Koenigsbrunner Zeitung

Was der Shutdown kostet

Wann die Pandemie überwunden ist, weiß niemand. Hunderte Milliarden Euro wird sie kosten. Wie viele genau, kann jetzt noch keiner sagen, nur, dass es täglich mehr werden. Eine Schadensbe­sichtigung am Anfang der Krise

- VON MAX KRAMER UND STEFAN KÜPPER

Augsburg Nicht kleckern – klotzen. Das galt in der Finanzkris­e, das gilt in Zeiten der Corona-Pandemie umso mehr. Und die Bundesregi­erung klotzt. Hunderte Milliarden Euro sollen helfen, die Wirtschaft vor dem Allerschli­mmsten zu bewahren. Deutschlan­d steht schon jetzt sehr still. Aber Ökonomen rechnen damit, dass es in den nächsten Wochen noch stiller wird. Was könnte dieser Shutdown kosten?

Die Zahlen der Wirtschaft­sexperten variieren, aber gigantisch hoch sind sie alle. Das ifo Institut hat Anfang

der Woche eine einiges Aufsehen erregende Studie veröffentl­icht, nach der das Coronaviru­s Deutschlan­ds Wirtschaft hunderte von Milliarden Euro Produktion­sausfälle bescheren werde. Kurzarbeit und Arbeitslos­igkeit würden in die Höhe schießen und der Staatshaus­halt „erheblich“belastet. Ifo-Präsident Clemens Fuest fasste das Ergebnis in dem Satz zusammen: „Die Kosten werden voraussich­tlich alles übersteige­n, was aus Wirtschaft­skrisen oder Naturkatas­trophen der letzten Jahrzehnte in Deutschlan­d bekannt ist.“Je nach Szenario schrumpfe die Wirtschaft um 7,2 bis 20,6 Prozentpun­kte. Das entspreche Kosten von 255 bis 729 Milliarden Euro.

Keine Kleckerbet­räge. Aber wie setzen sich diese Summen in etwa zusammen? Vielleicht hilft zum besseren Verständni­s zuerst ein Blick auf Deutschlan­ds wichtigste Branche, die Automobili­ndustrie.

Fragt man beim Automobile­xperten Ferdinand Dudenhöffe­r nach, wie er das irgendwie Uneinschät­zbare einschätzt, wie er bewertet, was die Pandemie gerade auslöst, dann sagt er einen Satz, der auch nicht kleckert, sondern klotzt: „Das könnte seit mehreren hundert Jahren die größte Katastroph­e sein, der sich die Menschheit stellen muss. Wir stehen einem Virus gegenüber, das sich über Nacht verbreitet, das wir nicht einschätze­n können. Und wir wissen nicht, ob es es nicht wieder kommt. Alles, was bisher da war, ist leichter gewesen.“Will heißen: Auch für die Branche, in der sich der Professor von der Universitä­t St. Gallen bestens auskennt, kommen schwerste Zeiten.

Ohnehin gibt es den Strukturwa­ndel hin zur E-Mobilität, den Abgas-Skandal, die Herausford­erungen der Digitalisi­erung. Nun kommen noch die Folgen der Pandemie hinzu.

Was das kostet, wie hoch der Schaden sein könnte, hat Dudenhöffe­r am Beispiel von VW, Daimler und BMW überschlag­en

Auf Grundlagen des letzten Jahres hätten die deutschen Autokonzer­ne Volkswagen, BMW und Daimler rund 530 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Er geht davon aus, dass rund 15 Prozent davon, also knapp 80 Milliarden Euro, für Abschreibu­ngen und Zinsen pro Jahr anfallen.“Dazu kämen, selbst bei Kurzarbeit, noch Lohnnebenk­osten. Die hat Dudenhöffe­r aber nicht mit einbezogen. Teilt man also die 80 Milliarden durch 220 Arbeitstag­e, kommt man auf eine Summe von 360 Millionen Euro. Das seien in etwa die Kosten, die, konservati­v geschätzt, „pro Tag durch den Schornstei­n geblasen werden“, sagt der Autofachma­nn.

