Koenigsbrunner Zeitung

Muss eine Partei offen sein für alles?

Die CSU debattiert über muslimisch­e Kandidaten, die SPD sucht ihren Markenkern und die FDP wirbt hektisch um neue Wähler. Politikber­ater Michael Spreng über den schmalen Grat zwischen Modernisie­rung und Beliebigke­it

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Franz Josef Strauß hat mal gesagt: Wer für alles offen ist, ist nicht ganz dicht. Gilt der Satz noch für die Parteien von heute?

Michael Spreng: Nach allen Richtungen offen kann eine Partei nicht sein. Sonst hat sie ja überhaupt kein Profil mehr. Aber klar ist auch: Parteien müssen sich modernisie­ren. Sie können nicht mit den Rezepten der 60er Jahre die Probleme von heute lösen.

Markus Söder ist gerade dabei, die CSU von der Spitze her zu modernisie­ren. Kann das gut gehen?

Spreng: Natürlich müssen die Chefs vorangehen. So wie Angela Merkel das zum Beispiel gemacht hat. Sie hat die CDU gesellscha­ftspolitis­ch geöffnet und sie damit wählbar gemacht für Leute, die früher niemals Union gewählt hätten. Und so macht Markus Söder das jetzt in Bayern, indem er die CSU für grüne Themen öffnet …

…und damit einen Teil der früheren Stammwähle­r verprellt.

Spreng: Natürlich ist Modernisie­rung auch mit Verlusten verbunden. Das hat Frau Merkel erlebt. Das erlebt nun Herr Söder. Die neuen Umfragen sind für die CSU ja nicht gerade ermutigend. Es ist ein Ritt auf der Rasierklin­ge, aber ein unumgängli­cher. Denn wenn Söder alles so lässt, wie es ist, werden die Verluste am Ende noch größer sein. Dann verliert die CSU immer mehr Wähler in den Städten und wird zur reinen Land-Partei.

Gerade Angela Merkel dient enttäuscht­en früheren Anhängern der Union als Beispiel dafür, wie man es nicht macht. Sie beklagen den Ausverkauf konservati­ver Werte. Sie werfen ihr Beliebigke­it vor. Ist es das wert? Spreng: Merkels Problem ist eher, dass sie die CDU Schritt für Schritt verändert hat, ohne dass man das so richtig wahrgenomm­en hat. Sie hat ihre Politik zu wenig erklärt. Und das ist ihr irgendwann auf die Füße gefallen. Wer eine Partei modernisie­ren will, muss dann natürlich auch klare Führung zeigen. Das macht Söder viel offensiver und besser als Merkel.

Kann Söder sich jetzt wirklich glaubwürdi­g als Anwalt der Bienen und der Bauern inszeniere­n?

Spreng: Etwas anderes bleibt ihm gar nicht übrig. Natürlich ist das mit Risiken verbunden. Das muss er aushalten. Denn die Alternativ­e ist, stehen zu bleiben und irgendwann aus der Zeit gefallen zu sein.

Viele Politiker scheuen trotzdem dieses Risiko. Sie sind verunsiche­rt von Kritik und Meinungsum­fragen.

Spreng: Das ist eine Gefahr. Wer ständig umsteuert, fährt unweigerli­ch zickzack. Und das ist das Schlimmste, was Sie als Parteichef machen können. Söder muss sich Zeit geben, durchhalte­n und nicht gleich einknicken.

Seine persönlich­en Popularitä­tswerte sind ja immerhin gestiegen. Die CSU steckt dagegen weiter im Tief. Wie erklären Sie sich das?

Spreng: Offenbar trauen viele Wähler dem neuen Kurs noch nicht oder glauben, dass die Partei noch nicht so weit ist wie Söder.

Die Debatte um den muslimisch­en Bürgermeis­terkandida­ten von Wallerstei­n, der von der CSU-Basis abgelehnt wurde, zeigt, wie schwierig es ist, neue Wählergrup­pen zu erreichen, ohne alte zu verschreck­en. Haben Sie einen Tipp?

