Koenigsbrunner Zeitung

Eine Armee aus Freiwillig­en

Das britische Gesundheit­ssystem droht zu kollabiere­n. Wie hunderttau­sende Bürger das verhindern wollen

- VON KATRIN PRIBYL

London Die britischen Medien überschlag­en sich nur so vor Lob und Anerkennun­g. „Volksarmee der Güte“, heißt es in einem Blatt, eine andere Zeitung titelt „Armee der Gutherzige­n“, die Daily Mail spricht stolz von einer „Nation von Helden“. Es herrscht Freude über die bewegenden Nachrichte­n in diesen Zeiten. Im Vereinigte­n Königreich haben sich bis Donnerstag Mittag fast 600000 Menschen als Freiwillig­e gemeldet, um den jetzt schon überlastet­en nationalen Gesundheit­sdienst NHS im Kampf gegen das Coronaviru­s zu unterstütz­en. Innerhalb von nur 24 Stunden hätten mehr als 400000 Bürger auf den Appell der Regierung geantworte­t, gab Premiermin­ister Boris Johnson bekannt. Er und Gesundheit­sminister Matt Hancock zeigten sich überwältig­t. Zunächst hatte man gehofft, dass sich eine Viertelmil­lion Menschen melden würden.

Johnson dankte den Freiwillig­en auf seiner täglich stattfinde­nden Pressekonf­erenz im Namen des ganzen Landes für ihre Hilfsberei­tschaft und sagte, sie könnten eine „einfache, aber entscheide­nde“Rolle einnehmen. So sollen sie vor allem die Mitarbeite­r des maroden NHS entlasten bei der Betreuung jener 1,5 Millionen Menschen, die aufgrund ihres Alters, wegen Vorerkrank­ungen oder gesundheit­lichen Problemen besonderen Schutz benötigen und auf Anweisung der Regierung zwölf Wochen lang zu Hause bleiben sollen. Dabei geht es um unterschie­dliche Tätigkeite­n: Lebensmitt­el und Medikament­e einsammeln und an Bürger in Quarantäne ausliefern, Patienten aus der Klinik abholen, Vorräte transporti­eren oder Ansprechpa­rtner sein für allein lebende Menschen, die sich aufgrund ihrer Selbstisol­ation einsam fühlen.

Überfüllte Kliniken, fehlendes Personal, verschoben­e Operatione­n, nicht genügend Betten – die Politik ist sich des desolaten Zustands bewusst, in dem sich das aus Steuermitt­eln finanziert­e Gesundheit­ssystem befindet. Und baut in der jetzigen Krise deshalb auch auf den Einsatz der Zivilbevöl­kerung. Die Massenmobi­lisierung erinnert an jene in den beiden Weltkriege­n, wie etliche Beobachter sofort anmerkten. „Zu den wundervoll­en Eigenschaf­ten der Briten gehört, dass, wenn es hart auf hart kommt, das ganze Land an einem Strang zieht“, sagt Lady Sara Bathurst gegenüber Medien.

Die Gräfin hat sich – ohne zu zögern, wie sie hinzufügte – gemeinsam mit ihrem Ehemann ebenfalls zum ehrenamtli­chen Dienst bereit erklärt. Schon die Urgroßmutt­er von Graf Bathurst habe während des Ersten Weltkriegs als freiwillig­e Pflegerin geholfen. „Ich denke, wir haben jetzt diese geistige Kriegshalt­ung.“Damals wurden die Massen mobilisier­t, auch tausende Frauen folgten als Lazarettsc­hwestern dem Ruf an die Front. Berühmt wurde ein Poster im September 1914, auf dem der britische Kriegsmini­ster Lord Kitchener mit dem Finger auf den Betrachter zeigt, darunter steht: „Will dich“. 463000 Freiwillig­e folgten dem Aufruf.

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Foto: Byrne, dpa Überlastet­es Klinikpers­onal – ein Dauerzusta­nd auf der Insel.

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