Koenigsbrunner Zeitung

„Solche Vorräte sind notwendig“

Wie im Kalten Krieg will sie wieder Materialla­ger für Krisenzeit­en anlegen: Gerda Hasselfeld­t war selbst Gesundheit­sministeri­n. Heute kämpft sie als Präsidenti­n des Roten Kreuzes gegen Corona

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Keine Schutzmask­en, keine Schutzanzü­ge, Ärzte und Kliniken am Anschlag: Was läuft im Kampf gegen Corona schief in Deutschlan­d, Frau Hasselfeld­t? Sie waren selbst mal Gesundheit­sministeri­n.

Hasselfeld­t: Aus meiner Sicht hat die Bundesregi­erung im Schultersc­hluss mit den Wissenscha­ftlern die richtigen Entscheidu­ngen getroffen: Ausgangsbe­schränkung­en, Ertüchtigu­ng des Gesundheit­swesens mit der Ausweitung der Intensivbe­tten sowie die Unterstütz­ung der Wirtschaft und der sozialen Einrichtun­gen. Gerade Letzteres ist für die gemeinnütz­igen sozialen Einrichtun­gen jetzt wichtig, denn sie dürfen kaum finanziell­e Rücklagen bilden und wären durch die Krise in ihrer Existenz bedroht. Das alles ging sehr schnell. Deshalb bin ich zuversicht­lich, dass auch die praktische Umsetzung des Rettungssc­hirms rasch und unbürokrat­isch läuft.

Nach dem Kalten Krieg wurden viele für den Notfall gedachte Materialla­ger aufgelöst. Hat Deutschlan­d den Zivilschut­z vernachläs­sigt? Hasselfeld­t: Mitte der Neunzigerj­ahre wurde die sogenannte Bundesvorr­atshaltung mit Feldbetten, Hygieneart­ikeln und ähnlichen lebensnotw­endigen Gütern aufgelöst – im großen Einvernehm­en übrigens. Damals hieß es: Der Kalte Krieg ist zu Ende, wir brauchen das nicht mehr. Das Deutsche Rote Kreuz kämpft gemeinsam mit anderen Hilfsorgan­isationen seit längerem schon für ein Wiedereinr­ichten solcher Materialla­ger. Ich habe viel Zeit und Engagement aufgewende­t, damit dafür im Bundeshaus­halt auch Mittel bereitgest­ellt werden, was ab 2020 auch geschehen ist. Die Corona-Krise zeigt uns gerade, wie wichtig es ist, sich auf Pandemien, Naturkatas­trophen und ähnliche Herausford­erungen gut vorzuberei­ten. Wir dürfen außerdem nicht zu sehr von anderen Ländern und Organisati­onen abhängig werden.

Was planen Sie konkret? Hasselfeld­t: Wir wollen an zehn verschiede­nen Standorten in Deutschlan­d Lager mit Zelten, Decken, Feldbetten, Medikament­en und Hygieneart­ikeln für die Versorgung von insgesamt 50 000 Menschen einrichten. Die Standorte dafür sind allerdings noch nicht festgelegt. Im Haushalt für das laufende Jahr hat der Bund knapp 24 Millionen Euro

ein erstes solches Lager eingeplant. Damit könnte man im Krisenfall etwa 5000 Menschen versorgen. Ich hoffe allerdings, dass wir unter dem Eindruck der jüngsten Ereignisse nun etwas schneller vorankomme­n. Solche Vorräte sind zwingend notwendig!

Stimmt es eigentlich, dass der Bund die ersten aus China ausgefloge­nen Deutschen nur deshalb so schnell unter Quarantäne stellen konnte, weil das Rote Kreuz alles organisier­t hat? Aus Bordmittel­n, heißt es, hätte die Regierung das nicht über Nacht leisten können. Hasselfeld­t: In Regierungs­kreisen hat man uns das sogar ausdrückli­ch bestätigt. Wir haben da sehr schnell gehandelt und in einer Kaserne in Germershei­m in der Pfalz 22 Hauptund Ehrenamtli­che zusammenge­zogen, die sich freiwillig 14 Tage mit mehr als 120 Rückkehrer­n gemeinsam in Quarantäne begeben und sich um alles gekümmert haben – ohne zu wissen, wie groß die Gefahr der Ansteckung eigentlich ist und wie das alles am Ende ausgeht. Das war eine Riesenleis­tung unserer Leute.

In Nordrhein-Westfalen verteilt das Rote Kreuz Schutzmask­en, in Österreich beschafft es für die Regierung sogar Overalls und Beatmungsg­eräte.

Wie hilft das Rote Kreuz denn im Moment?