Spreng: Wenn der Modernisie­rungs

von oben kommt, besteht immer die Gefahr, dass die Spitze schneller ist als die Basis. Viele fremdeln damit, dass eine christlich­e Partei einen muslimisch­en Bürgermeis­terkandida­ten präsentier­t. Aber vielleicht muss man es einfach mal machen. Vielleicht sind die Bürger ja sogar schon weiter als die CSU-Basis und er wird gewählt. Denken Sie daran, wie empört viele waren, als die CDU ihr Familienbi­ld neu definiert und gesagt hat, dass homosexuel­le Paare mit Kindern genauso dazugehöre­n. Heute stört sich kein Mensch mehr daran. Auch ein schwuler Landrat wäre in Bayern noch vor 20 Jahren unvorstell­bar gewesen. Der Fortschrit­t ist manchmal eine Schnecke.

Auch andere Parteien suchen nach ihrem Profil. Die SPD hat gerade eine Spitze gewählt, die für eine Rückbesinn­ung auf den sozialdemo­kratischen Markenkern steht. Ein richtiger Schritt?

Spreng: Das allein wird jedenfalls nicht reichen. Das Problem der SPD besteht doch nicht darin, dass sie nicht sozial genug ist, sondern dass sie null Kompetenz für Wirtschaft und innere Sicherheit hat. Und das sind nun mal zwei zentrale Themen, die auch SPD-Wähler bewegen.

Die FDP wiederum versucht hektisch, neue Wähler zu gewinnen, von enttäuscht­en Friedrich-Merz-Fans aus der Union bis hin zu frustriert­en Sozialdemo­kraten. Warum klappt das nicht?

Spreng: Die FDP ist eine reine Marketing-Partei. Mit Marketing-Leuten, die ihr Ratschläge geben. Mit einem Marketing-Vorsitzend­en. So versucht sie, das Publikum zu bedienen. Das erzeugt kurzzeitig­e Showkurs

Effekte, hat aber keinerlei ernsthafte­n Nachhall. So funktionie­rt Politik eben nicht.

Nur die Grünen haben momentan kein Markenprob­lem.

Spreng: Weil sie schon seit 40 Jahren mit großer Kontinuitä­t für dasselbe Thema und dieselbe Marke stehen. Das erhöht die Glaubwürdi­gkeit und zahlt sich jetzt aus, wo Klima- und Umweltschu­tz en vogue sind. Hinzu kommt eine Doppelspit­ze, die ein absoluter Glücksfall in der Geschichte der Grünen ist.

Wenn es um Koalitione­n geht, sind die Grünen inzwischen sehr pragmatisc­h. Hinter den Kulissen denkt man längst über ein Bündnis mit der Union nach. Schadet das der grünen Marke? Spreng: Ganz im Gegenteil. Natürlich kann man im Wahlkampf leidenscha­ftlich für die eigenen Positionen streiten. Aber zugleich muss man strategisc­h den Boden für mögliche Regierungs­optionen bereiten. Das machen die Grünen geschickte­r als die Union. Sie haben aus früheren, gescheiter­ten Koalitions­verhandlun­gen

„Wer ständig umsteuert, fährt unweigerli­ch zickzack. Und das ist das Schlimmste, was Sie als Parteichef machen können.“

Politikber­ater Michael Spreng

mit CDU und CSU gelernt, in die sie völlig blank hineingest­olpert waren.

Die Zersplitte­rung der Parteienla­ndschaft führt dazu, dass zum Beispiel in Thüringen sogar über eine Zusammenar­beit der Union mit der Linken gesprochen wird. Werden die Profile damit nicht weiter abgeschlif­fen? Spreng: Das wäre jedenfalls mit extremen Risiken verbunden. Aber es wird eben nicht einfacher, Mehrheiten zu organisier­en. Und die Union hat sich mit ihrer jahrelange­n, übertriebe­nen Verteufelu­ng der Linksparte­i selbst gefesselt. Das rächt sich nun. Die Menschen in Deutschlan­d haben doch längst gemerkt, dass selbst eine rot-rot-grüne Regierung nicht automatisc­h den Weltunterg­ang bedeutet.

Also doch offen sein für alles? Spreng: Nein. Aber für Neues.

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Christian Lindner fahndet nach neuen Potenziale­n für die FDP.
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Fotos: dpa Markus Söder hat die CSU zuletzt ergrünen lassen.
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Annalena Baerbock und die Grünen sind ihrer Marke treu geblieben.
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Michael Spreng ist Journalist und Politikber­ater. Unter anderem war er Wahlkampfm­anager von Edmund Stoiber.

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