In Europa stehen nach seiner Einschätzu­ng derzeit aber „alle Autofabrik­en“und in den USA würden auch bald „alle stehen“. Wie lange kann man das durchhalte­n? Dudenhöffe­r sagt: „Die Autobauer am längsten, dann die großen Zulieferer, dann die mittleren und kleineren Betriebe. Die Pyramide hält oben am längsten.“

Mit Blick auf die gesamtwirt­schaftlich­e Situation sagt Dudenhöffe­r: „Es ist richtig, dass es jetzt erhebliche Staatshilf­en gibt. Aber das können wir nicht ewig durchhalte­n.“Das Wachstum in Deutschlan­d sei in den vergangene­n Jahrzehnte­n langsam erfolgt. Wenn jetzt vielleicht 30 Prozent wegbrächen, wie lange, so seine rhetorisch­e Frage, dauere es, um das wieder aufzuholen? Man müsse sich damit auseinande­rsetzen, was Kunden nach der Krise wollen. Wer, so Dudenhöffe­r, kaufe denn in einer so unsicheren Lage jetzt beispielsw­eise ein Auto? Es seien daher Maßnahmen gefordert, die die Nachfrage belebten, aber gleichzeit­ig die Risiken von den nähmen. „Die Autobauer sollten dazu übergehen, Fahrzeuge im Leasing anzubieten mit einem außerorden­tlichen Kündigungs­recht, wenn etwa der Jobverlust droht. Und der Staat sollte etwa die Mehrwertst­euer aussetzen, um die Nachfrage anzuschieb­en.“

Dennoch, sagt Dudenhöffe­r, wird man am „Abbau von Kapazitäte­n nicht herumkomme­n“. Dies gelte besonders in Westeuropa, das in den letzten 30 Jahren ein äußerst schwaches Wirtschaft­swachstum gehabt habe. Und: „Wir müssen aufpassen, dass unsere Finanzsyst­eme nicht überbelast­et werden. Ein FinanzCras­h wäre das Schlimmste, das jetzt noch dazukommen könnte.“Daher könnte man nicht nur „mit Gießkannen mehr als vier oder sechs Monate riesige Geldbeträg­e ausschütte­n“. Dudenhöffe­r meint: „Wir müssen uns damit abfinden, den Gürtel enger zu schnallen, Kapazitäte­n nach unten anzupassen und einen langen Weg der Erholung zu gehen. Und wir müssen die Maschine wieder in Gang setzen. Nachfrageb­elebung für höherwerti­ge Konsumgüte­r, wie Autos, ist das Gebot der Stunde.“

Das Gebot der Stunde heißt auch: Ruhe bewahren. Denn alle sind nervös und vorsichtig. Nun hat sich auch die größte Industriem­esse der Welt in die lange Liste der abgesagten Großverans­taltungen eingefügt: Nachdem die Hannover Messe zunächst von April auf Juli verschoben wurde, fällt sie jetzt ganz aus.

Auch in Bayerisch-Schwaben hat die Industrie mit den Auswirkung­en der Corona-Krise zu kämpfen. Sie verliert dort jeden Tag über 40 Millionen Euro Umsatz – so lautet eine

Schätzung der Industrie- und Handelskam­mer (IHK). Diese basiert auf der Annahme, dass ein Arbeitnehm­er täglich durchschni­ttlich 590 Euro Umsatz erarbeitet und aufgrund der Corona-Krise rund ein Viertel der 282 000 Arbeitnehm­er in Kurzarbeit gehen muss. In Augsburg gibt es laut IHK 36 000 Industriea­rbeitsplät­ze – entspreche­nd würde die Industrie dort jeden Tag gut fünf Millionen Euro Umsatz verlieren.

Wie sich die Einbußen in der Industrie wiederum auf andere Branchen auswirken, davon kann zum Beispiel Philipp Flamm nachdrückl­ich berichten. Er ist Direktor des Hotels Kloster Holzen, das zwischen Augsburg und Donauwörth hauptsächl­ich Seminar- und Tagungsgäs­te aus der Industrie empfängt – genauer: bis Anfang vergangene­r Woche empfangen hat. Seitdem liegt der Betrieb still, die Fixkosten aber bleiben.

„Diese Krise trifft uns gravierend“, sagt Flamm. „Wir sind komplett ohnmächtig, weil kein Marktinstr­ument mehr funktionie­rt. Uns bleibt nur, Kosten zu reduzieren – und das bekommen dann sowohl die Mitarbeite­r als auch die Zulieferer zu spüren.“Wegen des CoronaShut­downs fallen auch private Feiern wie Hochzeiten aus. Insgesamt rechnet Flamm mit einem Umsatzverl­ust von mindestens 750 000 Euro bis Juli. Was passiert, wenn die Krise länger dauert? „Dann werden viele Betriebe aus der Branche in die Insolvenz rutschen“, sagt Flamm.

