Gold, Silber, Miese
Im Sommer wird Japan nicht die Olympischen Spiele feiern, sondern vielleicht in die Rezession rutschen. Durch die Corona-Krise ist man bisher vergleichsweise glimpflich gekommen. Schwerer wiegt daher der Aufschub des Spektakels
Tokio Statt mit Olympia wird Japan seinen Sommer womöglich mit einer Rezession verbringen. Dabei ist dies nicht der einzige Schaden. Auch die Wirtschaftspolitik des Premierministers liegt nun darnieder.
Olympia wird verschoben, auf Sommer 2021. Ein Jahr später soll das Riesenspektakel nun beginnen. Denn würden zum größten und internationalsten Sportevent der Welt schon früher Millionen Menschen in Japan zusammentreffen, wäre das Gesundheitsrisiko einfach zu groß.
Warum kam dieser Entschluss so spät? Zu einem Zeitpunkt, als überall sonst auf der Welt längst Großevents abgesagt waren? Die Antwort ist banal: das politische, ökonomische und finanzielle Kapital, das in Japan eingesetzt worden war, schien lange Zeit zu hoch, um die Spiele nicht wie geplant stattfinden zu lassen. Seit seinem Amtsantritt als Premierminister Ende 2012 hatte Shinzo Abe damit geworben, Olympia nach Japan zu holen und damit eine neue Ära des Landes einzuläuten. Auf Jahre der ökonomischen Stagnation sollte neues Wachstum folgen, angetrieben durch moderne Infrastruktur und einen Schub der Internationalisierung.
Abe machte die Olympischen Spiele zum Fernziel, in die seine als „Abenomics“bekannt gewordene Wirtschaftspolitik münden sollte. Eine Kombination aus noch höheren Staatsausgaben als zuvor, einer noch lockereren Geldpolitik sowie wachstumsfördernden Strukturreformen sollte in der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt eine neue Boom-Ära auslösen. Doch nach einer anfänglichen Euphoriewelle kam die Sache bald ins Stocken. Die Wachstumszahlen unterscheiden sich mittlerweile kaum noch von den Jahren vor Abes Amtsantritt.
Nun droht sogar eine Rezession. Im vierten Quartal 2019 hatten eine Mehrwertsteuererhöhung von acht auf zehn Prozent sowie der Schaden durch den Taifun Hagibis dazu geführt, dass die japanische Wirtschaft um gut sechs Prozent schrumpfte. Angesichts der Einschränkungen des ökonomischen Lebens, die die Krise um Covid-19 nun seit Wochen
ist damit zu rechnen, dass auch das erste Quartal dieses Jahres einen Rückgang verzeichnen wird. Japan ist unter den Industriestaaten bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen. Es gibt noch keine Ausgangssperren, die Einschränkungen im Wirtschaftsleben halten sich noch in Grenzen. So richtet sich der Focus auf die Verschiebung der Spiele – und so ist wahrscheinlich, dass Japan im Sommer 2020, wenn Premierminister Abe eigentlich den Höhepunkt eines olympiabefeuerten Booms feiern wollte, in einer akuten Krise stecken wird.
Vor allem das derzeitige Ausbleiben von Tourismus fällt schwer ins Gewicht. Eine Schätzung geht allein bei der Verschiebung Olympias von Kosten in Höhe von umgerechnet 5,8 Milliarden US-Dollar aus. Diverse japanische Hotelketten haben schon ihre Erlösprognosen gesenkt, Reiseunternehmen erwarten nun Ausfälle, die sich auf den Gegenwert fast eines ganzen Jahres belaufen könnten. Für 2020 hat Japan eigentlich den Rekordwert von 40 Millioerfordert, nen Touristen aus dem Ausland angepeilt. Vor allem um die Olympiatermine herum war der Höhepunkt erwartet.
Doch die Probleme enden hier nicht. Wie kein Austragungsort zuvor hat es „Tokyo 2020“geschafft, Sponsorengelder aus der Wirtschaft einzuspielen. Insgesamt 3 Milliarden US-Dollar haben gut 60 japanische Unternehmen ersten Ranges in den Topf geworfen. Das ist knapp dreimal so viel wie zum Beispiel bei Olympia 2012 in London. Mit dem Sponsorengeld wurden in Tokio
Spielstätten gebaut und das wasserstoffbetriebene olympische Dorf entwickelt. Den Sponsoren ist im Gegenzug garantiert worden, sie würden im Glanz von Olympia strahlen. Es könnten Kontakte zu neuen Märkten entstehen, zumindest aber große internationale Sichtbarkeit.
Und wenn dieses Event nun also deutlich verspätet stattfindet? Erhalten die Sponsoren einen Teil ihrer Gaben zurückerstattet? Es ist eine von mehreren Fragen, die derzeit niemand der Offiziellen beantworten möchte. Angesichts der Schmallippigkeit, mit der die beteiligten Institutionen auf journalistische Anfragen zu solchen Themen reagieren, lässt sich nur erahnen, dass schon die nun feststehende Verschiebung der Spiele zu großen finanziellen und industriepolitischen Schäden führt.
Auch im Bezug auf den Versicherungsfall gibt es kaum Antworten. Die US-amerikanische Investmentbank Jefferies schätzt, dass rund um die Tokioter Spiele insgesamt Versicherungen im Wert von zwei Milliarden US-Dollar aufgenommen wurden. Aber wer gegen einen Ausfall oder eine Verschiebung des Events durch eine Pandemie versichert ist, darüber herrscht Schweigen. Sowohl das IOC als auch das Tokioter Organisationskomitee äußern sich zu dieser Frage nicht. Der Versicherungskonzern Munich Re, der als Rückversicherer für die Olympischen Spiele fungiert, teilt allerdings mit, dass „Pandemien und Epidemien“in der Regel nicht mit abgedeckt seien. Wie es sich im Fall von Tokyo 2020 verhalte, könne man aus Vertraulichkeitsgründen nicht verraten.
Um die finanziellen Ausfälle noch möglichst gering zu halten, hatte Premier Abe gegenüber dem IOC darauf gedrängt, das neue Startdatum von Olympia nicht zu weit in die Zukunft zu legen. Dies schon jetzt zu wollen, wo sich die Pandemie weltweit immer weiter ausbreitet, offenbart auch Abes Prioritäten. In der Hoffnung, die Gesundheitskrise werde sich schon bald legen, bemüht er sich, dass die finanzielle Krise rund um Olympia gar nicht allzu groß wird.