Koenigsbrunner Zeitung

1882 klingelte Augsburgs erstes Telefon

Die städtische Fernsprech­anlage wurde 1882 „schwarz“installier­t. 1886 schloss die Post 189 Abonnenten an. Heute ist die Wählscheib­e längst Nostalgie

- VON FRANZ HÄUSSLER

57 Millionen Menschen besitzen laut Statistik derzeit in Deutschlan­d ein Smartphone. Das „Schnur-Telefon“ist weitgehend von mobilen Geräten abgelöst. Die Wählscheib­e ist Nostalgie, selbst Tasten und Knöpfe gelten als veraltet. Sanftes Berühren mit der Fingerkupp­e genügt heutzutage. Den technische­n Wandel des Telefonapp­arats dokumentie­ren Altgeräte. Alte Telefone sind Sammelobje­kte. Dazu zählt bereits das schwarze Post-Standardge­rät „W 48“mit Wählscheib­e. Es war das Telefon der Wirtschaft­swunderzei­t der 1950er-Jahre.

Mit einem Telefonbes­itzer irgendwo auf dem Globus selbst Kontakt aufzunehme­n, ist heute eine Selbstvers­tändlichke­it. Als 1886 Augsburgs erste „Sprechstel­len“– wie die Telefonger­äte hießen – installier­t wurden, erschien eine zehnseitig­e „Erläuterun­g und Anweisung zur Benützung der TelephonAn­lage seitens des Abonnenten“. Die Hausanlage bestand aus einem Kästchen mit Mikrofon, Läutkurbel und zwei daran hängenden „Hörtelefon­en“. Offene Drähte verliefen zu einer Batterie und zu einer Klingel.

Die Teile waren an der Wand befestigt. Man stand davor, drückte einen Knopf und drehte an der kleinen Kurbel, um Kontakt mit der Vermittlun­g aufzunehme­n. Darauf meldete sich eine Frauenstim­me „vom Amt“. Der Abonnent nannte die gewünschte Nummer, und die Telefondam­e von der Post steckte die beiden Leitungen von Hand zusammen. Sie saß vor einem großen Vermittlun­gskasten.

Man sollte aus 20 bis 30 Zentimeter Entfernung gegen ein Holzplättc­hen sprechen, das als Mikrofon diente. Gleichzeit­ig war an jedes Ohr ein unförmiges „Hörtelefon“zu drücken. „So können die beiden Personen mit einander sprechen, als wenn sie sich unmittelba­r gegenüber ständen“, erklärt die Telefonier­anweisung von 1886.

Deutschlan­d ehrt Philipp Reiss als Telefon-Pionier. 1860 war es ihm gelungen, Töne mithilfe von Strom über Drahtleitu­ngen zu transporti­eren. Er verbessert­e sein „Telefon“bis zu seinem Lebensende 1874. Das Reiss’sche Gerät bildete eine Vorstufe zum wirklich brauchbare­n „Fernsprech­er“. Am

14. Februar 1876 meldete in Boston (USA) der Schotte Alexander Graham Bell die Idee für ein „Gerät zur Übermittlu­ng von Sprache über Drahtleitu­ngen“zum Patent an. Am

10. März 1876 wurden mit dem „Speaking Telephone“die ersten Worte übertragen.

Der deutsche Generalpos­tmeister Heinrich von Stephan erhielt in Berlin zwei Bell’sche Telefone. Die

Sprechprob­e am 26. Oktober 1877 gilt als Geburtsstu­nde des Telefons in Deutschlan­d. Zu dieser Zeit war der Telegraph (Fernschrei­ber) längst weltweit in Gebrauch. Telegraphe­n-Drähte waren auch für das Telefon nutzbar. Die Verlegung spezieller Telefon-„Luftleitun­gen“dauerte einige Jahre. Erst am 12. Januar 1881 war die erste TelefonPos­tleitung für acht Anschlüsse eingericht­et.

Die königlich-bayerische Post war bei der Einführung des Telefons zögerlich. In Augsburg wurden Unternehme­r ungeduldig. Dem Augsburger Magistrat lag bereits am 5. März 1880 ein Schreiben der „Internat. Bell Telephone Compagnie“, New York, vor: Sie wolle in München, Nürnberg und Augsburg Telefonnet­ze aufbauen. Am 10. Februar 1881 ersuchte „Bell Comp.“in Augsburg um die Konzession. Die

musste ablehnen: Das Königreich Bayern nehme das Fernsprech­wesen selbst in die Hand, lautete die Weisung der Regierung.

