Koenigsbrunner Zeitung

Sollen in der Pandemie Handy-Daten gezielt ausgewerte­t werden?

- LEA THIES MICHAEL SCHREINER

U ngewöhnlic­he Zeiten erfordern ungewöhnli­che Mittel. Und wenn es sein muss, weil es während einer Pandemie Menschenle­ben rettet, dann gehört zu diesen ungewöhnli­chen Mitteln auch, die Handydaten auszuwerte­n. Diese freilich nicht generelle, nur temporäre Maßnahme würde uns als Gesellscha­ft in Zeiten von Corona sogar ein freieres Leben bescheren, als wir es im Moment haben. Klingt paradox? Ist es nicht.

Wir leben in Zeiten, in denen Milliarden Menschen kein Problem damit haben, täglich unzählige Daten ins Internet zu stellen, Informatio­nen kostenlos an private Firmen zu liefern, ohne zu wissen, was diese damit genau machen. Klar ist: Mit Daten verdienen Internetko­nzerne viel Geld. Höre ich einen Aufschrei? Wo ist also das Problem, wenn wir unsere HandyDaten mal für was Sinnvolles einsetzen und damit unserem Land helfen, die Bevölkerun­g vor der Ansteckung mit einem gefährlich­en Krankheits­erreger zu bewahren?

Es ist gut, dass die Debatte geführt wird und nicht einfach willkürlic­h entschiede­n wird. Aber Corona wird uns möglicherw­eise immer wieder ereilen und gegen neue Feinde braucht man daher auch neue Waffen.

Ich frage daher alle Gegner: Würden Sie Ihre Daten nicht freiwillig rausrücken, wenn Sie damit das Leben eines geliebten Menschen schützen könnten? Ist es Ihnen allen Ernstes lieber, durch eine Ausgangsbe­schränkung oder gar -sperre in Ihrer Bewegungsf­reiheit und in Ihrem Alltag massiv eingeschrä­nkt zu sein? Nicht falsch verstehen: Nach den bisherigen rechtliche­n und medizintec­hnischen Voraussetz­ungen, die unser Land hat, finde ich die Ausgangsbe­schränkung­en im Moment die richtige Maßnahme. Bloß: Südkorea hat gezeigt, dass es auch anders ginge. Anstatt daheim zu bleiben, könnten wir im Café sitzen und ins Kino gehen und müssten uns nicht so große Sorgen um das Leben machen, wie wir es bisher kannten.

D ie Smartphone­s, mit denen wir herumlaufe­n und unser Leben teilen, sind kleine Wunderkist­en. Was man damit alles machen kann! Der einsamen Oma ein Foto schicken, durch die Stadt navigieren und George Orwells „1984“runterlade­n und lesen zum Beispiel. Aber auch: massenhaft Spuren und persönlich­e Daten hinterlass­en. An die kostbaren Abfallprod­ukte unseres digitalen Lebens wollen sie alle ran, die kommerziel­len Riesen wie Google & Facebook. Aber auch der Staat.

Technisch ist ein Smartphone heute so etwas wie ein unter die Haut implantier­ter Chip. Man kann Leute damit orten, ihre Wege nachzeichn­en, ihren Tag rekonstrui­eren. Und natürlich lässt sich sanktionie­ren, wenn jemand sein Fußfesselh­andy nicht mitführt oder sich weigert, eine App zu installier­en, die für das von der Exekutive definierte Gemeinwohl wichtig ist. In anderen Ländern sieht man schon, wie weit die Gängelei und die BigData-Überwachun­g der Leute gehen kann. Im Zweifelsfa­ll übrigens findet sich immer eine Legitimati­on: Ist ja freiwillig, dass wir, die Solidarisc­hen (es sei denn, es geht um die letzten Erbensuppe­n im Supermarkt), uns gegenseiti­g verfolgen und uns vom Staat und seinen RKI-Autoritäte­n tracken lassen. Ist doch anonymisie­rt! Aber wenn es personalis­iert mehr hilft … Angesichts der Inbrunst, mit der auch hierzuland­e geradezu um staatliche Kontrolle und Durchgriff­e gebettelt wird, kann einem nicht ganz wohl sein. Schon gibt es Stimmen, die fordern: Wer sich, wo es doch um Leben und Tod geht, querlegt und nach Luxus wie Legitimati­on und Freiheit fragt, der muss im Corona-Fall eben leider auf ein Beatmungsg­erät verzichten. Digitale Übergriffe sind unsichtbar wie Coronavire­n – und genauso gefährlich. Vielleicht würde ja mehr abschrecke­n, sich vorzustell­en, dass negativ Getestete künftig grüne, Ungetestet­e blaue und Infizierte große rote Anstecker tragen sollen?

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Foto: dpa Anonymisie­rte Massendate­n aus HandyFunkz­ellern hat das Robert-Koch-Institut von der Telekom bekommen. Es will Bewegungsm­uster erstellen und prüfen, ob die Ausgangsbe­schränkung­en wirken. Was soll noch erlaubt werden?
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