Unruhig in den Alleen wandern
Bitte Abstand halten – auch das Spazierengehen mit Hund fühlt sich auf einmal anders an. Wie alles. Von der Ferne winkt ein Bekannter …
Wer einen Hund hat, kommt ins Gespräch. Zumindest mit anderen Hundebesitzern, die zur gleichen Zeit die gleiche Gassi-Runde gehen. Das liegt an den Hunden, die völlig distanzlos mit ihren Artgenossen umgehen. Während die Hunde schnüffeln, stehen die Menschen daneben, sagen mindestens „Hallo“, oder „Wie alt ist er denn?“, meist aber wird ein wenig geplaudert. Vorbei! Seit dem Wochenende wird die Eineinhalbbesser Zwei-Meter-Regel auch auf den Wald- und Feldwegen eingehalten, vielleicht kurz die Hand zum Gruß gehoben, und verwunderte Hunde an der Leine aneinander vorbeigezogen.
Es fühlt sich merkwürdig an. Wie sich derzeit alles merkwürdig anfühlt. Im Roman „Die Wand“erzählt Marlen Haushofer von einer Frau, die plötzlich durch eine durchsichtige Wand von der Außenwelt abgeschnitten ist. Vielleicht ein bisschen so. Nur dass es keine Wand ist, sondern eine Haube, die über einen gestülpt wurde.
Vorige Woche noch ist man auf dem Spaziergang mit Wildfremden ins Gespräch gekommen, weil auch alle reden wollten. Über das, was die Welt gerade bewegt, und sei es auch in an sich so lapidaren Verästelungen wie der Frage, ob man eigentlich mit dem Hund bei Ausgangsbeschränkungen noch raus darf.
Darf man also. Wobei natürlich die Frage nicht ganz so lapidar ist, wenn man mit einem Hund in einer Stadtwohnung lebt und, wie eine Bekannte erzählt, der Hund den ganzen Tag bellt, wenn er nicht herauskommt. Und lapidar natürlich auch nicht die Frage, was passiert, wenn man in Quarantäne müsste …
Und jetzt? Ziehen die Besitzer die Hunde also aneinander vorbei. Ziehen alle vorbei. Radelt ein Teenager im Fußballtrikot langsam schlenkernd vorbei, ohne das sonst dazugehörige Rudel, spaziert die Kleinstfamilie mit Kinderwagen vorbei, ein paar Jogger mit verstöpselten Ohren, ein Paar in curryfarbenen Jacken, von der Ferne winkend ein Bekannter. Lieber wäre einem jetzt, man würde gar niemanden begegnen, weil es einen so großen Unterschied macht, ob man Abstand halten möchte oder ob man Abstand halten muss. Und andererseits: Draußen und die Sonne scheint. Draußen und die Sonne scheint und direkt vor einem hüpft auf dem Boden ein Rotkehlchen vor sich hin, als würde es Mensch und Hund nicht sehen. Unsichtbar unter der Haube.
In Spanien sind die Menschen – bis auch das dann verboten wurde – mit Kanarienvögeln und Ziegen spazieren gegangen, um der Ausgangssperre zu entgehen. Hauptsache draußen. Unruhig in den Alleen hin und her wandern. Wer jetzt einen Hund hat …
Stefanie Wirsching ist Redakteurin der Kulturund Journalredaktion. Ihr Hund: Chilli, fünf Jahre alt, Lagotto Romagnolo.
An dieser Stelle berichten täglich Kolleginnen und Kollegen aus der Redaktion von ihrem Alltag in Zeiten von Corona.