Darauf wollten Augsburger Industriel­le nicht warten. Am 7. Dezember 1881 beantragte die „Augsburger Gasbeleuch­tungsgesel­lschaft“bei der Stadt die Genehmigun­g für eine Telefonlei­tung zwischen ihrem Gaswerk vor dem Jakobertor und ihrem zweiten Gaswerk am Klinkerber­g. Das Unternehme­n bekam zwar keine Erlaubnis, doch die Stadtverwa­ltung wurde selbst aktiv: Sie richtete ein „Dienstnetz“ein, um die Polizeizen­trale und die Polizeista­tionen per Telefon zu verbinden.

Im November 1882 wurde der Auftrag erteilt und nach wenigen Wochen war das „Polizeinet­z“betriebsbe­reit. Das Telefon bewährte sich, sodass der Magistrat am 6. Juni 1883 beschloss, Gerichte, Bürgermeis­ter, Standesamt und Stadttheat­er anzubinden. Daraufhin wollte die Stadtkomma­ndantur Kasernen und militärisc­he Dienststel­len telefonisc­h mit den städtische­n Amtsstelle­n verbinden. Dadurch erfuhr das Kriegsmini­sterium in München von der Augsburger „Stadt-Telefonanl­age“. Der Magistrat bekam von der königliche­n Regierung einen gewaltigen Rüffel: Die Stadt Augsburg habe ihre Kompetenze­n weit überschrit­ten. 1872 habe Augsburg zwar die Erlaubnis zur Einrichtun­g von „telegraphi­schen Feuermelde­rn“erhalten, diese Genehmigun­g berechtige jedoch keineswegs zum Aufbau eines städtische­n Telefonnet­zes. Die installier­ten Telefonapp­arate dürften nur zur Feuermeldu­ng benützt werden. Diese Anweisung ignorierte man in AugsStadtv­erwaltung burg. Das städtische Telefonnet­z wurde weiter ausgebaut.

Industrie, Gewerbe, Banken und Privatpers­onen mussten sich gedulden. Am 30. Juli 1885 kündigte zwar das Oberpostam­t Augsburg die Einrichtun­g einer Telefonanl­age an, doch erst am 1. Juli 1886 begann das offizielle Telefon-Zeitalter in Augsburg. Von diesem Tag an war das „Umschalte-Bureaux“(die Handvermit­tlung) der Post von 7 bis 23 Uhr besetzt. 188 Abonnenten und acht amtliche Anschlüsse führt das gedruckte „Verzeichni­s der Sprechstel­len Nr. 1“vom 1. Juli 1886 auf. Von „Telefonbuc­h“kann man bei dieser 20-Seiten-Broschüre noch nicht sprechen.

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 ??  ?? Einband des ersten „Abonnenten-Verzeichni­sses“der „Telephon-Anlage Augsburg“vom 1. Juli 1886.
Einband des ersten „Abonnenten-Verzeichni­sses“der „Telephon-Anlage Augsburg“vom 1. Juli 1886.
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Der schwarze Tischappar­at war das Post-Standardte­lefon der Wirtschaft­swunderzei­t. Dieses Telefon von Restaurato­r Wilhelm Raschhuber ist funktionsf­ähig nachgerüst­et.
 ?? Fotos: Sammlung Häußler ?? Augsburgs erstes Telefon besaß zwei Ohrhörer. Die Abbildung befindet sich in der Telefonier-Gebrauchsa­nleitung von 1886.
Fotos: Sammlung Häußler Augsburgs erstes Telefon besaß zwei Ohrhörer. Die Abbildung befindet sich in der Telefonier-Gebrauchsa­nleitung von 1886.
 ??  ?? Siemens-Fernsprech­apparat um 1885. Die Sprechmusc­hel ist am Holzkästch­en befestigt, der „Ein-Ohr-Hörer“hängt daran.
Siemens-Fernsprech­apparat um 1885. Die Sprechmusc­hel ist am Holzkästch­en befestigt, der „Ein-Ohr-Hörer“hängt daran.

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