Koenigsbrunner Zeitung

„Diese Spieler haben Existenzän­gste“

Carsten Ramelow ist Vize-Präsident der Spieler-Gewerkscha­ft. In den vergangene­n Wochen hat er immer mehr zu tun bekommen. Nicht jeder Profi verdient ein Millioneng­ehalt

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Herr Ramelow, Ihr Eindruck, wie ist derzeit die Stimmung unter den Fußballpro­fis?

Carsten Ramelow: Sehr angespannt, wie überall. Auch die Spieler hoffen, dass sich die Situation möglichst bald wieder normalisie­rt und sie in den gewohnten Rhythmus kommen. Wir haben so etwas ja alle noch nie erlebt.

Wenden sich derzeit vermehrt Spieler mit Ihren Sorgen an die Spielergew­erkschaft?

Ramelow: Ja, in der Geschäftss­telle hat die Zahl der Anrufe zugenommen. Das ging los, als zunächst beschlosse­n worden war, die Saison mit Geisterspi­elen fortzuführ­en. Da hatte der eine oder andere schon Bedenken und fragte sich, wie er sich verhalten soll, was den Gesundheit­sschutz angeht, wie groß die Gefahr ist, sich anzustecke­n, und wie das arbeitsrec­htlich aussieht. Das war für die DFL sicher schwierig zu entscheide­n. Aber am Ende war es natürlich gut und richtig, den 26. Spieltag doch noch komplett abzusagen.

Viele Menschen machen sich wegen ihrer Gesundheit, aber auch wegen ihrer wirtschaft­lichen Lage Sorgen. Letzteres ist für hoch bezahlte Fußballpro­fis sicher kein Problem …

Ramelow: Aber die Spielergew­erkschaft vertritt eben auch Jungs aus der 3. und 4. Liga. Und die sind finanziell nicht so gut aufgestell­t. Manche von ihnen verdienen vielleicht 2000 oder 2500 Euro brutto im Monat. Diese Spieler haben Existenzän­gste und machen sich Gedanken, wie es weitergeht und was Kurzarbeit für sie bedeuten würde.

Auch viele Angestellt­e in den Geschäftss­tellen bangen um ihren Job, auch bei Bundesliga-Klubs. Ist das den Spielern bewusst?

Ramelow: Ich denke, das ist sehr unterschie­dlich. Es gab auch zu meiner Zeit schon Teamkolleg­en, die in ihrer eigenen Welt gelebt haben. Ich selbst habe immer nach links und rechts geschaut und mich mit dem Platzwart oder dem langjährig­en Elektriker im Verein unterhalte­n, weil mich ihre Arbeit interessie­rt hat. Aber wie gesagt, es gab und gibt Spieler, die vor allem auf sich selbst fokussiert sind. Das hängt natürlich auch davon ab, wie lange man schon im Verein ist.

Um die Insolvenz zu verhindern, werden wohl die Spieler mancher Klubs auf einen Teil ihres Gehalts verzichten müssen.

Ramelow: Ich glaube, dass die meisten Spieler da solidarisc­h sind und dazu bereit sein werden. Da gibt es ja von verschiede­nen Seiten schon entspreche­nde Signale. Wir haben eine außergewöh­nliche Situation, die außergewöh­nliche Maßnahmen erfordert. Das hat inzwischen auch der Letzte mitbekomme­n. Verzicht ist aber nicht nur bei den Spielern, sondern auch bei den Funktionär­en in den Vereinen gefragt. Wenn man das einheitlic­h in Angriff nimmt, wäre das ein Riesenschr­itt und könnte den Vereinen ein Polster verschaffe­n.

Ein großer Schritt wäre es auch, wenn die Saison mit Geisterspi­elen überhaupt weitergefü­hrt werden könnte, damit nämlich die TV-Gelder fließen. Wie stehen die Spieler dazu? Ramelow: Mein Eindruck ist, dass der Großteil die Saison zu Ende bringen will – auch mit Geisterspi­elen. Und im Hintergrun­d wird ja bereits daran gearbeitet. Dass die EM auf nächstes Jahr verschoben wurde, war ein sehr wichtiges Zeichen. Das hat den Ligen Luft verschafft. Es kann natürlich trotzdem sein, dass es sehr eng wird und am Ende alle zwei, drei Tage gespielt werden muss. Doch das betrifft ja dann alle gleicherma­ßen.

Aber auch bei Geisterspi­elen besteht eine Ansteckung­sgefahr für die Spieler. Ramelow: Es kann natürlich erst wieder gespielt werden, wenn die Situation klar ist und von medizinisc­her Seite grünes Licht gegeben wird. Selbst dann wird es wegen einer möglichen Ansteckung­sgefahr in der einen oder anderen Situation Zweifel geben. Aber das wird nicht nur im Fußball, sondern auch sonst im Alltag so sein. Insgesamt wäre es jedenfalls ein gutes Zeichen, wenn in einem ersten Schritt zumindest Geisterspi­ele wieder stattfinde­n könnten.

Viele Insider sind sich sicher, dass die Corona-Krise auf absehbare Zeit auch den Profi-Fußball verändern wird.

Ramelow: Darin steckt auch eine Chance. Der Markt war in den letzten Jahren schon extrem und hat sich in die falsche Richtung entwickelt. Die Ablösesumm­en waren nicht mehr nachvollzi­ehbar. Vielleicht reguliert sich die Situation jetzt wieder. Das würde dem Fußball guttun.

● Carsten Ramelow ist seit 2003 Vize-Präsident der Spielergew­erkschaft VDV (Vereinigun­g der Vertragsfu­ßballspiel­er) mit rund 1300 Mitglieder­n. Ramelow selbst hat als Profi für Hertha BSC und Bayer Leverkusen gespielt. Der 46-Jährige wurde unter anderem 2002 VizeWeltme­ister mit der deutschen Nationalma­nnschaft.

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Foto: Bernd Thissen, dpa Carsten Ramelow vor einem Bild von Carsten Ramelow. Der ehemalige Bundesliga­spieler ist Vize-Präsident der Spieler-Gewerkscha­ft. Da ist er in der Corona-Krise natürlich sehr gefragt.

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