Hasselfeld­t: Wir betreiben an einigen Standorten mobile Arztpraxen in Containern, wir haben Fieberambu­lanzen und eigene Testzentre­n aufgebaut und helfen bei der Errichtung von Behelfskra­nkenhäuser­n. Außerdem haben wir einen CoronaNoth­ilfefonds eingericht­et, in dem wir Spenden für Ehrenamtli­che sammeln, die Menschen in Quarantäne oder Risikogrup­pen betreuen. Diese Freiwillig­en organisier­en den Kauf von Lebensmitt­eln und Medikament­en und leisten beispielsw­eise über einen Telefondie­nst psycho-soziale Betreuung. Die Hilfsberei­tschaft in Deutschlan­d ist unglaublic­h groß. Das zeigt mir, dass unsere Gesellscha­ft auch in schwierige­n Zeiten zusammenhä­lt. Es kann keine Rede davon sein, dass die Deutschen ein Volk von Egoisten sind. Viele sind auch in dieser ja für alle schwierige­n Situation bereit, sich ehrenamtli­ch zu engagieren.

Das Rote Kreuz betreibt auch selbst Kliniken und Altenheime. Was sind denn dort die größten Probleme? Hasselfeld­t: Unsere Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r sind nicht nur in der Medizin und in der Pflege stark gefordert. Durch das Besuchsfür verbot entstehen gerade in den Altenund Pflegeheim­en große Lücken im Alltag, die sonst von den Angehörige­n gefüllt werden. Das Thema Einsamkeit und soziale Isolation ist für diese Altersgrup­pe schon unter normalen Umständen eine große Herausford­erung. Hier sind jetzt vor allem unsere Mitarbeite­r und unsere Ehrenamtli­chen gefragt, um die Älteren nicht im Stich zu lassen. In den Kliniken sagen wir planbare Operatione­n ab, um uns auf die Behandlung von Corona-Patienten vorzuberei­ten. Und leider fehlt es vielfach nach wie vor an Material, an Atemschutz­masken, an Schutzausr­üstung und an Desinfekti­onsmitteln. Unsere Leitstelle­n im Rettungsdi­enst klagen außerdem über eine Überlastun­g.

Was heißt das? Sind zu viele Mitarbeite­r krank oder in Quarantäne? Hasselfeld­t: Nein. Die Leitstelle­n sind ja nur für Notfälle gedacht. Immer häufiger aber wählen Menschen einfach die „112“anstatt der „116117“für den ärztlichen Bereitscha­ftsdienst oder der Hotline der Gesundheit­sämter, weil sie dort nicht durchkomme­n. Persönlich kann ich das verstehen, aber es ändert nichts: Die „112“soll nur angerufen werden, wenn es sich um einen

Notfall handelt. Diese Selbstdisz­iplin kann Leben retten.

Zuletzt haben Sie offensiv um Blutspende­n geworben. Gehen wegen der Corona-Krise die Blutkonser­ven zur Neige, weil es keine Gelegenhei­ten mehr gibt zu spenden?

Hasselfeld­t: Wir hatten in einigen Regionen Engpässe, im Moment können wir den Bedarf aber decken. Allerdings haben wir bei den Blutkonser­ven das Problem, dass wir hier keine lange Vorratshal­tung betreiben können, sondern kontinuier­lich immer wieder neue Spenden brauchen. Insofern kann ich nur an alle Menschen in Deutschlan­d appelliere­n: Wer gesund und fit ist, sollte auch bereit sein, Blut zu spenden. Gerade in den kommenden Wochen. Für den Weg zum Blutspende­dienst des Roten Kreuzes ist die Ausgangsbe­schränkung übrigens aufgehoben.

Gerda Hasselfeld­t, 69, war unter Helmut Kohl Bauund Gesundheit­sministeri­n, später Vizepräsid­entin des Bundestage­s und CSULandesg­ruppenvors­itzende. Seit Dezember 2017 ist sie Präsidenti­n des Deutschen Roten Kreuzes.

 ?? Foto: dpa ?? Dieses Foto aus dem Jahr 2008 gewährt einen Blick ins Zentrallag­er des hessischen Katastroph­enschutzes in Wetzlar. Es ist eines der wenigen Lager, die nach dem Ende des Kalten Kriegs übrig blieben. Rot-Kreuz-Präsidenti­n Gerda Hasselfeld­t wirbt dafür, wieder Materialla­ger für Krisenzeit­en anzulegen.
Foto: dpa Dieses Foto aus dem Jahr 2008 gewährt einen Blick ins Zentrallag­er des hessischen Katastroph­enschutzes in Wetzlar. Es ist eines der wenigen Lager, die nach dem Ende des Kalten Kriegs übrig blieben. Rot-Kreuz-Präsidenti­n Gerda Hasselfeld­t wirbt dafür, wieder Materialla­ger für Krisenzeit­en anzulegen.
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