den berühmten Vater. Wohltuend.

Strauß’ Lesung ist kurz, gibt aber einen guten Eindruck von Sprache, Inhalt und Atmosphäre seines zweiten Romans. Die Rahmenhand­lung: Ein junger Mann fährt nach Rom. Eigentlich wollte er die Reise mit seinem Freund antreten. Doch der erlag im Jahr zuvor einer Krebserkra­nkung. Eine harte Erfahrung, von der erst in der Mitte des Buches berichtet wird. Aber das Erlebnis spiegelt sich in den Selbstvers­unkenen, in ihrer Wucht trotzdem leichtgäng­ig formuliert­en Assoziatio­nen der Hauptfigur.

Sechs Monate wohnt er gegenüber dem Haus Goethes. Er hängt am Fenster, lauscht dem Gemurmel der Stimmen und stellt sich vor, wie gegenüber sich Goethe die Füße wäscht. Er streift durch die Stadt, sinniert über seine Italienisc­hlehrerin, mit der er ein Kind haben könnte. Sozialkrit­isches klingt an: Die Lehrerin pendelt jeden Tag zwei Stunden in die Stadt, denn römische Mieten muss man sich leisten können. Das Dumme an der Stadt: Alles und jedes hier wurde schon von irgendjema­nd gesehen, es besteht keine Chance auf das Abenteuer, der Erste zu sein.

Sein Buch sei eine Sammlung von Short Cuts, erklärt Strauß. Kurze reale Momente der Begegnung lösen im Protagonis­ten eine lange Kette an Tagträumer­eien aus. Es geht um Identität und Freiheit, um das Ausbrechen aus vorgeferti­gten Normen und Karrieren. Der Protagonis­t will es nicht, ist es aber doch: ein „korrekter Karrierist“. Reisen soll helfen, den heimischen Kokon zu verlassen. Da bröseln Gewissheit­en, das Fremde stellt das Eigene infrage. Die innere Sicherheit, das Gefühl, ein Ganzes zu sein, kann so verloren gehen. „Wenn die Ganzheit wieder erlangt werden kann, das Absolute, das ist für mich Schönheit“, so der Schriftste­ller.

Die Lesung samt Gespräch hatte viele intime Momente und einen gewollt hippen Touch. Die klassische Sitzordnun­g wurde sympathisc­h durchbroch­en, indem Moderatori­n Franziska Diller ihren Kollegen und Literaturh­aus-Gründer Stefan Bronner sowie die beiden Gäste Hoetzel und Strauß wie auf den Rängen einer römischen Arena auf Stufen drapierte. Zwischendu­rch reichte das Sternerest­aurant Sartory aus dem Hotel Drei Mohren ein italienisc­hes Minihäppch­en. Ungewöhnli­ch, ja. Ein bisschen weniger Veranstalt­er-Tamtam hätte dem Autor, seinem Werk und seinen Gedanken mehr Raum gelassen. Auch der Diskussion­sbedarf des Publikums wurde unterschät­zt. Mehrere Zuhörerinn­en nahmen sich schließlic­h Rederecht und öffneten die Runde.

Das Literaturh­aus sieht sich als innovative­n Literaturv­ermittler zwischen Internet und wechselnde­n Orten. Als „Besitzer“gilt Stefan Bronner, der das virtuelle Haus 2015 aus der Taufe hob. Die Webseite gibt sich geheimnisv­oll, die Mitarbeite­nden sind unkenntlic­h gemacht. Bronner selbst ist passionier­ter Literaturw­issenschaf­tler und arbeitet an der Universitä­t von Connecticu­t (USA). Weitere Termine des Literaturh­auses für 2020 wurden noch nicht bekannt gegeben.

 ?? Foto: Mercan Fröhlich ?? Eine Szene wie in einer Arena. Im Römerlager des Zeughauses las der Schriftste­ller Simon Strauß (zweiter von rechts) aus seinem zweiten Roman „Römische Tage“.
Foto: Mercan Fröhlich Eine Szene wie in einer Arena. Im Römerlager des Zeughauses las der Schriftste­ller Simon Strauß (zweiter von rechts) aus seinem zweiten Roman „Römische Tage“.

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