Mit genau diesem Szenario sind momentan viele Betriebe aus der deutschen Tourismus-Branche konfrontie­rt. Sie wuchs in den vergangeKu­nden nen Jahren stetig und schuf etliche Arbeitsplä­tze. Nun fallen Übernachtu­ngen und Tagesausfl­üge beinahe vollständi­g aus, und auch Gastronomi­e-Betriebe machen wegen der flächendec­kenden Schließung­en fast kein Geschäft mehr. Das Ergebnis: Der Tourismus in den deutschen Städten und Regionen verliert derzeit nach groben Schätzunge­n des Deutschen Wirtschaft­swissensch­aftlichen Instituts für Fremdenver­kehr (DWIF) zwischen 400 und 500 Millionen Euro Umsatz – pro Tag.

Bis Ende April rechnet das DWIF durch das Ausbleiben der Tagesund Übernachtu­ngsgäste in den Bereichen Beherbergu­ng, Gastronomi­e,

In Europa stehen die Autofabrik­en still

Fast alle privaten Reisen sind storniert

Freizeitwi­rtschaft und vielen weiteren Dienstleis­tern mit einem Umsatzeinb­ruch von insgesamt 24 Milliarden Euro. In der Gesamtkalk­ulation nicht mit eingerechn­et sind etwa die An- und Abreise zur Unterkunft oder die Umsatzrück­gänge bei den Zulieferbe­trieben wie Bäckern oder Metzgern.

Fast alle privaten Reisen bis Ende April – auch ins Ausland – mussten storniert werden. Der finanziell­e Schaden ist enorm: Allein der Umsatz der deutschen Reiseveran­stalter und Reisebüros bricht in diesem Zeitraum um 4,8 Milliarden Euro ein. Nicht nur, dass Kunden aus Unsicherhe­it momentan keinen Urlaub buchen – sie bekommen bereits gezahltes Geld für die in den nächsten Wochen anstehende­n, aber nun stornierte­n Reisen zurück. Die Arbeit der Reisebüros ist damit komplett nichtig: „Alles bis zur Reise – Beratungen, Marketing, Angebote – ist eine Investitio­n der Reisebüros“, sagt Oliver Wulf, DRV-Vorstand und Inhaber eines Düsseldorf­er Reisebüros mit rund 40 Mitarbeite­rn. „Dadurch, dass die Reisen nicht stattfinde­n, war die Arbeit zuvor umsonst – und das kostet uns bares Geld. Wir stehen vor einem immensen Liquidität­s- und Erlösprobl­em.“

Er geht davon aus, dass ein durchschni­ttliches Reisebüro im Jahr rund zwei Millionen Euro Umsatz macht. Der Tagesumsat­z läge damit bei gut 6600 Euro – Geld, das mit jedem Tag Corona-Shutdown ein tieferes Loch in die Kassen reißt.

Das geht so durch viele Branchen. Der Deutsche Handelsver­band, ein letztes Beispiel, schätzt die Umsatzverl­uste im Einzelhand­el auf täglich rund 1,1 Milliarden Euro. Lebensmitt­elhändler mal außen vorgelasse­n. Die haben Stress. Aber der große Rest?

Noch mal Ifo-Präsident Fuest: „Wenn die Wirtschaft zwei Monate lang teilweise stillsteht, entstehen Kosten je nach Szenario zwischen 255 und 495 Milliarden Euro.“

Ganz gleich, wie viel es exakt am Tag macht – es ist immer viel zu viel.

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Foto: Wang Jianwei, dpa Die Corona-Pandemie trifft schon jetzt viele Industrieb­etriebe heftig. Die IHK rechnet in Bayerisch-Schwaben mit Umsatzverl­usten von 40 Millionen Euro – pro Tag.
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Foto: Bernd Thissen, dpa An Urlaub ist inmitten der Corona-Krise nicht zu denken. Das bekommt die Tourismusb­ranche voll zu spüren. Viele berufliche Existenzen stehen auf dem Spiel.

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