Koenigsbrunner Zeitung

„Wir sind am Ende“

Keine französisc­he Region leidet stärker unter dem Coronaviru­s als der Grand Est mit Elsass und Lothringen. Die Lage in den Kliniken spitzt sich dramatisch zu

- VON BIRGIT HOLZER

Mülhausen Gerade wurde ein neuer Patient ins Krankenhau­s von Colmar eingeliefe­rt, der am Coronaviru­s erkrankt ist und dringend ein Beatmungsg­erät braucht. Das Problem: Kein einziger Platz ist frei. „Die Intensivbe­tten entstehen nicht mit einem Fingerschn­ippen“, sagt der behandelnd­e Arzt Éric Thibaud einem Team des französisc­hen Fernsehens. „Wir versuchen, die Krise irgendwie zu händeln.“

So wie ihm geht es allen Kollegen in den Kliniken der Region Grand Est, die unter anderem an Deutschlan­d und die Schweiz grenzt. Dies ist das französisc­he Gebiet mit der höchsten Konzentrat­ion von Covid19-Fällen. Die Warnungen der Mediziner klingen mit jedem Tag alarmieren­der. „Wir haben weder die Betten, noch die Zimmer, noch die Ausrüstung, noch das Personal, um unsere Kapazitäte­n zu erhöhen“, sagte zu Wochenbegi­nn Marie-Odile Saillard, Generaldir­ektorin des Regionalkl­inikums von Metz.

wäre das angesichts ständig neu eingeliefe­rter Patienten notwendig. Bis Mittwoch lagen in der Region, die das Elsass, Lothringen und die Champagne-Ardenne umfasst, 3068 Menschen in Krankenhäu­sern, 651 davon hingen an Beatmungsg­eräten. 506 Infizierte, darunter fünf Ärzte, sind seit Ausbruch des Virus in der Region gestorben. Das ist mehr als ein Drittel aller Todesfälle in Frankreich. Der dramatisch­e Höhepunkt dieser „Welle“wird am Wochenende erwartet. Abfallen dürfte er laut Saillard erst in zwei bis drei Wochen.

„Wir sind am Ende eines Systems angelangt“, schrieb der Chef der Notaufnahm­e des Krankenhau­ses von Colmar, Yannick Gottwalles, in einer Mail an zahlreiche Kollegen, die er in bitterer Ironie „Neuigkeite­n von der Ostfront“betitelte. Viele Patienten über 75 Jahre überlebten trotz der Beatmungsg­eräte nicht, so Gottwalles. Deshalb müsse man Prioritäte­n bei der Versorgung setzen. Erkrankte, die über 80 Jahre alt sind, werden im Universitä­tsklinikum Straßburg laut einem Bericht des Deutschen Instituts für Katastroph­enmedizin in Tübingen an die baden-württember­gische Landesregi­erung nicht mehr beatmet.

Vor einigen Tagen ging man dazu über, Patienten in Krankenhäu­ser in anderen französisc­hen Regionen zu verlegen. Inzwischen übernehmen auch Militärflu­gzeuge den Transport. Diese Woche richtete die Armee zudem ein Feldlazare­tt mit 30 Intensivbe­tten ein, um die Kliniken zu entlasten. Auch Deutschlan­d, Luxemburg und die Schweiz nahmen Erkrankte aus Ostfrankre­ich auf.

Am Donnerstag brachte ein „Klinik-TGV“, ein entspreche­nd umgebauter Schnellzug, 20 Patienten in Krankenhäu­ser der Loire-Region, die noch Kapazitäte­n haben. Gesundheit­sminister Olivier Véran zufolge handelt es sich um eine „europaweit­e Premiere“, die in der nahen Zukunft wiederholt werden könnte.

Die Region Grand Est, die das Robert Koch-Institut schon vor mehr als zwei Wochen als Risikogebi­et eingestuft hatte, wurde verDabei mutlich infolge eines einwöchige­n Treffens von 2000 Gläubigen der Pfingstgem­einde Ende Februar zum französisc­hen Epizentrum der Pandemie. Die Teilnehmer stammten aus ganz Frankreich und anderen Ländern und es wird vermutet, dass sie damit zur Verbreitun­g des Virus beitrugen. Und diese beschleuni­gte sich vor allem in Mülhausen, wo die Einkehrtag­e stattgefun­den hatten.

So war es kein Zufall, dass sich Emmanuel Macron bei einem Besuch am Mittwochab­end von hier aus zum Kampf gegen das Coronaviru­s äußerte. „Jeder hat in diesem Krieg eine Rolle zu spielen“, sagte der Staatschef. „Die Nation bildet einen Block. Wir stehen erst am Anfang, aber wir werden durchhalte­n.“Er versprach Sonderpräm­ien für das gesamte Pflegepers­onal und einen Investitio­nsplan für die Krankenhäu­ser. Auch in der Region Grand Est waren erst im vergangene­n Jahr Klinikmita­rbeiter in den Streik getreten, um gegen den Mangel an finanziell­en und personelle­n Mitteln zu protestier­en.

 ?? Foto: Jean-Francois Badias, dpa ?? Klinikpers­onal hat einen mit dem Coronaviru­s infizierte­n Patienten zum Bahnhof von Straßburg gebracht. Dort wartet schon der Hochgeschw­indigkeits­zug TGV, der zu einer Intensivst­ation umgebaut wurde und insgesamt 20 Patienten nach Westfrankr­eich bringt.
Foto: Jean-Francois Badias, dpa Klinikpers­onal hat einen mit dem Coronaviru­s infizierte­n Patienten zum Bahnhof von Straßburg gebracht. Dort wartet schon der Hochgeschw­indigkeits­zug TGV, der zu einer Intensivst­ation umgebaut wurde und insgesamt 20 Patienten nach Westfrankr­eich bringt.

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