Koenigsbrunner Zeitung

Jetzt schlägt die Stunde der Hobby-Scouts

- VON TOM TRILGES tom.trilges@augsburger-allgemeine.de

J edes Jahr dasselbe: Die angebliche­n Profi-Scouts der Bundesligi­sten beobachten hunderte Spieler – und am Ende taugt doch kein Neuzugang etwas. Damit ist jetzt Schluss. Lange haben die HobbySpiel­erbeobacht­er nur vor dem Fernseher gegrantelt, wie die Klubs solche Luftpumpen nur verpflicht­en können. Mehr war nicht drin. Schließlic­h fehlte die Zeit, um neben Schafkopf-Treffen oder der eigenen Alt-Herren-Fußballtru­ppe auch noch den depperten Scouts zu erklären, wie man einen gescheiten Kicker erkennt.

Dank Corona ist das jetzt anders. Auf dem Sofa können die HobbyScout­s jetzt bei einem Tragerl Bier noch mal jegliches Fußballmat­erial von der Champions League bis zu Weißrussla­nds dritter Stolper-Liga sichten und zu den richtigen Transferen­tscheidung­en kommen. Der Vorsprung der Profi-Scouts, die sonst bis zu 250 Nächte jährlich in Zwölf-Sterne-Hotels rund um den Globus verbringen, um dann doch die Falschen zu empfehlen, ist dahin. Nun kochen beide Seiten mit Wasser – genauer gesagt mit Archiv-Videomater­ial. Dass unter diesen Voraussetz­ungen die deutsche Wohnzimmer-Schwarmint­elligenz zu besseren Ergebnisse­n kommt, ist klar.

Praktisch ist das für die Vereine: In ihrer finanziell­en Notlage wegen der Spielpause können sie sich ordentlich Geld sparen. Die gesamte Scouting-Abteilung braucht es nicht mehr. Die wahren Experten haben fortan Zeit, das Ruder zu übernehmen. Das Beste: Sie machen es umsonst. Wobei, natürlich nicht ganz. Eines erwarten die Sofa-Genies dann doch: Anerkennun­g. Nicht nur ein kleines Lob. Nein. Das volle Programm. Sprich: ewige

Dankbarkei­t für die existenzie­ll wichtigen Spielerein­schätzunge­n genauso wie eine gehörige Portion Demut der Vereine dafür, dass man über Jahrzehnte nicht hat wahrhaben wollen, dass der Sepp auf der Couch es besser weiß als der Fachidiot, den der Klub teuer bezahlt.

Nach derzeitige­m Stand öffnet das Transferfe­nster am 1. Juli. Vermutlich gilt bis dahin die QuasiGefan­genschaft in den eigenen vier Wänden. Gut drei Monate Zeit also für die Hobby-Transfergu­rus, ihre Wahl nach gründliche­r YoutubeRec­herche zu treffen – und die Verantwort­lichen ihres Vereins von ihrer Einschätzu­ng zu überzeugen. Mal sehen, wie viele unentdeckt­e Messis und Ronaldos plötzlich auf die Bildfläche kommen. Die ProfiScout­s jedenfalls können getrost Urlaub machen – wenn auch nur im eigenen Wohnzimmer.

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Durch Corona bleibt mehr Zeit für passives Sporttreib­en.
Foto: Britta Pedersen, dpa Durch Corona bleibt mehr Zeit für passives Sporttreib­en.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany