Olympia-Aus trifft drei Augsburger
Die für Tokio schon qualifizierten Paddler Hannes Aigner und Ricarda Funk müssen vielleicht um ihre Plätze bangen. Sideris Tasiadis sieht für sich eine neue Chance
Sie hatten das Olympiaticket bereits in der Tasche, doch nach langer Unsicherheit steht nun fest: Hannes Aigner und Ricarda Funk werden im Juli 2020 nicht mit der deutschen Abordnung nach Tokio reisen, um dort um olympische Medaillen zu paddeln. Nach langem Zögern teilte Japan aufgrund der weltweiten Corona-Krise am Dienstagnachmittag mit, dass die Olympischen Spiele um zwölf Monate verschoben werden.
Eine Entscheidung, die Hannes Aigner vom Augsburger KajakVerein (AKV) schon erwartet hatte. „Es war in den letzten Tagen abzusehen, dass eine Entscheidung kommt, weil der öffentliche Druck immer größer wurde. Es ist einerseits schade. Ich hatte mich sehr darauf gefreut, in diesem Sommer Olympia zu erleben, und habe auch lange und hart dafür gearbeitet“, sagt der Augsburger.
Andererseits sei er froh, dass man als Sportler nun endlich Gewissheit habe und die nächsten Monate anders planen könne. Er selbst möchte sich nun erst einmal eine kurze sportliche Auszeit nehmen. „Es wird darauf hinauslaufen, dass ich ein paar Tage Pause mache. Denn es ist ja nicht abzusehen, wann der nächste Wettkampf stattfindet. Man muss auch erst einmal das Ganze verarbeiten und sich dann einen Plan überlegen, wie es weitergeht.“
Der 31-jährige Kajakspezialist hatte sich während des Jahres 2019 in einem monatelang andauernden Qualifikationsmodus gegen alle anderen deutschen Konkurrenten in seiner Bootsklasse durchgesetzt. In Tokio hätte er seine dritten Olympischen Spiele bestritten – nach Bronze 2012 in London und Platz fünf 2016 in Rio de Janeiro. Für Aigner ist es deshalb keine Frage, dass er auch nach der Verschiebung an seinem Traum von Tokio festhalten will. „Die Medaille ist natürlich nach wie vor mein Ziel und ich werde hart dafür arbeiten. Aber jetzt brauche ich erst mal ein bisschen Abstand. Und angesichts der Lage ist es ja nicht verkehrt, zu Hause zu bleiben und seine Aufmerksamkeit der Familie zu widmen.“
Für Aigner eine wertvolle Zeit, denn bis jetzt räumte er dem Sport absolute Priorität ein. So verpasste er durch die Olympiavorbereitung im vergangenen Jahr wegen eines Trainingslagers in Markkleeberg sogar die Geburt seines heute sieben Monate alten Sohnes. „Das hatte ich nicht mehr rechtzeitig geschafft“, bedauert Aigner das bis heute. „Ich musste im vergangenen Jahr bei vielen Dingen Abstriche machen. Jetzt habe ich vielleicht die Zeit, einiges nachzuholen.“
Dabei lief die Olympiavorbereitung bei ihm und den anderen Kaderathleten noch bis vor wenigen Tagen auf Hochtouren. Anfang März war Aigner von einem sechswöchigen Trainingslager aus Australien zurückgekommen. Gemeinsam mit Ricarda Funk, die im Kajak-Einer der Frauen ebenfalls schon ihr Olympiaticket sicher hat. Für die Kanutin, die zwar für den KSV Bad Kreuznach startet, aber seit vielen Jahren in Augsburg lebt und trainiert, wären es die ersten Olympischen Spiele gewesen. Auch sie hatte trotz Sperrung der Sportstätten eisern weitertrainiert und ihre Fangemeinde über Instagram beim einsamen Paddeln auf dem Lech oder bei Fitnessübungen auf einem leeren Flur auf dem Laufenden gehalten.
Jetzt heißt es für alle Spitzenkanuten, das Training auf die Herausforderungen des nächsten Jahres abzustimmen. Auch wenn von offizieller Seite – also vom Internationalen Kanuverband ICF und vom Deutschen Kanu-Verband DKV – noch nicht entschieden ist, ob die bereits qualifizierten drei deutschen Paddler Hannes Aigner (K1 männlich), Ricarda Funk (K1 weiblich) und die Leipzigerin Andrea Herzog (C1 weiblich) ihren Olympiastartplatz für das Jahr 2021 überhaupt behalten werden. Oder ob vielleicht neue nationale Qualifikationen angesetzt werden.
Damit rechnet der dritte Augsburger Spitzenfahrer, Sideris Tasiadis von Kanu Schwaben Augsburg. Der Weltranglistenerste im C1 (Canadier Einer männlich) steckte bis jetzt mitten im Kampf um sein Tokio-Ticket in der vierten olympischen Bootsklasse. Die endgültige Qualifikation wollte er im Duell gegen seinen stärksten Konkurrenten, Weltmeister Franz Anton aus Leipzig, bei der EM im Mai klarmachen. Doch das ist hinfällig. Für Tasiadis beginnt das Rennen um einen Olympiaplatz von Neuem. „Ich finde es die richtige Entscheidung, dass die Spiele um genau ein Jahr verschoben werden“, sagt Tasiadis. Er habe es durch diese Gewissheit „motivationstechnisch“nun leichter. „Ich weiß nun genau, es geht erst nächstes Jahr um die Wurst.“Auch er wird nun seinen Trainingsumfang zurückfahren und abwarten, bis die Verbände den Weg für Olympia 2021 abgesteckt haben.
Zumal der olympische C1-Silbermedaillengewinner von London 2012 davon ausgeht, dass alle Karten neu gemischt werden. Er könne sich durchaus vorstellen, dass dem Verband die zwei Jahre zwischen der bisherigen Qualifikation 2019 und den Olympischen Spielen 2021 zu lange wird. „Man kann ja nicht davon ausgehen, dass die Sportler zwei Jahre später die gleiche Leistung bringen. Natürlich wäre das bitter gegenüber denen, die schon qualifiziert sind. Aber der Verband will ja immer die Besten zu Olympia schicken und fordert Medaillen“, sagt Tasiadis.
Sein deutscher Teamkollege Hannes Aigner hofft da natürlich auf eine gänzlich andere Entscheidung. „Wir drei Qualifizierten sind zu diesem Zeitpunkt die besten deutschen Boote. Auch aus Fairnessgründen: Jeder hatte die Chance und wir haben sie genutzt. Deshalb sehe ich keinen Grund, wieso man die ganze nationale Qualifikation noch einmal aufrollen soll“, so Aigner.